Sinkende Marktanteile im Fernsehen, Sparvorgaben und damit fehlende Mittel, Attacken von außen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht von gleich mehreren Seiten unter Druck – eine Analyse der aktuellen Lage mit Blick auf Bauarbeiten in den jeweiligen Bereichen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 39/2019 des HORIZONT zu den Österreichischen Medientagen. Noch kein Abo? Hier klicken.
Das Bild von der Großbaustelle ORF mag abgeschmackt wirken – und trifft derzeit doch in vielerlei Hinsicht (und nicht nur auf den ORF-Neubau) zu. Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt führt einen Abwehrkampf gegen die Begehrlichkeiten der Politik und privater Konkurrenten und ringt im 52. Jahr ihres Bestehens um die Definition ihrer gesellschaftlichen Funktion und Aufgabe. Dazu kommt, dass die internationalen Player vom Zuschnitt Netflix oder Amazon den Bewegtbild-Markt völlig neu definieren. Vor allem das junge Publikum wandert in Richtung der Streamingdienste ab. Laut jüngster Bewegtbild-Studie der AGTT vom April nutzen bereits 36 Prozent der 14- bis 29-Jährigen die Angebote der US-Giganten.
Hausgemachte Probleme vereinfachen die Lage nicht unbedingt: Von vielen als personell überdimensioniert gesehene Abteilungen wie die ORF-Technik, und das trotz zehn Prozent Personaleinsparungen über das gesamte Unternehmen bis 2021; eine Unternehmenskultur, die Entscheidungen verzögert; neu aufgesetzte Führungsstrukturen (Stichwort Channel-Manager), die noch nicht alle Energie freisetzen.
Im Bereich Fernsehen wirken zudem Fehlentscheidungen aus der Vergangenheit nach: Beim Programm hat die ORF-Spitze zu spät auf die sinkende Bedeutung US-amerikanischer Filme und Serien reagiert, die Erkenntnis, dass nur Eigenproduktionen den lokalen Player im globalen Wettbewerb unterscheidbar halten, wird erst seit wenigen Jahren konsequent umgesetzt.
Kurz vor der Nationalratswahl, die auch die ORF-Zukunft wesentlich mitentscheiden wird, stellt HORIZONT die Frage: Was ist der Status quo der öffentlich-rechtlichen Angebote in TV, Radio und beim neuen ORF-Player – und welche Pläne verfolgt man am Küniglberg für ORF1 und die anderen Kanäle?
Hält Wrabetz‘ Strategie?
Die zugrunde liegende Unternehmensstrategie hat ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, der die Anstalt seit 2007 führt, vor rund drei Jahren in seinen Bewerbungsunterlagen zur (zweiten) Wiederwahl formuliert: „Kern ist die Digital-Strategie. Die nächsten fünf Jahre entscheiden darüber, ob der ORF seine Leitmedien-Funktion auch im digitalen Bereich, insbesondere im Social-Media-Bereich, halten kann.“ Die Neupositionierung von ORF1 findet sich dort ebenso wie die oben erwähnte Channel-Struktur. Und drei Jahre später?
Am Beispiel ORF1: Dort hat – im Mai des Vorjahres – Lisa Totzauer das Ruder übernommen und seitdem eine Reihe neuer TV-Formate etabliert. Ein wochentägliches Magazin am Vorabend, die regelmäßige „Dok 1“-Schiene am DonnerstagHauptabend – zuletzt erweitert durch den „Talk 1“, eine Comedy-News-Show mit Peter Klien sowie die Wahlsendung „Mein Wahlometer“. Diese Woche startet ein Unterhaltungsformat neuen Zuschnitts (die TV-Show „Feuer und Flamme“), Anfang Dezember folgt ein Vorabend-Quiz. Die Zielsetzung: mehr Informationsprogramme auf ORF1, mehr Eigenproduktionen.
