Die perfekte Abo-Welle

Die Coronakrise hat Digital-Abos befeuert. Was bei Nachrichten und Streaming begonnen hat, könnte sich mit weitreichenden Folgen ausdehnen.

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Die Rollläden vieler Geschäfte waren heruntergelassen, Cafés und Restaurants blieben verwaist und Hotels ohne Gäste. Dennoch klingelten vergangenes Jahr bei einigen Unternehmen die Kassen wie nie zuvor. Denn wer 2020 eine Dienstleistung als Abonnement anbot, hatte gute Chancen alle Rekorde aus den vorangegangenen Jahren zu brechen. Vor allem bei Medien gingen Abos weg wie warme Semmeln: Streamingdienst Netflix knackte Ende des Jahres erstmals die 200-Millionen-Abonnenten-Marke, Rekordwachstum hatte aber Konkurrent Disney zu vermelden. Dessen Streamingdienst Disney+ erreichte Ende 2020 mehr als 80 Millionen Abo-Abschlüsse. Dabei wurde das Angebot erst vor einem Jahr aus der Taufe gehoben.

Auch im Nachrichtengeschäft jagte ein Rekord den anderen. Im Sommer 2020, drei Jahre nach dem Start der Paywall, knackte die Tageszeitung Die Presse die Marke von 30.000 Digital-Abos. Bei der Konzernschwester Kleine Zeitung lief es nicht minder rund: Das gesteckte Jahresziel von 50.000 Digital-Abos erreichte man noch rechtzeitig vor Silvester. Schluss soll mit dem Wachstum aber noch lange nicht sein, wenn es nach Geschäftsführer Thomas Spann geht: "Wir glauben, dass wir 2023 200.000 Abos im Print und 100.000 digitale Abos haben können." Der Optimismus ist angebracht – vor allem, wenn man den Blick in die Ferne schweifen lässt.

Die 'New York Times' ist unangefochtener Abo-Kaiser in der internationalen Medienbranche.
Die 'New York Times' ist unangefochtener Abo-Kaiser in der internationalen Medienbranche.
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Branchen-Primus New York Times verkaufte im vergangenen Jahr 2,3 Millionen neue Digital-Abonnements. Digital-Abos, so Geschäftsführerin Meredith Kopit Levien "sind schon lange unsere am stärksten wachsende Einnahmenquelle". Der Abo-Trend ist längst nicht mehr nur auf Nachrichten oder Streamingdienste beschränkt. Insgesamt verkauft hat die New York Times 7,5 Millionen Abonnements, fünf Millionen davon gehen auf das Nachrichtenprodukt zurück. Aber auch andere digitale Abo-Produkte wie Rezeptabos oder eine eigene Spiele-App haben im vergangenen Jahr mehr als 600.000 neue Abonnenten gebracht – ein Plus von 66 Prozent in nur einem Jahr.

'Es findet eine Revolution statt'

Was die vereinzelten und anekdotischen Berichte aus der Branche erahnen lassen, hat das Unternehmen Zuora nun in zwei Studien mit Zahlen belegt. Zuora verkauft Software, mit der Unternehmen Abo-Dienste starten, verwalten und analysieren können. Aus den anonymisierten Daten seiner 950 Kunden in 30 Ländern erstellte man einerseits den Subscription Economy Index (SEI), der das Wachstum von Abo-basierten Geschäftsmodellen im Vergleich zur restlichen Wirtschaft zeigen soll.

Außerdem hat man dieses Jahr die Studie "The end of ownership" verfasst, die auf einer Umfrage (Harris Poll) von 13.626 Befragten in zwölf unterschiedlichen Märkten basiert und herauszufinden versucht, welche Abo-Dienstleistungen Konsumenten künftig haben wollen. Die veröffentlichten Zahlen aus dem Subscription Economy Index machen klar, dass die Coronakrise dem Abo-Modell höchstens einen Schubs gegeben hat. Unternehmen, die Abo-Dienstleistungen anbieten und im SEI zusammengefasst wurden, wuchsen in den vergangenen neun Jahren nämlich um 437 Prozent. Zum Vergleich: Der US-Handel wuchs im selben Zeitraum um nur 130 Prozent.
Subscribed Institute/Zuora
Für Tien Tzuo, CEO von Zuora, ist das dennoch nur der Anfang, wie er auf der Konferenz Startup Grind diesen Monat sagte: "Es findet eine Revolution statt."

