Mediengruppe-RTL-Chefin Anke Schäferkordt über multimediale Strategien, bei denen Eigenproduktionen strategisch eine zentrale Rolle spielen, neue Potenziale durch Programmatic Advertising und Addressable TV sowie ihre private Mediennutzung.
Sind Sie auch Abonnentin von Netflix oder Amazon Prime? Ja, natürlich. Ich habe zur Wettbewerbsbeobachtung sowohl Streamingdienste als auch Pay-TV abonniert.
Beide erleben im Moment Zulauf. Streamingdienste verbuchen Abonnenten-Zuwachs, Pay-TV mischt zudem intensiv am Markt der Sportlizenzen mit. Welches Zukunftsszenario zeichnet sich dadurch für klassisches, lineares Fernsehen ab?Derzeit erreichen unsere Sender monatlich 70 Millionen Menschen in Deutschland und Österreich, und die lineare Nutzung wird auch in den nächsten Jahren klar dominieren. Gleichzeitig werden jüngere Zuschauer den Anteil an non-linearer und mobiler Nutzung nach und nach erhöhen. Wir sind darauf vorbereitet und haben bei der Mediengruppe RTL Deutschland sehr frühzeitig damit begonnen, uns nicht mehr als reiner TV-Anbieter zu positionieren. In unserer Strategie steht TV schon lange für Total Video. Wir wollen unsere Inhalte über alle Endgeräte und Plattformen hinweg zur Verfügung stellen.
Wie schnell wird die Nutzung von non-linear ansteigen?Je nach Zielgruppe haben wir in Deutschland derzeit eine Nutzungsrate von zehn Prozent. Bei den jüngeren Zielgruppen ist der Wert höher, bei älteren Zielgruppen geringer. In den nächsten Jahren wird der Gesamtwert voraussichtlich auf etwa 20 oder 30 Prozent steigen.
Auf der einen Seite haben wir also die Jungen, die Fernsehen zunehmend non-linear konsumieren. Auf der anderen Seite zeigt die demographische Entwicklung, dass Menschen immer älter werden. In dieser Zielgruppe ist lineares Fernsehen stark verankert. Könnte die Nutzung demnach auch im linearen Sektor steigen?In Österreich ist die lineare Sehdauer im Vorjahresvergleich ja tatsächlich gewachsen, das ist sicherlich eine Ausnahmesituation in Europa. Aber grundsätzlich stehen Österreich und Deutschland vor derselben Herausforderung, dass unsere Gesellschaft im Schnitt jedes Jahr älter wird und lineares Fernsehen in älteren Gruppen als Top-Nutzungsform verankert ist. Das wird sich in nächster Zeit auch nicht maßgeblich verändern. Dies ist ein Grund, warum wir 2016 in Deutschland mit RTLplus einen neuen Sender gestartet haben, der sich ganz klar an die Zielgruppe der Best-Ager richtet.
Mit welcher Contentstrategie wollen Sie Konsumenten künftig erreichen?Wir haben vor ein paar Jahren die strategische Entscheidung getroffen, einen deutlichen Fokus auf Eigenproduktionen zu legen: So haben wir beispielsweise alleine für RTL derzeit fünf Dramaserien in Produktion, von denen mit "Bad Cop" die erste in diesen Tagen startet, weitere folgen im Laufe der Season. Und für VOX haben wir mit "Milk & Honey" die Produktion einer der zweiten Fiction-Serie nach "Club der roten Bänder" angekündigt. Den Schritt, deutlich in neues, exklusives Programm zu investieren, sind wir mit der festen Überzeugung gegangen, dass Sendergruppen am Markt nur dann eine klare Unterscheidbarkeit und Positionierung erreichen können, wenn sie eigene Formate anbieten, die imageprägend für den jeweiligen Sender sind. Dabei ist jede Investition in eine Eigenproduktion für uns eine Investition in den linearen und non-linearen Sektor zugleich. Mit exklusiven Inhalten generieren wir eigene Verwertungsrechte über alle Plattformen und zahlen so auch auf unser Online-Bewegtbildangebot TV Now ein. Unsere grundsätzliche Strategie legt dabei aber immer noch einen klaren Fokus auf das lineare Fernsehen. Wir möchten dabei die Zielgruppen, die wir heute im linearen Fernsehen bedienen, auch in die non-lineare Welt begleiten.
