Noch wähnen sich die Medienmacher Gibraltars angesichts des Brexits zuversichtlich. Doch ein EU-Austritt dürfte Werbeeinnahmen der Tageszeitungen und auch das Budget der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt schmälern.
Es kriselt im „Klein-England“ Südspaniens. Die Ungewissheit, was der Brexit Gibraltar bringen wird, ist in den Straßen spürbar, sie zeigt sich in den Gesichtern der Bürger, die in den Pubs des britischen Überseeterritoriums unentwegt den nahen EU-Austritt, und seine Folgen debattieren – auch die Folgen für die Kommunikationsbranche.
„Ich bin mir nicht sicher, ob der Brexit uns als Journalisten vor gröbere Probleme stellen wird“, sagt Brian Reyes vom Gibraltar Chronicle im HORIZONT-Interview. Der Chronicle ist die zweitälteste (gegründet 1801; seit 1821 periodisch) in englischer Sprache erscheinende Tageszeitung der Welt. Noch sieht man sich den Herausforderungen gewachsen, betont Reyes: „Hauptproblem bisher war es, auch für uns mit einem kleinen, fünfköpfigen Team, einigen Freelancern sowie Reuters-Agenturzugang mit all den rasanten Entwicklungen in der Berichterstattung mitzuhalten.“
Die Leserschaft wäre sehr aufmerksam, was jegliche Bewegung in Sachen Gibraltars Status betreffe, und wäre überdies auch topinformiert, sagt Reyes weiter. Man finanziere sich rein über den Verkauf der Printausgabe und Werbung, privater wie auch institutioneller. „Die Wirtschaft generell reagiert sehr sensibel auf Unsicherheiten“, räumt Reyes ein: „Das kann sich in unseren Werbeeinnahmen wiederspiegeln.“
Die Zugriffszahlen der Onlineausgabe des Chronicle verbuchten mit dem Brexit-Dilemma freilich einen Anstieg. Mehr als 40.000 Unique Clients zählte man im Oktober 2016 (Monatsdurchschnitt; 32.000, im Juli um das Referendum gar 72.000 Unique Clients), von denen je ein Drittel aus Gibraltar (38 Prozent) und England (32 Prozent) stammen, sowie immerhin 15 Prozent aus Spanien.Gibraltars Unternehmerschaft wäre jedoch eine sehr zähe, die in Widrigkeiten Chancen suche. Daher gibt sich der Chronicle-Chefredakteur zweckoptimistisch, dass Werbeeinnahmen zumindest kurz- und mittelfristig stabil bleiben würden.
„Wir planen nicht, an der Belegschaft zu kürzen“, unterstreicht Reyes: „Wenngleich gesagt werden muss, dass wir bereits jetzt mit einem doch schmalen Budget agieren.“ Zudem hat London Unterstützung zugesagt, ökonomisch dem Überseeterritorium am Affenfelsen unter die Arme zu greifen, sollte der Brexit gröbere Auswirkungen auf die doch stark vom Finanzdienstleistungssektor und dem EU-Binnenmarkt abhängige Wirtschaft haben.
Das gilt auch für die vergleichsweise sehr vielfältige Medienlandschaft am „Rock“, mit den zwei Printtageszeitungen Chronicle und Panorama, deren Onlineausgaben, einer Gratiswochenzeitung, einigen Monatsmagazinen, sowie der öffentlich-rechtlichen GBC (Gibraltar Broadcasting Corporation), die seit 1963 erst Radio-, dann TV-Programm, und schließlich auch eine Nachrichtenwebsite betreibt.Die GBC finanziert sich, ähnlich der BBC zum überwiegenden Teil staatlich; aus dem Budget Gibraltars, und damit den Steuereinnahmen. „Nur knapp drei, maximal vier Prozent unseres Etats stammen aus Werbeeinschaltungen und Sponsoring“, sagt GBC-Generaldirektor Gerard Teuma im HORIZONT-Interview.
Werbekunden seien fast alle aus Gibraltar, „die aus Spanien kann man an einer Hand abzählen“. Kurzfristig sieht man sich durch den Brexit nicht bedroht, meint Teuma. Mittel- bis langfristig jedoch könnte ein EU-Ausstritt die Wirtschaft Gibraltars derart schwächen, dass auch die Regierung gezwungen sein werde, den Haushalt der GBC zu beschneiden. Die GBC zählt aktuell 76 Mitarbeiter, TV- und Onlinenewsredaktion, Radiomoderatoren und -reporter, die täglich 26 Stunden Programm produzieren, zwei davon in spanischer Sprache. TV-Programm habe, wie Teuma betont, für die 32.000 Einwohner Gibraltars nur in den Abendstunden Sinn, so sendet man zwischen 19:30 Uhr und 23:30 Uhr nachts.
In der Brexit-Frage machte die GBC keine Kampagne für keine der Seiten. „Wir sind stets um Objektivität bemüht“, unterstreicht deren Generaldirektor. Doch man müsse sich vor Augen halten, dass knapp 95 Prozent der Bevölkerung für den Verbleib in der EU gestimmt hat. „Unsere Wirtschaft braucht den EU-Binnenmarkt.“ Den Steuerparadies-Vorwurf weist er vehement zurück: „Unsere Auflagen sind noch strenger als die Vorgaben der EU.“In einem sind sich Reyes und Teuma einig: in der Hoffnung, dass Spanien davon ablässt, Gibraltar – auf das man stets Anspruch erhob – mit dem Vorstoß „geteilter Souveränität“ gekoppelt an eine Öffnung der einzigen Festlandgrenze zu erpressen. Und dass der Grenzverkehr auch nach dem Brexit fließend, bestenfalls offen, verlaufen wird.
Der „trilaterale Prozess“, den der sozialistische Ex-Premier José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE) mit London und Gibraltar für eine fließende Kommunikation und Kooperation in wesentlichen Anliegen ins Leben gerufen hat, wäre ideal, beharrt Teuma auf dessen Wiederbelebung.
[Jan Marot]