Die Revolution dürfte breiter und vielseitiger sein, als das einige verkaufte digitale Zeitungs-Abos erahnen lassen. Schon heute, nur rund zwei Jahrzehnte nach ihrer Einführung, werden kaum noch DVDs gekauft oder Musik von Apples iTunes als Besitz downgeloaded. "Das wirkt mittlerweile altmodisch", sagt Tzuo: "Das wird sich auf alle unsere Lebensbereiche ausbreiten." Tzuo propagiert – wohl nicht ganz uneigennützig – das Ende der Besitzgesellschaft und die Ankunft der sogenannten Abo-Ökonomie.

Steigende Abonnentenzahlen

Die Zahlen scheinen ihm Recht zu geben. 78 Prozent aller Befragten nehmen inzwischen digitale Abo-Dienstleistungen in Anspruch, vor drei Jahren waren es noch 71 Prozent. Am stärksten ausgeprägt ist die Vorliebe von Abos bei Chinesen (89 Prozent) und Spaniern (84 Prozent), die sogar die Amerikaner (82 Prozent) überflügeln. Auch die Anzahl an Abos pro Person steigt kontinuierlich an: Hatte eine Person vor drei Jahren im Schnitt noch 2,7 Abos, so waren es 2020 bereits drei. Auch hier liegt China mit im Schnitt vier Abos pro Person unangefochten in Führung.

Chinesen sind Abo-Vorreiter

Das Ende von Eigentum, wie es Tzuo prophezeit, mag radikal klingen, hat sich aber in den Bereichen, in denen großflächig Abo-Zahlungen statt Einmalkäufe eingeführt wurden, bereits durchgesetzt. "Menschen dachten, sie müssen Software besitzen. Es stellte sich heraus, dass das nicht wahr ist", sagt Tzuo.

Softwareunternehmen wie Adobe sind längst auf Abos als Hauptgeschäftsmodell umgestiegen. 2012 begann man den Wechsel weg vom Softwareverkauf hin zu Software-as-a-Service (SaaS), 2017 verkaufte man das letzte Stück physischer Software. Im folgenden Jahr machten Abo-Einnahmen 86 Prozent des Gesamtumsatzes aus, der Gewinn stieg um 77 Prozent. Adobe ist keine Ausnahme: Seit 2017 wuchsen SaaS-Unternehmen aus dem SEI – also jene, bei denen Abos einen signifikanten Anteil des Geschäftsmodells darstellen – um 211 Prozent. Der Schnitt der Softwareunternehmen im S&P500 wuchs im selben Zeitraum nur fast halb so stark (111 Prozent).

Eigentum als Belastung

Bei Software werde es nicht bleiben, glaubt Tzuo: Je mehr Bedürfnisse man künftig abonnieren könne, desto mehr werde Besitz als Belastung angesehen. Angefixt wurde die breite Masse durch Unterhaltung: Inzwischen ist die Erwartungshaltung vieler Konsumenten, dass man Filme, Serien und Musik konsumieren kann, wo und wann immer man will. Wenn man nicht einen Pack DVDs oder eine besonders große Speicherplatte mit sich tragen will, dürfte das ohne Abo-Dienst schwierig werden. Mit 53 Prozent zeigen folglich auch die meisten der Befragten Interesse an Abos von TV- und Film-Streamingdiensten, 33 Prozent bekunden ihr Interesse an Musik-Diensten.

Steigendes Interesse an Abos

Das Bedürfnis nach Abo-Diensten ist längst nicht mehr auf Unterhaltung, Nachrichten oder Software beschränkt: 30 Prozent der Befragten zeigen bereits Interesse an Abos von Lebensmittellieferdiensten. Für Scott Galloway, umtriebiger Professor für Marketing an der Stern School of Business der New York University, steckt noch ein anderes Konsumentenbedürfnis hinter dem Trend: "Unternehmen haben den Fehler gemacht, Auswahl als eine gute Sache anzusehen", schreibt er in einem Ausblick für die kommenden Jahre. "Konsumenten wollen jedoch weniger Auswahl, aber stattdessen Vertrauen in die geringere Auswahl, die ihnen präsentiert wird." In einer Welt aus beinahe unendlichen Möglichkeiten würden Konsumenten Einfachheit wählen.

Stabile Einnahmequelle

Übersetzt sich das stark steigende Interesse in der Umfrage in die Realität, könnten Teile der Wirtschaft bald Kopf stehen: War früher die entscheidende Frage, wo sich ein Shop, ein Fitnessstudio oder ein Restaurant befindet, dreht sich in der Abo-Ökonomie alles um den Standort des Kunden. Konsumenten gewöhnen sich zunehmend daran, dass Güter und Dienstleistungen, die sie brauchen, zu ihnen kommen, ohne dass sie jedes Mal den Bestellknopf drücken müssen. Vom Rasierklingen- über Geschirrspülmittel- bis hin zum Fitness-Abo – das Angebot wird immer mehr.