Wie refinanzieren Sie diese zumeist teureren Eigenproduktionen?Durch die Premiumumfelder, die von Werbekunden gerne und gut gebucht werden. Wir haben deutliche Investments in fiktionale und non-fiktionale Angebote getätigt. Amerikanische Fiction ist im Zweifelsfall zwar etwas günstiger, als selbst in die Produktion zu gehen - aber der Erfolg in den vergangenen Jahren gibt uns Recht und zeigt, dass unsere Produktionen sehr gut refinanziert werden.
Sie planen auch non-lineare Angebote, die im linearen TV nicht zu sehen sein sollen. Wie viel Budget fließt künftig in diesen Bereich?Wir geben grundsätzlich keine Budgetzahlen bekannt. Aber die Summe dafür steigt Jahr für Jahr deutlich. Gerade haben wir das non-lineare Angebot Watchbox gestartet, den Nachfolger von Clipfish. Das ist ein werbefinanziertes Videostreaming-Angebot mit Longform-Inhalten für eine junge Zielgruppe.
In Österreich wird derzeit über eine neue Medienabgabe diskutiert, das Thema Haushaltsabgabe wird mit sehr geteilten Meinungen debattiert. In Deutschland gibt es dieses Modell, welche Erfahrungen haben Sie damit?Wir haben im Rahmen der Einführung der Haushaltsabgabe gefordert, dass diese mit einer Reduzierung des Angebots und mit Werbebeschränkungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbunden ist. Im Grunde waren alle Privatsender dieser Meinung. Passiert ist das bis dato noch nicht.
Wird das Ihrer Einschätzung nach noch geschehen?Es führt kein Weg an dieser Weichenstellung im dualen Mediensystem vorbei. Wir beobachten gerade in Deutschland auch ein sehr geschlossenes Auftreten der gesamten privatwirtschaftlichen Unternehmen. Was aber in der politischen Debatte immer noch fehlt, ist ein Wille für eine klarere Definition des öffentlichrechtlichen Auftrags. Wir diskutieren also dieselben Themen in Deutschland wie in Österreich.
Zu Diskussionen - wohl in beiden Ländern - führte jüngst auch die Übernahme von ATV. Die Mediengruppe RTL Deutschland hat, gemeinsam mit der Mediaprint, ebenso Interesse kundgetan. Wie sehr schmerzt es Sie, dass es nicht geklappt hat?Ich neige grundsätzlich dazu, nach vorne zu schauen. Wir werden uns auf unsere eigenen Angebote konzentrieren und hier in den nächsten Monaten unser Portfolio erweitern. Dazu gibt es auch konkrete Pläne.
Welche sind das?Wir werden für n-tv und RTLplus Werbefenster in den österreichischen Markt bringen. Derzeit haben die beiden Sender keine österreichische Frequenz, generieren auf dem deutschen Signal in Summe aber fast ein Prozent Marktanteil. Da sehen wir die Chance, entsprechend zu wachsen. Zudem ist das eine ideale Ergänzung des Portfolios, auch für die österreichischen Werbekunden.
Beim Thema Werbefenster gibt es insbesondere seitens des ORF Kritik. Damit würden Werbemillionen nach Deutschland abfließen. Was sagen Sie dazu?Ich kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Die IP Österreich ist ein österreichisches Unternehmen und die Mediengruppe RTL ist ein 50-Prozent-Gesellschafter. Wir zahlen in Österreich Steuern und haben Arbeitsplätze geschaffen.
