'Sechzig ist das neue Fünfzig'
 

'Sechzig ist das neue Fünfzig'

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Interview mit 'Kurier'-Geschäftsführer Kralinger und -Herausgeber Brandstätter über die Perspektiven des Medienhauses, das dieser Tage seinen 60er feiert

HORIZONT: Der "Kurier" feiert seinen Sechziger. Bei Menschen ist das jenes Alter, in dem man sich denkt: Ein paar Jahre noch arbeiten, dann geht’s in die Pension. In welcher Phase seines Leben steht der "Kurier" Ihrer Meinung nach?

Helmut Brandstätter: Also erstens: 60 ist das neue 50! Und zweitens: Solange man jeden Tag etwas dazulernt, ist man nicht alt. Außerdem geht es bei uns ja um den Lebenszyklus von Journalismus und Medienmarken, und der ist ganz bestimmt nicht an seinem Ende, im Gegenteil: Da stecken wir mittendrin, nicht nur was den Journalismus betrifft, sondern auch, was den Aufbau des Medienhauses "Kurier" betrifft. Wir sehen uns als aktiver Teil der Veränderung, nicht als deren stiller Beobachter. Solange wir das bleiben, sind wir nicht alt.

HORIZONT: Dennoch, gerade Tageszeitungen stehen unter Druck. Wie kann es in Zeiten drastischer Einsparungen gelingen, Innovationskraft zu zeigen?

Thomas Kralinger: Indem wir das machen, was alle Unternehmen in einer Zeit des Umbruchs machen: Einerseits Strukturen anpassen und sich gleichzeitig sehr gezielt mit dem eigenen Produkt und den Wünschen der Kunden, in unserem Fall unsere Leser und unsere Werbekunden, auseinanderzusetzen. Das tun wir laufend, und den "Kurier", wie er heute aussieht, mit allem, was er bietet, hat es vor fünf Jahren noch nicht gegeben. Wir tun ja immer so, als wären nur die Zeitungen in diesem Umbruch, aber das greift ja viel zu kurz: Unsere gesamte Gesellschaft befindet sich in einem Umbruch. Und allen muss bewusst sein, übrigens auch der Politik, dass dieser Wandel nicht mit Sparprogrammen alleine zu bewältigen ist.

HORIZONT: Dennoch hat die Tageszeitung derzeit einen besonderen schwierigen Stand.

Brandstätter: Bitte kein pseudointellektuelles „Die Zeitung ist tot“-Gelaber! Es gibt keine Branche, die sich so deppert totredet wie die Medienbranche.

HORIZONT: Warum ist das so?

Brandstätter: Weil sich offensichtlich zu viele Pseudointellektuelle und zu wenige echte Journalisten zu Wort melden. Es geht immer um Journalismus, um das Erzählen von Geschichten, um das richtige Aufbereiten von Geschichten. Das ist aber alles der vergleichsweise einfache Teil. Der schwierige Part ist: Wie finanzieren wir das? In diesem Fall halte ich es wie Niki Lauda: „Wir haben ja nichts zu verschenken.“ Jeden Tag verschenken wir unsere Leistung …

HORIZONT: Wie lange noch?

Brandstätter: Wir denken derzeit sehr massiv darüber nach, es wird aber nicht den einen großen Befreiungsschlag geben, sondern eher „Trial and Error“. Was die Situation erschwert, ist, dass durch die Gratiszeitung die allgemeine Stimmung aufgekommen ist, eine Zeitung sei nichts wert. Dagegen müssen wir ankämpfen und den Menschen vermitteln: Wenn dir jemand etwas schenkt, dann bezweckt er damit auch irgendetwas. Verschenkter Journalismus ist gekaufter Journalismus. Eine Zeitung hingegen, die etwas kostet, ist auch etwas wert. Dafür kann man sich dann aber auch erwarten, dass sich die Leute, die dahinter stehen, redlich bemühen.

HORIZONT: Sie haben eingangs das Kurier Medienhaus angesprochen, für das derzeit auch Hörfunk- und TV-Spots laufen. Woraus besteht dieses Haus?