Aus Unternehmenssicht zahlt sich ein Umstieg weg vom einmaligen Verkauf von Produkten hin zu einem Abo-Modell gleich in mehrfacher Hinsicht aus. Die wiederkehrenden und zuverlässigen Einnahmen aus Abos stehen im krassen Widerspruch zu den stark wechselnden Bedingungen am Werbemarkt oder saisonalen Schwankungen im traditionellen Verkauf, bei dem man Kunden immer wieder aufs Neue animieren muss, ein Produkt zu kaufen. Niemand kann davon so gut ein Lied singen wie die Verlagsbranche. Laut PricewaterhouseCoopers wird Werbung im Zeitungsgeschäft (Print und online) weltweit von 49,2 Milliarden Dollar im Jahr 2019 auf 36 Milliarden US-Dollar 2024 sinken – ein Rückgang um mehr als ein Viertel in fünf Jahren.

Michael Wolf, CEO der Unternehmens- und Managementberatungsagentur Active, geht indes davon aus, dass der Löwenanteil von Konsumentenausgaben künftig auf Abos fallen wird. Insgesamt rechnet er im Bereich Digital und Medien in den kommenden drei Jahren mit einem Anstieg der Konsumentenausgaben, "141 Milliarden Dollar bei Abos, weitere 46 Milliarden bei Einfachtransaktionen."

Was Abos aus Unternehmersicht ebenfalls attraktiv macht, sind die Kunden. Diese gelten nämlich als besonders treu. Fast zwei Drittel der befragten Abonnenten gaben im "End of Ownership"-Bericht an, dass sie sich mit Unternehmen, bei denen sie ein Abo haben, mehr verbunden fühlen als mit Unternehmen, deren Produkte sie im Zuge einer einmaligen Transaktion kaufen. Laut Studienautoren zeige dies, "dass Unternehmen im SEI die Beziehungen zu Kunden vertiefen und Dienstleistungen erbringen, deren Wert im Laufe der Zeit steigt." Die Geschäftswelt werde künftig stärker durch Beziehungen zu Konsumenten anstelle von Produkten definiert.

Zuora CEO Tien Tzuo auf der Konferenz Startup-Grind



Das hilft gerade in Krisenzeiten: Die Hälfte der im SEI gelisteten Unternehmen spürten vergangenes Jahr trotz globaler Pandemie keine negativen Folgen in den Unternehmensergebnissen. "Das Geschäftsmodell mit Abos ist schlichtweg widerstandsfähiger", sagt Tzuo. Die Hälfte der Abo-Unternehmen verspürte keine negativen Effekte, bei einem Viertel – darunter etwa der Videokonferenz-Dienst Zoom – explodierte der Umsatz. Ein weiteres Viertel wuchs langsamer als der Schnitt. Insgesamt hatten im SEI gelistete Unternehmen 2020 im Schnitt ein Umsatzwachstum von 11,6 Prozent, während traditionelle Produktunternehmen ein Minus von 1,6 Prozent zu verkraften hatten.

Wer nun Blut geleckt hat und sein Unternehmen in ein Abo-Business umwandeln will, für den hat Tzuo einen Rat parat: Bestehende Produkte einfach als Abo zu vermieten, funktioniere meistens nicht. Denn 69 Prozent der Befragten mögen Abos, die ihnen Zugang zu exklusiven Inhalten, Produkten oder Dienstleistungen bieten, die sie ohne Abonnement nicht bekommen würden.

Gratis ist teuer

Auch Preisgestaltung und Flexibilität seien entscheidend. Am beliebtesten ist bei Konsumenten nicht die weit verbreitete Fix-Rate, mit der man alles konsumieren kann. 72 Prozent bevorzugen vielmehr die Möglichkeit nur das zu bezahlen, was man auch tatsächlich nutzt. Besonders beliebt sind auch varientenreiche Abo-Optionen. Von mehrstufigen Abos mit Upgrade- und Downgrademöglichkeiten bis hin zu Pausieren eines Abos reichen die Möglichkeiten bei beispielhaften Unternehmen. 66 Prozent der Konsumenten wünschen sich eine höhere Flexibilität, 79 Prozent eine größere Möglichkeit, das eigene Abonnement zu managen.

Wer seinen Abo-Dienst zunächst gratis vertreiben will, um anfänglich möglichst viele Kunden anzulocken, für den hat Tzuo eine Warnung bereit: "Wir haben insgesamt zwölf Jahre an Daten darüber: Nach 30 bis 60 Tagen sinkt die Bereitschaft der Konsumenten zu zahlen rapide. Danach ist es beinahe so, als wären sie konditioniert worden, nicht zu zahlen." Eine Erfahrung, die so mancher Verlagsmanager wohl nur allzu gut nachvollziehen kann.


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