Gibt es weitere Pläne, mit denen Sie wachsen wollen?Hohe Wachstumsraten sehen wir im Moment im Bereich Addressable über HbbTV mit Display-Werbung, die beispielsweise in Umschaltprozessen ausgespielt wird. Das erfreut sich einer hohen Nachfrage - auch bei Werbekunden, die keine TV-Spots haben.
Erst kürzlich kam es in Ihrem Unternehmen ja auch zu der Premiere, dass ein Spot für Smart-TV-Geräte getauscht wurde. Ihr Fazit?Das hat zu unserer hundertprozentigen Zufriedenheit geklappt. Damit kann TV nun das bieten, was die Werbewirtschaft aktiv nachfragt: Auf der einen Seite hohe Reichweiten, um schnell einen Reichweitenaufbau für eine Kampagne zu generieren; und auf der anderen Seite Ausspielungen, die zielorientiert auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet sind. Ich bin überzeugt, diese Mischung ist das Beste aus beiden Welten für die werbetreibende Wirtschaft.
Mit welchen weiteren technologischen Themen befassen Sie sich derzeit?Ganz grundsätzlich mit programmatischen Ansätzen, nicht nur im Sinne von Automatisierung von Prozessen, sondern auch von datengetriebener Vermarktung. Wir sind hier frühzeitig eingestiegen und haben als RTL Group in den USA investiert und eine große Videovermarktungsplattform gekauft: damals SpotXchange genannt, heute SpotX. Wir haben dann auch in Deutschland in ein Ad-Tech-Unternehmen investiert und sind damit auch im österreichischen Markt aktiv - nämlich mit smartclip. Auch das Thema Digitalvermarktung beschäftigt uns. Wir haben einen leichten Preisverfall registriert und es gibt viele Intermediäre, also Zwischenhändler, im Markt, die an den Geschäftsmodellen partizipieren möchten. Wir haben den Anspruch, den Werbetreibenden ein komplettes Technologieangebot zu machen. Alles aus einer Hand, und damit deutlich weniger über Intermediäre.
Ob Werbung oder Medien: Mit wem würden Sie sich eigentlich gerne einmal über Fernsehen unterhalten?Ich nutze jede Gelegenheit, sei es in der Familie oder im Freundes-und Bekanntenkreis, um das Fernsehund Bewegtbild-Nutzungsverhalten abzufragen. Insbesondere dann, wenn ich auf jüngere Zielgruppen stoße. Das interessiert mich dann oft mehr als das, was die Profis dazu sagen - mit denen ich ja ohnehin im permanenten Austausch bin.
Dann werden Sie wohl viele Meinungen rund um die Umstellung des Antennenfernsehens auf DVB-T2 gehört haben, das war zuletzt Diskussionsthema in Deutschland. Damit sind Kosten verbunden, fürchten Sie deshalb ein Einbrechen der Reichweiten?Nein. Es wurden mittlerweile rund zwei Millionen DVB-T2 HD-fähige Empfangsgeräte verkauft und 700.000 zahlende Kunden im Markt vermeldet. Der Plattformanbieter freenet TV wertet das ganz klar als Erfolg, hier wird es schon in den nächsten Monaten zu einem weiteren Ausbau kommen. DVB-T2 bietet sich genauso wie zuvor Satellitenfernsehen oder Kabel als Modell an, eine sehr teure HD-Verbreitung zu refinanzieren. Die Privatsender partizipieren entsprechend an den Erlösen der Plattformbetreiber. Ich halte dieses Modell für gerechtfertigt.
Kommen wir zur Allianz, die die Mediengruppe RTL mit ProSiebenSat.1, United Internet und Zalando geschlossen hat, um auf die US-Giganten zu reagieren. Es geht dabei um ein gemeinsames Anmeldeverfahren, mit dem sich User auf allen beteiligten Plattformen einloggen können. Die Allianz soll wachsen: Mit welchen Unternehmen führen Sie derzeit Gespräche?Das geben wir im Moment nicht bekannt. Aber es gibt potenzielle Partner und ich bin sicher, dass man bis zum Start 2018 dazu noch etwas hören wird.