‚Weg hat erst begonnen‘
Eine Zwischenbilanz der neuen ORF1-Formate fällt gemischt aus. Das „Magazin 1“ am Vorabend, der unter Programmmachern als umkämpfteste Zone gilt, will quotenmäßig nicht so recht vom Fleck kommen, oft versammeln sich dort nur 50.000 Seher vor dem Schirm. Das liegt laut Totzauer auch daran, dass „das Format wie ein Satellit in der Luft“ hänge. Ihr langfristiger Plan ist es, den Vorabend von ORF1 durchgehend mit Eigenproduktionen zu bespielen. Mit „Dok 1“ wiederum zeigt sie sich zufrieden: „Wir liegen über Sendeplatz-Schnitt, hier beginnt sich etwas zu entwicklen.“ Und grundsätzlich: „Der Weg ist der richtige. Davon sind wir überzeugt. Aber er hat erst begonnen.“ Ihren Appell für mehr Geduld mit Programm-Innovationen unterlegt sie mit weiteren Zahlen: Ein Jahr lang seien neue Produktionen im Schnitt bei Privatsendern auf Sendung, bei den Öffentlich-Rechtlichen dagegen halte die Geduld nur für drei Monate an.
Geld ist knapp
Das grundsätzliche Problem, quer über alle Kanäle, zeigt sich dabei auch bei dem jünger positionierten Kanal des ORF-Fernsehens (Zielgruppe zwölf bis 49 Jahre; 2019 hält man bisher bei 11,5 Prozent Marktanteil): Durch die klamme finanzielle Lage des ORF – vom Stiftungsrat verordnete 300 Millionen Euro Einsparungen bis 2021, dazu Einbußen von heuer acht und im kommenden Jahr prognostizierten 13 Millionen Euro bei den Werbeeinnahmen – ist das Geld für Programm-Investitionen knapp. Über sechs Millionen Euro extra verfügt ORF1 dem Vernehmen nach für die Entwicklung neuer Formate, bei gleichzeitigen Einsparungen in anderen Bereichen.
Hier beginnt auch die interne Struktur des Unternehmens hemmend zu wirken. Das Sport-Budget, primär auf ORF1 versendet, ist 79 Millionen schwer und wegen diverser für mehrere Jahre erworbener Ausstrahlungsrechte (Skisport, Formel 1) unflexibel. Dennoch muss der ORF-Sport einige Millionen Euro einsparen. Die Folge: Zwei Abteilungen, die wegen der Unternehmensmatrix keine klaren Positionen zueinander haben, streiten sich um das knapper werdende Geld.
Die neue Prioritätensetzung in Richtung Eigenproduktion betrifft auch die fiktionalen Programme des ORF. Hier hat Programmdirektorin Kathrin Zechner über die vergangenen Jahre wichtige Vorarbeit geleistet („Vorstadtweiber“, die „Landkrimis“): Sie sieht die österreichischen Serien und Filme, die der ORF mit rund 100 Millionen Euro von der heimischen Produktionslandschaft zuliefern lässt, als wichtige „Leuchttürme“ im Wettbewerb mit den großen Plattformen. „Die Frage ist: Wie sichern wir weiterhin österreichische Identität im Kampf um die Augenpaare?“ Zechners Antwort: „Fiction ist Sprache und Gesicht eines Landes. In der Erstellung ist dieses TV-Genre relativ hochpreisig im Vergleich zu Doku, Magazin oder News. Im Vergleich zu den Budgets der großen Plattformen aber sind die Summen bei uns rund ein Zehntel – also der Marktgröße angemessen. In der Verwertung über alle Ausspielplattformen relativiert sich das Investment in Fiction noch weiter.“ Unmittelbare Folge: Die Budgets für die – von den Privatsendern immer wieder kritisierten – US-Filme und -Serien vor allem auf ORF1 wurden deutlich auf rund 30 Millionen Euro gekürzt. Weil Serien aber oft in Package-Deals mit Kino-Blockbustern aus Hollywood erworben werden müssen, werden diese die Zuseher noch eine Weile begleiten.