Kralinger: Natürlich ist die Tageszeitung der Markenkern, aber daneben gibt es eine Reihe kleinerer vor allem digitaler Standbeine, mit denen wir der Fragmentierung am Medien- und Werbemarkt Rechnung tragen und die dabei sind, größer zu werden. Die Übersiedlung in dieses Gebäude und der Bezug des neuen Newsrooms spielen auch eine wichtige Rolle für das Selbstverständnis als Medienhaus. Es ist nicht so, dass wir uns zum 60. Geburtstag unter das Messer eines plastischen Chirurgen gelegt haben, aber die eine oder andere Vitaminspritze haben wir uns gegönnt.

HORIZONT: Der jüngste Zugang ist der Branchendienst atmedia.at, den Sie von Michael Grabner erworben haben. Was bezwecken Sie damit?

Kralinger: Um genau zu sein, haben wir die Domain übernommen, und zwar von Gabriel Grabner. Mit diesem neuen Service folgen wir der Fragmentierung und wollen die Medienberichterstattung des "Kurier" ausbauen und auf einem erweiterten Kanal gebündelt auffindbar machen.  

HORIZONT: Was ist unter dem Dach dieses Medienhauses noch denkbar?

Kralinger: Regionale Nachrichten, Sport- oder Gesundheitsthemen – es bietet sich sehr vieles an.

HORIZONT: Als Beobachter hat man den Eindruck, die Positionierung als Medienhaus Kurier soll für eine Zeit nach der Auflösung der Mediaprint vorbauen. Ein Hirngespinst?

Kralinger: Eher die typische Sicht eines Medienjournalisten. Wir beschäftigen uns ausschließlich mit der Marke Kurier.  

HORIZONT: Der Siegeszug des mobilen Internets erschwert die Monetarisierung journalistischer Inhalte über Werbung. Wie begegnen Sie diesem Dilemma?

Kralinger: Werbekunden brauchen für ihre Markenkampagnen großformatige Werbeformen. Das steht in diametralem Gegensatz zu den mobilen Werbeformaten. Ich vermute daher, dass weitsichtige Markenstrategen zur Überzeugung gelangen, dass sich der Markenaufbau über mobile Geräte schlicht nicht herstellen lässt und sich daher wieder auf große Markenkam­pagnen in Printmedien besinnen.

HORIZONT: Native Advertising wird als mobiler Heilsbringer beschworen …

Kralinger: Damit befassen wir uns natürlich auch, aber es ist nichts anderes als weiterentwickelte Advertorials.

HORIZONT: Apropos: Der "Kurier" bringt Advertorials zwar klar gekennzeichnet, aber in der absolut gleichen Schrift und im gleichen Layout wie redaktionelle Inhalte. Schaden Sie damit nicht der Glaubwürdigkeit der Zeitung?

Brandstätter: Klarer kennzeichnen, als wir das tun, kann man nicht. Unsere Leser sind intelligent genug, um Werbung auch als solche zu identifizieren.

Kralinger: Nachdem Advertorials oft große Textbausteine enthalten, haben wir uns entschieden, sie nicht länger als optische Fremdkörper im Blatt zu haben. Werbung soll nicht stören und auch nicht den Lesefluss der Zeitung durcheinanderbringen. Aber natürlich immer klar gekennzeichnet.

HORIZONT: Herr Brandstätter, Sie prangern gern die Inserate der sogenannten öffentlichen Hand an und setzen sie mit gekauftem Journalismus gleich. Sollen denn öffentliche Institutionen oder staatsnahe Betriebe überhaupt nicht werben dürfen?

Brandstätter: Doch, jeder soll werben dürfen. Nur sollten sich die Verantwortlichen immer auch die Frage stellen, ob sie in diesem Umfang auch werben würden, wenn es ihr eigenes Geld wäre. Dank des Medientransparenzgesetzes wissen wir jetzt, wie stark die Gratiszeitungen vor allem von der Gemeinde Wien verhätschelt werden. Die öffentlichen Inserate sind die Geschäftsgrundlage dieser Zeitungen. Und was bringt es der Politik? Der Londoner Bürgermeister ist genauso beliebt wie der Wiener Bürgermeister, und das obwohl er kaum Werbung in Gratiszeitungen macht. Das sollte Michael Häupl vielleicht zu denken geben.

HORIZONT: Wie feiert der "Kurier" seinen Sechziger?

Kralinger: Wir feiern unsere Leser, mit einem groß angelegten Tag der offenen Türe am 17. Oktober.

Dieses Interview erschien bereits am 17. Oktober in der HORIZONT-Printausgabe 42/2014. Hier geht’s zur Abo-Bestellung.
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