Wieso kam diese Initiative eigentlich nicht schon früher?Zum einen braucht es eine entsprechende Vorbereitung, zum anderen gibt es mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung und der aktuell heiß diskutierten E-Privacy-Verordnung zwei weitere Faktoren, die im Hinblick auf unser Timing eine wesentliche Rolle gespielt haben.
Nur wenige Wochen zuvor kündigte die Daten-Allianz, bestehend aus Axel Springer, Daimler, Deutsche Bank mit der Postbank und dem Kartendienst Here der deutschen Autobauer, ebenso an, einen einheitlichen Zugang zu Onlinediensten schaffen zu wollen. Wie unterscheidet sich Ihr Bündnis von dieser Initiative?Unsere Login-Allianz geht nicht so weit, dass sie Identifikationsmechanismen, die auch die Autorisierung von Bankgeschäften und ähnlichem möglich machen, umfasst. Hierin liegt der wesentliche Unterschied.
Nun ist es aber so, dass mit dieser Allianz gegen die US-Giganten vorgegangen werden soll. Auf der anderen Seite haben viele Unternehmen Geschäftskontakte dorthin. Wie geht das zusammen?Die Login-Allianz ist ein offener Ansatz mit einer komplett anderen Positionierung: Sie bietet dem Nutzer eine Alternative zu den US-Playern. Natürlich schließen klassische Medien entsprechende Partnerschaften mit US-Giganten, weil diese wesentliche Marktpartner sind. Auch wir haben Geschäftskontakte zu vielen dieser Plattformen, sie schalten in großem Umfang Werbung. Das heißt aber nicht, dass wir in Bezug auf Regulierung nicht eine faire Behandlung einfordern können. Wir kämpfen für ein Level-Playing-Field. Das gilt beim Datenschutz ebenso wie bei der Werbung oder beim Zugang zu Plattformen.
Ob Social Web oder Klassik: Wie konsumieren Sie eigentlich Medien?Tagsüber informiere ich mich online, abends konsumiere ich regelmäßig Nachrichtensendungen im Fernsehen. Ich schätze diese Kompaktheit der Gesamtinformation. Es kann am Abend auch mal eine Show sein. Und ich bin ein großer Serien-Fan. Was die Zeitungswelt betrifft, gehöre ich zu jener Generation, die das haptische Gefühl schätzt. Darum habe ich Wochenendausgaben einiger Zeitungen abonniert, weil ich da mehr Zeit habe.
Seit 2012 waren Sie auch Co-Chefin der RTL Group in Luxemburg - Ende März wurde bekannt, dass Sie diesen Posten auf eigenen Wunsch zurücklegen, um sich auf die Geschäftsführung der Mediengruppe RTL Deutschland zu konzentrieren. Wie betrachten Sie diese Entscheidung mit sechs Monaten Abstand?Meine Entscheidung fühlt sich immer noch richtig an. Ich bin der Überzeugung, dass beide Funktionen in nächster Zeit ungeteilte Aufmerksamkeit benötigen. Denn unser Geschäft wird zunehmend fragmentierter, kompetitiver und technologiegetriebener. Und darum war das der richtige Schritt zum richtigen Zeitpunkt, sowohl für mich, als auch für die RTL Group in Luxemburg und die Mediengruppe RTL Deutschland.
Ihr Vertrag bei der Mediengruppe RTL Deutschland ist bis 2019 verlängert worden. Haben Sie bereits Pläne, wie es nach 2019 weitergehen soll?Ich führe die Mediengruppe RTL Deutschland seit 2005 und kann Ihnen versichern, dass ich für unsere Unternehmensgruppe klare Pläne habe. Wir haben ein tolles Team, ich fühle mich sehr wohl, die Arbeit macht unverändert sehr viel Freude. Und wir haben hier gemeinsam noch sehr viel vor, auch über 2019 hinaus.