Der Verband Österreichischer Privatsender hat sich in Bezug auf die anstehende Wahl des Generaldirektors in einem Offenen Brief an die Mitglieder des ORF-Stiftungsrats gewandt.
"an die Mitglieder des
Stiftungsrats des Österreichischen Rundfunks
z.Hd. der Vorsitzenden Brigitte Kulovits-Rupp
Wien, am 4. August 2011
Bestellung des Generaldirektors
Sehr geehrte Damen und Herren des Stiftungsrates!
Nächste Woche hat der Stiftungsrat die in der konkreten Konstellation nicht ein-
fache Aufgabe, den Generaldirektor des ORF zu bestellen. Wenig überraschend
hat sich auch der derzeitige Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz für eine wei-
tere Geschäftsführungsperiode beworben. Sein Konzept lässt allerdings daran
zweifeln, dass er tatsächlich für diese Position geeignet ist: Es handelt sich dabei
im Wesentlichen um eine Kompilation aus durch wenig aussagekräftige Phrasen
verbundenen Teilen von Jahresbericht und Public Value Bericht, manche Formu-
lierungen finden sich fast wortgleich auch in seiner Bewerbung aus 2006.
Der Verband Österreichischer Privatsender (VÖP) geht aufgrund der Medienbe-
richte davon aus, dass sich bisher kein anderer Kandidat beworben hat, der Aus-
sicht auf eine Mehrheit im Stiftungsrat hat. Die Entscheidung des Stiftungsrates
ist daher weniger eine Auswahl zwischen mehreren Kandidaten, sondern muss
vielmehr eine Festlegung sein, an welche inhaltlichen Vorgaben eine neuerliche
Bestellung von Dr. Wrabetz geknüpft werden soll.
Wie Ihnen sicher noch in Erinnerung ist, hat der Stiftungsrat bereits im April 2009
eine Resolution verabschiedet, in der er gefordert hat, „die Weiterentwicklung
der Positionierung von ORF 1 zu konkretisieren“. Ziel war es, „die Unverwech-
selbarkeit und Eigenständigkeit dieses Programms zu erhöhen.“
An diesem Ziel ist die bestehende Geschäftsführung geradezu exemplarisch ge-
scheitert: Wie die im Auftrag der Rundfunk- und Telekom Regulierungs-GmbH in
den letzten Jahren durchgeführten Programmanalysen bewiesen haben, sind die
Vollprogramme des ORF im Fernsehen von einem übermäßig hohen Unterhal-
tungsanteil geprägt. Der Informationsanteil in ORF eins ist geringer als in allen
untersuchten „kommerziellen“ Privatsendern. Insgesamt lässt die Programmie-
rung beider Programme das im öffentlich-rechtlichen Auftrag angemessene Ver-
hältnis von Information, Kultur, Unterhaltung und Sport vermissen. Die gezielte –
zum Teil zeitgleiche – Gegenprogrammierung von meist amerikanischen Filmen
und Serien führt dazu, dass von einer Unverwechselbarkeit und Eigenständigkeit
der Programme des ORF keine Rede sein kann.
Und die angeblich zur Erhöhung der österreichischen Identität im Frühling dieses
Jahres neu eingeführten Sendungen auf ORF eins sind in Aufmachung und In-
halt – wie von Stiftungsrat zurecht bereits kritisiert worden ist – bestenfalls auf
dem Niveau der „kommerziellen Privatsender“. Dass gleichzeitig die Marktantei-
le gerade bei ORF eins signifikant gesunken sind, zeigt, dass die Strategie auch
kommerziell nicht erfolgreich ist.
Der weiterhin geplante und schon bisher ohne Rücksicht auf die gesetzlichen
Vorgaben geführte „fortgesetzte Kampf um die Jungen“, wie Dr. Wrabetz es in
seinem Konzept bezeichnet, ist daher in Wahrheit das Ergebnis eines grundfal-
schen Verständnisses des öffentlich-rechtlichen Auftrags. Der ORF steht nur
deswegen mit den Privatsendern in direkter Konkurrenz, weil er versucht, diese
beim Ausmaß der „Kommerzialisierung“ noch zu übertreffen. In diese Richtung
gehen auch die geradezu unverschämten Forderungen des Bewerbers Dr. Wra-
betz, bestehende, für das duale Rundfunksystem essentielle Beschränkungen des
ORF in der kommerziellen Kommunikation „kritisch zu hinterfragen“. Auch eine
Vermarktung der TVthek, also von mit Gebühren finanzierten Inhalten, wird wei-
terhin in Erwägung gezogen. Offenbar hat Dr. Wrabetz die Vorstellung, dass „die
Optimierung der Positionierung, des Senderprofils und der Gesamtanmutung“,
die er als zentrale Herausforderung sieht, durch eine noch stärkere Kommerziali-
sierung erreicht werden kann. Damit steht sein Bewerbungskonzept letztlich in
diametralem Widerspruch zu den vom Stiftungsrat bereits vor mehr als zwei Jah-
ren beschlossenen Vorgaben.
Der VÖP appelliert daher an die Mitglieder des Stiftungsrats, bei einer allfälligen
Wiederbestellung von Dr. Wrabetz als Generaldirektor durch geeignete Weisun-
gen und dereinst im Rahmen der Beschlussfassung über das Jahressendeschema
dafür Sorge zu tragen, dass in Zukunft die Vorgaben des Programmauftrags um-
gesetzt werden und in allen davon erfassten Programmen des ORF
• ein angemessenes Verhältnis von Information, Kultur, Unterhaltung und
Sport und
• in Inhalt und Auftritt die Unverwechselbarkeit des öffentlich-rechtlichen
Österreichischen Rundfunks
umgesetzt werden. Außerdem muss eine Kommerzialisierung der TVthek dauer-
haft ausgeschlossen werden.
Wir dürfen Sie daran erinnern, dass die Mitglieder des Stiftungsrates an keine
Weisungen oder Aufträge gebunden sind und Parameter für Ihre Entscheidung
daher nur die im ORF-Gesetz festgelegten Aufträge und ihre persönliche Verant-
wortung als Aufsichtsrat des Unternehmens sein können.
Eine allenfalls sogar noch intensivierte Fortsetzung des Kurses der letzten Jahre
würde dazu führen, dass die andauernde Rechtsverletzung perpetuiert wird; ein
Zustand, den der VÖP wie Sie sicher verstehen werden auch und vor allem im
Sinne der Gebührenzahler nicht auf Dauer hinnehmen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Klaus Schweighofer Mag. Markus Breitenecker Dipl.Kffr. Corinna Drumm
Vorstandsvorsitzender stv. Vorstandsvorsitzender Geschäftsführung "