ORF 2 lebt von den News
Während ORF1 als Sorgenkind der Senderflotte gilt, darf sich die ORF-Führung über die Entwicklung beim zweiten TV-Kanal fast uneingeschränkt freuen. Ibiza-Skandal, Neuwahlen, die daraus resultierenden langen Info-Strecken und Diskussionsformate im Wahlkampf pushten ORF 2 bis Ende August auf 19,9 Prozent Marktanteil. Wobei ein Gutteil der Seher natürlich auch von ORF1 abgezogen wird. Die TV-Information als starker – und seit Ibiza in neuem Selbstbewusstsein agierender – Quotengarant, das könnte ORF-Begehrlichkeiten der Politik in Zukunft wirkungsloser machen. In Alexander Hofer scheint ORF 2 zudem, das sieht das Gros der Beobachter so, den richtigen Channel-Manager für den Informations- und Österreich-Sender gefunden zu haben. Auch wenn seine jüngst angekündigte Programm- Offensive nicht jedermanns Geschmack entsprechen dürfte. Im Kurier kündigte Hofer neben einer neuen, mit deutschen Sendern koproduzierten Serie und einer Gartenshow am Hauptabend ein stärkeres Engagement im Bereich der volkstümlichen Musik an: Fast zeitgleich zu ServusTV wird rund um den Nationalfeiertag ein Konzert von Schlagerstar Andeas Gabalier übertragen.
Frühere Problemfelder auf ORF 2 – wie das mobile Frühstücksfernsehen (einst im ORF-Wahlkampf geschaffen, um Länderstiftungsräte zu erfreuen) und das Vorabend-Magazin „Studio 2“ – scheinen dagegen vorerst aus der Kritik.
Sparsame Sparten
Die Stiefkinder der ORF-Fernsehflotte, der Kultur- und Infokanal ORF III sowie ORF Sport+, leiden vor allem unter einem Nachteil: Ihre Budgets sind im Vergleich zu ORF1 und ORF 2 (mit 200 und 100 Millionen Euro) marginal. Mit zirka 14 Millionen Euro Programm-Budget muss Peter Schöbers ORF III auskommen und macht mit extrem günstigen Produktionsmethoden über zwei Prozent Quote – und damit nicht von allen goutierte Schule im ORF.
ORF Sport+ gilt als Anhängsel der Hauptabteilung Sport, bedient ohne große Quotenerwartungen die Partner im Randsport-Bereich. Das Budget ist mit knapp über sechs Millionen Euro vernachlässigbar.
Ö3 erfindet sich neu – ein bisschen
Im Vergleich zum Fernsehen steht die Radioflotte des ORF beinahe makellos da. Im jüngsten Radiotest (Juli 2019) kommen alle ORF-Radios zusammengerechnet auf 74 Prozent Marktanteil (Personen ab zehn Jahren). Der ORF erreicht damit täglich mehr als doppelt so viele Österreicher wie alle inländischen Privatradios zusammen. Der Marktanteil von Ö3, der mittlerweile wichtigsten Cashcow des ORF, stieg von 31 auf 32 Prozent, in der Altersgruppe der 14- bis 49-jährigen Hörer war der Zugewinn von 39 auf 41 Prozent noch deutlicher. Ö3 baut freilich
auch vor und seit Mitte September sein Programm um: Als Antwort auf den „nicht-linearen“ Radiokonsum seiner Zielgruppe gestaltete Senderchef Georg Spatt den Ö3-Nachmittag „in kürzeren Sendungseinheiten mit stärker profilierten Anmutungen“, auch um dem Eindruck vieler Hörer entgegenzutreten, das Programm „ wiederhole“ sich. Anstelle von Flächen laufen nun nachmittags und abends drei neue Sendungen. Plus: Auch das Thema Podcast wird von Ö3 mittlerweile intensiv verfolgt.
Neuer ORF-Player dauert noch
Die digitale Zukunft des ORF soll aber primär auf dem von Franz Manola entwickelten ORF-Player stattfinden. In drei Schritten, je nach gesetzlichen Möglichkeiten, soll die multimediale Plattform bis Ende 2021 starten – und künftig das Streaming aller ORF-TV-Kanäle, Sport- und Kids-Screen, einen Audio- und Topos-Bereich (Inhalte aus Kultur, Religion und Wissenschaft), dazu einen „Open Space“ für andere Marktteilnehmer unter einem Dach vereinen. Erster Schritt: der Start der Radiothek im Dezember.