The Gap feiert 150 Ausgaben und hat sich seit 1997 vom Britpop-Fanzine zum Magazin für alle kulturellen Bereiche entwickelt. Chefredakteur Stefan Niederwieser im Gespräch
Stefan Niederwieser: Wie glamourös wir selbst sind, müssen andere beurteilen, von den Themen her finden wir den Claim aber vollkommen treffend. Wir befinden uns längst nicht mehr in der Nische, die wir vor 150 Ausgaben bedient haben, sondern schreiben heute auf unsere Art über Blockbuster-Filme oder Popmusik. Ebenso ist Kunst oft glitzernd und glamourös, immerhin wurde Kunst in den letzten zehn bis 15 Jahren erfreulicherweise niederschwelliger und leichter erfahrbar.
Niederwieser: Angefangen hat The Gap als Fanzine, genauer gesagt als Britpop-Magazin. Mit den Jahren hat sich das Heft für fast alle Kulturbereiche geöffnet und versucht, möglichst viele Themen abzudecken. Es hat auch immer wieder Bestrebungen gegeben, die Themenbereiche noch mehr auszuweiten. Während uns das im Bereich Design mit Peter Stuiber, der das wirklich exzellent macht, gut gelungen ist, ist das bei anderen Themen, Urbanismus oder Mobilität etwa, mitunter schwieriger, weil es gar nicht so einfach ist, fähige, motivierte Leute zu finden.
HORIZONT: Wann und wie sind Sie selbst zu The Gap gestoßen? Niederwieser: Ich bin seit mehr als vier Jahren Chefredakteur, habe davor aber auch schon Online geleitet. Beim Magazin angefangen habe ich als leitender Musikredakteur, was insofern Sinn gemacht hat, als ich selber Musikwissenschaft studiert und Musik als Teil der Band TNT Jackson gemacht habe – wir waren, wie man so schön sagt, „für österreichische Verhältnisse eh ganz gut“. Es hat mich darüber hinaus immer schon interessiert, in Musik mehr zu sehen als nur ein paar nette Melodien, weil ich der Überzeugung bin, dass hinter Musik oft viel mehr steckt.
HORIZONT: Dass sich The Gap in keiner Nische mehr befindet, merkt man daran, wie präsent das Magazin online und in sozialen Medien ist – fast schon präsenter, als in gedruckter Form. Können Sie das so bestätigen? Niederwieser: Das mag einerseits daran liegen, dass das Magazin – nachdem es ein Gratismedium ist – immer relativ schnell vergriffen ist. Aber ja, ich glaube, wir machen online einige Dinge richtig und erreichen dort teils andere Leute als jene, die sich das Heft mitnehmen. Facebook als Vertriebsweg hat für uns viele Vorteile, vor allem aber die Breite und die Masse, die wir mit manchen unserer Geschichten erreichen. Wir sind eines der Magazine, die definitiv nicht über Facebook jammern, auch wenn die sich ständig verändernden Algorithmen auch an uns nicht immer ganz spurlos vorbeigehen. Es ist eine tolle Herausforderung, Storys online so zu gestalten, dass sie das Interesse der Leute wecken, gerade wenn sich schwierige Themen dahinter verstecken. Wenn man sich anhört, wie das in manchen österreichischen Redaktionen gehandhabt wird, merkt man, dass sich die Branche darauf überhaupt noch nicht eingestellt hat und in weiten Teilen nach einem Modell lebt, das 20 Jahre alt ist und sich nicht mehr lange halten lassen wird.
HORIZONT: Wie haben sich die Zugriffszahlen denn konkret entwickelt? Niederwieser: Plus 120 Prozent im letzten Jahr. Es wurde letztes Jahr ja sehr viel über das Thema Clickbait diskutiert und ich weiß, dass einige der Meinung sind, dass wir ein bisschen zu viel in diese Richtung machen – was möglicherweise stimmt, wenn man unsere Artikel mit jenen von vor drei Jahren vergleicht. Aber ein Listicle ist nicht per se schlecht. Man kann damit 17 Katzen-GIFs reinladen, was wir nicht tun, oder zehn Filmemacherinnen und das Thema Frauen im Film-Biz vorstellen. Mit dieser Diskussion haben wir uns intensiv auseinandergesetzt, ebenso, wie wir die Themenauswahl überdacht haben.
HORIZONT: Welche Themen funktionieren bei The Gap online und in Social Media besonders gut? Niederwieser: Es gibt Storys, bei denen man sich sicher ist, dass sie sehr gut funktionieren werden. Wenn das dann nicht der Fall ist, dann nehme ich das hauptsächlich als eigenen Fehler wahr – es geht wie gesagt darum, die Artikelaufmacher so zu gestalten, dass sie Spannung erzeugen – mit dem richtigen Bild, der richtigen Headline. Wir haben eine relativ spezielle Zielgruppe. Was mitunter nicht geht, sind sehr breite Mainstream-Themen ohne doppelten Boden, wie etwa der Release von GTA V; wie das Netz auf „Shades of Grey“ reagiert wiederum schon. Wenn es einen neuen Film von Lars von Trier gibt oder ein neues Charlotte-Roche-Buch, dann ist man bei uns richtig. Ein Thema, das wir in Wien jedenfalls sehr stark mit aufgebaut haben und das bei den Lesern auch sehr gut ankommt, ist der Bereich Clubkultur. Wenn in Wien, Graz oder Linz ein neuer Club eröffnet oder es darum geht, wie die „Auslage“ oder das „Flex“ in Zukunft weitermachen, dann interessiert das einfach wahnsinnig viele Menschen. Das Thema Clubkultur wollen wir auch in Zukunft forcieren und haben daher online die Reihe „Kleine Wiener Clubkultur“ gestartet, in der Robert Ziffer-Teschenbruck über Locations schreibt, die eher unbekannt sind, keine starke Facebook-Präsenz haben, die aber oft wichtige Räume für Musik bieten.
