Raabschied nehmen
 

Raabschied nehmen

Mit Stefan Raab verlässt ein ganz großer Entertainer die TV-Bühne. Für Raab ist es ein Abgang mit Stil, für ProSieben eine enorme Herausforderung, für Brainpool und den HORIZONT-Redakteur eine schlichte Katastrophe. Eine Würdigung

Dieser Artikel erschien bereits am 26. Juni in der HORIZONT-Printausgabe 26/2015. Hier geht's zur Abo-Bestellung.

Ich bin traurig. Ja, ich denke, das kann ich so sagen. Ich bin traurig, weil Stefan Raab Ende des Jahres seine TV-Karriere beendet. Fernsehen ohne Stefan Raab ist für mich einfach nicht vorstellbar – ich (26 Jahre jung) kenne es gar nicht ohne ihn. 
Als die Nachricht von Raabs TV-Abschied am Abend des 17. Juni durch die deutschsprachigen Nachrichtenseiten ging, war das eine faustdicke Überraschung. Warum sollte sich Raab, den man bei ProSieben ­unbedingt halten wollte, aus dem Fernsehen zurückziehen? Das Bild wird klarer, wenn man Raabs Karriere verfolgt hat. Seine Geradlinigkeit zeichnet ihn aus: Er steht zu seinen Aussagen, lässt keine Presse in sein Privatleben. Wer doch etwas Privates veröffentlicht, muss kurz darauf meist Gegendarstellungen drucken („Das ist nicht mein Mettbrötchen“). 1998 sagte er in einem seiner seltenen ­Interviews bereits, dass er sich nicht vorstellen könne, auch mit 50 noch Fernsehen zu machen. Raab ist jetzt 48. Dass er seine Aussage von damals wahr macht, erstaunt viele. Der Zeitpunkt aber ist gut gewählt. Selbst ­Thomas Gottschalk verneigt sich vor Raab und stellt sich in der FAZ die Frage, ob er es ihm nicht hätte gleichtun sollen: „Bleibe ich, bin ich der tragische Riese, der die Götterdämmerung verpennt hat. Gehe ich als Nächster, wirke ich wie ein Trittbrettfahrer.“ Für Raab ist es ein ­Abgang mit Stil. Er ist zwar nicht am Höhepunkt seiner Karriere, das war die Zeit um Lenas ESC-Sieg 2010/2011, aber das muss er auch gar nicht sein. Raab selbst sagte 2011 in einem SZ-Interview, dass er Leute nicht verstehen kann, die sagen, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. „Was ist das denn für ein Schwachsinn? Das zeigt aber, worauf die aus sind: auf Ruhm. Ruhm bringt aber im Leben nichts.“
Was er zukünftig macht? Das hat Raab bislang nicht verraten. Es gibt bereits Spekulationen, dass er hinter den Kameras verstärkt an Formaten arbeiten will. Vielleicht zieht er sich komplett aus der Branche zurück. Am Geld dürfte es nicht scheitern. Eines ist jedenfalls sicher: Raab wirkt nicht ausgebrannt. Einen Raab in Rente kann man sich nur schwer vorstellen.

Lustlos?

Kritiker sagen, dass Raab oft lustlos gewirkt hat und vor allem „TV total“ zu einer Nullachtfünfzehn-Sendung verkommen ist. In der Tat gab es eine lange inhaltliche Schwächephase der Late-Night-Show. Doch gerade zuletzt, seit Anfang des Jahres, lief es wieder besser. Das Stand-up wurde verlängert, die Gags waren besser. Das zahlte sich auch bei den Quoten aus: 2015 lief es für „TV total“ so gut wie seit 2007 nicht mehr. Anfang 2014 sendete ProSieben „TV total“ anlässlich des Super Bowl eine Woche lang aus New York – Raab blühte auf. Er ging auf die Straße, machte Späße und hatte Lust auf Gespräche mit seinen Gästen. Dafür erhielt er aus der Fachpresse viel Lob, zeigte er doch, dass er es immer noch kann. Aus Quotensicht war das New-York-Special kein Erfolg: Bei RTL lief zeitgleich „Das Dschungelcamp“ mit Larissa Marolt in der Hauptrolle. 
Trotz der teilweisen Lustlosigkeit Raabs wäre man bei ProSieben wohl nie auf die Idee gekommen, „TV total“ einzustellen. Die Sendung war für Raab Fernsehheimat, ein sicherer ­Hafen. Hier entstanden viele seiner TV-Ideen, die es später, abendfüllend, in das ProSieben-Programm schafften. Im „TV total“-Studio ließ sich Raab einst von Regina Halmich die Nase brechen – und machte damit das Promi-Boxen populär. Für den Sender gab es keinen Grund, nicht mehr mit Raab zusammenzuarbeiten – im ­Gegenteil. Und seien wir ehrlich: ­Welches bekannte Sendergesicht der Marke Raab hat ProSieben noch? Heidi Klum – und dann? Für den ­Sender ist der TV-Ausstieg von Raab ein harter Schlag. 

Was kommt nach Raab?

