‚Politico‘ will EU-Berichterstattung aufmisch...
 

‚Politico‘ will EU-Berichterstattung aufmischen

Drama, Begeisterung, Leidenschaft - das sind Begriffe, bei denen nicht jeder zuerst an EU-Politik denkt. John Harris schon.

Drama, Begeisterung, Leidenschaft - das sind Begriffe, bei denen nicht jeder zuerst an EU-Politik denkt. John Harris schon. Der Chefredakteur des US-Nachrichtenmagazins "Politico" und sein Team wollen die Europa-Berichterstattung aufmischen, mit hohem Personaleinsatz und originellem Journalismus für ein politisches und wirtschaftliches Fachpublikum.

Am frühen Dienstagmorgen ging der Online-Auftritt des europäischen Ablegers von "Politico" an den Start - zunächst nur auf Englisch. Gleichwertiger Partner der amerikanischen Medienseite ist der deutsche Axel Springer Verlag (unter anderem "Die Welt", "Bild").

"Das Thema ist ernsthaft, aber deshalb muss die Berichterstattung nicht langweilig sein", sagt Harris. Seine Journalisten würden für das Drama der Politik brennen. "Wir versuchen, etwas von dieser Begeisterung, etwas von dieser unterhaltsamen Dimension des politischen Lebens in unserer Berichterstattung zu vermitteln. Es soll Spaß machen, "Politico" zu lesen." Schwerpunkte sind vorerst die Bereiche Energie, Technologie und Gesundheit.

Bis Jahresende 120 Mitarbeiter

Stemmen sollen dies zunächst knapp 40 Journalisten, nicht nur in Brüssel, auch in London, Paris und Berlin. Möglichst bald soll auch das für Finanzthemen wichtige Frankfurt/Main hinzukommen. Inklusive nicht-journalistischen Mitarbeitern sollen es bis Jahresende ungefähr 120 sein. Auf die Dauer sind laut Harris auch Ausgaben in anderen Sprachen angedacht.

Damit will "Politico" etwas liefern, was Harris zufolge in der bisherigen Berichterstattung manchmal fehlte - er beschreibt sie als teils "abgehoben, abstrakt, eher auf den Prozess und den institutionellen Apparat konzentriert als auf die Substanz". Er sei nicht als Medienkritiker gekommen, erklärt er dann auf Nachfrage - es gehe ihm vielmehr um die Ambitionen von "Politico". Eine Ausgangsbasis hat sich das Magazin mit dem Kauf des Brüsseler Fachblattes "European Voice" geschaffen.

Mit "einigen Dutzend Geschichten" will die neue Online-Ausgabe unter der Adresse Politico.eu starten, so Harris. Sechs Spitzenartikel soll es jeden Tag geben, rund um Personalien ("Wer ist obenauf? Wer liegt am Boden? Wer bekommt diese Stelle?"), konkrete Gesetzesvorhaben oder andere politische Entscheidungen, aber auch die große Europapolitik. "Ich hoffe, dass Leser von "Politico" süchtig nach uns werden, weil sie spüren, dass wir sie schlauer machen."

Finanzieren soll sich das Projekt durch Werbung und Abonnenten des kostenpflichtigen Dienstes "Politico Pro". Neben der frei zugänglichen Online-Ausgabe sind Informationen per E-Mail geplant sowie eine kostenlose wöchentliche Druckausgabe. Auch Diskussionsveranstaltungen will Politico regelmäßig organisieren.

Vorbild soll das Preismodell der US-Ausgabe sein, mit Jahresabos von einigen Tausend bis zu mehreren Hunderttausend Dollar pro Jahr für große Abonnenten.

Ralph Büchi als Präsident von Axel Springer International sieht Politico auch als Blaupause für Journalismus jenseits der gedruckten Zeitung - ein Geschäftsbereich, auf den auch Springer setzt. "Sie haben es geschafft, als digitales Medium innerhalb weniger Jahre zum Leitmedium des politischen Journalismus zu werden - gegen sehr starke eingesessene Konkurrenten, gegen die "Washington Post", gegen die "New York Times", gegen das "Wall Street Journal"", sagt Büchi.

Am Donnerstag soll die erste gedruckte "Politico"-Ausgabe mit fast 30.000 Exemplaren erscheinen. Zur Auftaktveranstaltung in Brüssel sind unter anderem EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und EU-Ratspräsident Donald Tusk angekündigt.

Die Veranstaltung wird auch von Google unterstützt. Die EU-Kommission droht dem Unternehmen wegen mutmaßlicher Behinderung der Konkurrenz mit einer Milliardenstrafe.
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