HORIZONT: Und welche Geschichten haben in den vergangenen Jahren immer weniger funktioniert? Niederwieser: Event-Ankündigungen oder Reviews, also Rezensionen – jemandem zu erzählen, was er von einer Platte zu halten hat, wie das klingt und wer mitspielt, funktioniert nicht mehr, so etwas könnte heute ein Roboter schreiben. Natürlich besprechen wir neue Musik, aber eben als Story mit Hintergrund. Dass Reviews wenig Sinn machen, hängt auch damit zusammen, dass Musik und Film in den vergangenen zehn Jahren an Relevanz verloren haben. Beide Bereiche hatten früher viel mehr identifikatorisches Potenzial, diese Aufgabe ist tendenziell an die Selbstdarstellung im Netz und über Apps gewandert. Das heißt: Ich identifiziere mich eher darüber, wie ich mich auf Facebook und Instagram gebe, als darüber, dass ich die „richtige Musik“ höre. Aber wie gesagt und ganz unabhängig vom Thema: Wir versuchen Artikel so zu gestalten, dass man sie selber lesen will.
HORIZONT: Aber wie bewegt man die Leser – oft von Facebook kommend – dazu, auch tatsächlich auf einen Artikel zu klicken und ihn zu lesen? Niederwieser: Nur wenn die Kombination aus Bild, Titel, Lead-Text und Facebook-Text stimmt, dann können sich Storys wirklich verbreiten. Es macht also durchaus Sinn, für all diese Dinge fünf bis zehn Minuten extra aufzuwenden und sich Gedanken zu machen. Das erfordert eine gewisse Empathie, sich in die Leser hineinzuversetzen – oft reicht es aber auch, sich vorzustellen, was einen selbst ansprechen würde. Wir versuchen das in unseren Redaktionssitzungen, im Büro und auch im Rahmen von Workshops für das Team immer wieder zu betonen, oder auch an Fachhochschulen. Vor mittlerweile drei Jahren wurden wir von der FH St. Pölten gefragt, im Studium Medienmanagement einen Kurs zu leiten. Im Zuge dessen ist gerade die dritte Niederösterreich-Ausgabe von The Gap erschienen und kommenden Herbst geht es auch an der FH Wien los.
HORIZONT: The Gap ist nach wie vor gratis – gab es nie die Überlegung, für das Heft Geld zu verlangen? Niederwieser: Es gab eine Zeit lang eine Kaufauflage, mit der wir in Trafiken zu finden waren. Aber das hat in Anbetracht dessen, dass es die Gratisauflage weiterhin gab, nicht so gut funktioniert. The Gap ist querfinanziert und befindet sich damit in der Lage, sich mit manchen Problemen, mit denen sich die österreichische Medienbranche herumschlägt, nicht beschäftigen zu müssen. Die Frage, ob man sich durch Online selbst kannibalisiert, stellt sich bei uns beispielsweise gar nicht.
HORIZONT: Gibt es Förderungen? Niederwieser: Wir bekommen keine Förderungen, der VÖZ findet das ist auch nicht nötig, wie uns mehrfach mitgeteilt wurde. Wir passen in diesen Lobby-Verein alter Männer nicht hinein, unser Verständnis für VÖZ-Probleme ist umgekehrt nicht allzu hoch.
HORIZONT: 150 Ausgaben sind nicht nur ein guter Grund, zurückzublicken, sondern auch nach vorne. Wo will The Gap sein, wenn in einigen Jahren die 200. Ausgabe gefeiert wird? Niederwieser: Im Bereich Sales hat es bislang definitiv eine Schwachstelle gegeben. Hier wollen wir aber stärker werden und haben dafür auch schon jemanden Neuen gefunden, der dem Magazin schon seit einiger Zeit verbunden ist. Generell kann man sagen: Wir haben Spaß daran, uns zu verbessern, werden immer an der Welt interessiert sein und daran, Themen aufzugreifen, die wir für relevant halten. Wenn das weiterhin hinhaut, werden auch die kommenden 50 Ausgaben kein Problem sein.
HORIZONT: Wie wird das aktuelle Jubiläum denn gefeiert? Niederwieser: Wir feiern am 15. Mai in der Grellen Forelle. Einziger Wermutstropfen: Headliner Twin Shadow hatte einen schweren Busunfall. Wir sind aber sicher, dass auch Cid Rim und Mavi Phoenix die Party in der Grellen Forelle wert sind und bemühen uns, einen entsprechenden Ersatz für den Headliner zu finden.
Anm.: Der Ersatz wurde mittlerweile gefunden, statt Twin Shadow spielen Actress und Elektro Guzzi, zum Facebook-Event geht's hier.