Die Brainstorming-Meetings bei ­ProSieben dürften in den nächsten Wochen länger ausfallen. Wer oder was Raab ersetzen soll, dazu will man sich derzeit nicht äußern. Die Lücke, die durch Raabs Weggang entsteht, ist aber riesig. Vier wöchentliche Sendeplätze werden am späten Abend frei, plus die vielen Samstagabend-Shows. Im Netz wird schon geunkt, ProSieben könnte die wöchentlichen Sendeplätze einfach mit noch mehr Sitcoms füllen. Ein denkbares Szenario, wenngleich das Programm dann zu einem noch größeren Einheitsbrei verschwimmen würde. Eines ist aber auch klar: Joko und Klaas alleine können das Raab-Erbe nicht antreten. 

Harte Einschnitte bei Brainpool

Große Veränderungen stehen bei Brainpool an – der Haus- und Hof-Produktionsfirma sämtlicher Raab-Events. 80 Mitarbeiter verlieren Ende des Jahres ihren Job, ihnen wurde ­bereits betriebsbedingt gekündigt. Das bestätigt Brainpool-Pressesprecherin Katja Plüm gegenüber HORIZONT. Das Unternehmen verliert damit einen großen Teil seiner 230 Mitarbeiter. Überraschend kommen die Einschnitte nicht: Blickt man auf das Brainpool-Port­folio, wird schnell klar, dass das ­Unternehmen von Raab abhängig ist. Fernab seiner Shows verantwortet Brainpool „Luke! Die Woche und ich“ (Sat.1) und „PussyTerror TV“ (WDR). Demnächst kommt mit „Popstars“ (RTL II) eine größere Show hinzu. Mit diesen Formaten allein lässt sich aber kaum eine Produktionsfirma dieser Größe betreiben. Vor allem Geschäftsführer Jörg Grabosch muss sich nun Kritik anhören: Er ist verantwortlich dafür, dass sich Brainpool nicht früher diversifiziert hat.
Ob weitere Mitarbeiter ihren Job verlieren, ist unklar. Um das einschätzen zu können, müssen sich Brainpool und ProSieben zusammensetzen. Sie müssen analysieren, welche Shows ohne Raab funktionieren könnten – bei den Sport-Events ist er meist nur Kandidat. Allerdings einer, der immer etwas über dem gesamten Event schwebt und es damit trägt. 

Raab ist Fernsehgeschichte

Wie auch immer die Veränderungen bei ProSieben und Brainpool aussehen werden: Für die Zuschauer werden sie im Programm sichtbar sein. Nicht nur Raab als Kopf wird fehlen, sondern auch seine ständig neuen Ideen zu großen TV-Shows – und das ist ein Verlust für die gesamte Branche.
Und sogar beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk dürfte man eine Träne verdrückt haben – Raab wird jetzt wohl kaum noch einmal dazu bereit sein, Deutschland beim ESC zu retten. Wieso auch? Mit der Entdeckung Lenas 2010 und ihrem Sieg in Oslo hat er es allen bewiesen. Bei der Eröffnungs-Show ein Jahr später in Düsseldorf stand er selbst im Rampenlicht und lieferte eine Performance der Extraklasse ab. Insgesamt sechs Mal war er an deutschen ESC-Auftritten beteiligt – schlechter als Platz zehn lief es nie. In der Post-Raab-Ära erreichten die Deutschen in diesem Jahr den letzten Platz. 

Raab kann sogar Politik

Dass Raab mehr kann als nur Show, hat er in den vergangenen Jahren ­bewiesen. 2013 wurde er von Pro­SiebenSat.1 zum TV-Duell zwischen ­Angela Merkel und Peer Steinbrück geschickt. Neben Anne Will (NDR), Maybrit Illner (ZDF) und Peter Kloeppel (RTL) stach Raab mit seiner Lockerheit hervor und prägte den Ausdruck „King of Kotelett“. Sein Auftritt wurde sogar für den Grimme-Preis 2014 nominiert. Auch bei ProSieben wehte dank Raab ein Hauch von Politik durchs Programm. Bei den Bundestagswahlen 2005, 2009 und 2013 veranstaltete Raab „TV total“-Specials, zwischen 2012 und 2013 präsentierte er sechs Ausgaben der Polit-Talkshow „Absolute Mehrheit“. Da die Quoten am Ende nicht mehr stimmten, kam es zu keiner Fortsetzung. 

Mehr als ein Moderator

Die vielen Shows und Erfolge von Raab zeigen: Hier geht kein gewöhnlicher TV-Moderator. Hier verlässt ein kreativer Kopf, vielleicht der kreativste, das deutsche Fernsehen. Zu spüren bekommen das zunächst die 80 Brainpool-Mitarbeiter, die ihren Job verlieren, mit etwas Verzögerung aber auch die Zuschauer. Spätestens dann, wenn sie merken, dass am Samstagabend um 1:30 Uhr nichts mehr im TV zu sehen ist. Stefan Raab hat das deutschsprachige Fernsehen auf viele Arten bereichert – und mein persönliches TV-Erlebnis sowieso. Davor kann ich mich nur verneigen.
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