So spricht Österreich
 

So spricht Österreich

Editorial von Sebastian Loudon, Herausgeber (HORIZONT 35/2014)

Jede Zeitung hat ihre eigene Sprache. Einmal undeutlich, ein andermal klar, manchmal verzerrt, dort wieder überheblich. Da können
noch so viele unterschiedliche Autoren ihre Beiträge liefern, am Ende ergibt sich ein kumuliertes Sprachbild – zusammengesetzt aus dem Duktus von Überschriften, Vorspännen, Bild­texten, den Ein- und Ausstiegen. Die Sprache entsteht oft auch zwischen den Zeilen, dort wo sich der Geist der Redaktion verdichtet und spürbar wird. Optik und Haptik einer Zeitung wirken ebenso auf ihr Sprachbild. Und Sprache vermittelt nicht nur Information, sondern auch Stimmung und Emotion. Dabei erzählen Wortwahl und Formulierung oft mehr als der nackte Inhalt. Wie heißt es so schön? „Die Zeitung ist das Gespräch einer Nation mit sich selbst.“ Na bitte, da haben wir’s: Die Zeitung bedient sich nicht nur der Sprache, sie ist selbst ­Gespräch.

Nun verhält es sich so, dass dieses Land seit nunmehr acht Jahren eine Zeitung hat, die seinen Namen trägt und solcherart diesem Land ein Selbstgespräch der ganz besonderen Art angedeihen lässt. Die Art und Weise, wie dieses Selbstgespräch stattfindet, ist schrill und so explizt, dass es zur Obszönität nicht weit ist. „Selbstmord aus Geldnot“ titelte Österreich am 14. August nach dem Tod von Robin Williams auf Seite 1. Das ist genau nicht jener sensible Umgang mit Suizidfällen, der von Medien gefordert wird, um Nachahmungen, den so genannten „Werther-Effekt“ zu vermeiden. Nach dem Erscheinen von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ soll es zu einer Häufung von Selbstmorden unter jungen Männern gekommen sein. Was damals eher vermutend wahrgenommen wurde, ist längst Gewissheit: „Aufgrund der vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen ist es mittlerweile erwiesen, dass eine sensationsträchtige mediale Berichterstattung über Suizide weitere Suizide auslösen kann“, heißt es in einem Leitfaden
zum medialen Umgang mit Suiziden, herausgegeben vom österreichischen Kriseninterventionszentrum. Darin wird wörtlich vor „großen sensationsträchtigen Überschriften auf der Titelseite“ gewarnt, ebenso sollten „vereinfachte Erklärungen“ unbedingt vermieden werden. Mit „Selbstmord aus Geldnot“ in fetten weißen Lettern auf der schwarz eingefärbten Titelseite  hat Österreich hier einmal wieder eine Sprache an den Tag gelegt, dass es einem dieselbe verschlägt.

„Die Zeitung muss leiser werden, und teilweise sind mir ein paar Titel oder Zuspitzungen zu viel“, sagte Niki Fellner, der Sohn des Herausgebers, in einem Bestseller-Doppelinterview an der Seite seines Vaters. Dieser antwortete: „Wir beide sagen immer: Wir fahren das Ganze jetzt zurück.“ Das war zu Jahresbeginn 2010, also vor bald fünf Jahren. Meine Herren, es wird höchste Zeit, endlich damit anzufangen. Denn so spricht Österreich nicht.
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