ORF-Moskau-Korrespondent Paul Krisai sieht Berichterstattung gefährdet.
Russland will die Verbreitung angeblicher Falschinformationen über die russischen Streitkräfte mit drastischen Strafen belegen. Es drohen hohe Geldstrafen und bis zu 15 Jahre Haft. ORF-Moskau-Korrespondent Paul Krisai dazu: "Ab morgen dürfen wir nicht mehr so berichten wie bisher."
Unter Strafe stehen laut dem am Freitag vom russischen Parlament beschlossenen Gesetzestext das Verbreiten vermeintlicher Falschinformationen über russische Soldaten, das Diskreditieren russischer Streitkräfte und auch Aufrufe zu Sanktionen gegen Russland. Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor teilte am Freitag mit, von dem Schritt seien neben dem deutschen Auslandssender auch die Websites des britischen Rundfunksenders BBC, der in Lettland ansässigen russisch- und englischsprachigen Nachrichtenwebsite Medusa und von Swoboda betroffen. Swoboda ist der russischsprachige Sender von Radio Free Europe/Radio Liberty, einem vom US-Kongress finanzierten Medium.
Und inwieweit ist die Berichterstattung des ORF und anderer westlicher Sender vom neuen Gesetz betroffen? Paul Krisai, Leiter des ORF-Korrespondentenbüros in Moskau, zeigte sich im Ö1-Mittagsjournal am Freitag besorgt und verwies auf Aussagen eines russischen Abgeordneten, nach denen auch nicht-russische Medien unter das Gesetz fallen würden. Krisai:
"Ab morgen dürfen wir nach Ansicht der Rechtsexperten, mit denen wir bisher gesprochen haben, nicht mehr so berichten wie bisher. Wir dürfen den Krieg nicht mehr als solchen bezeichnen. Es ist bedenklich, wie schnell wir hier angelangt sind."
Neubewertung der Lage
Im ORF-Zentrum am Küniglberg betonte man auf Nachfrage freilich, dass die Berichterstattung aus Moskau gewährleistet sei. Um die Berichterstattung in jedem Fall aufrecht zu erhalten, reist Korrespondentin Miriam Beller allerdings vorübergehend nach Wien. Büroleiter Paul Krisai und Carola Schneider, die das Team vorübergehend verstärkt, bleiben in Moskau. Ziel sei es, unter den gegebenen Umständen weiterhin die gewohnt hochqualitative Berichterstattung aus Russland zu sichern. "Die Lage wird dabei selbstverständlich laufend neu bewertet", so der ORF in einem Statement gegenüber HORIZONT. Und: Auch angesichts des neuen Zensur-Gesetzes sei "die Sicherheit der ORF-Korrespondentinnen und -Korrespondenten und ihrer Teams immer oberstes Gebot". Hintergrund der Maßnahme: Diese erhöht die Flexibilität der Berichterstattung, da Miriam Beller auch kurzfristig in andere Nachbarländer der Ukraine reisen kann.
Die russischen Behörden haben ihr Vorgehen gegen kritische Stimmen in den Medien seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine massiv verschärft. Der unabhängige Radiosender Echo Moskwy (Moskauer Echo) etwa hatte am Donnerstag seine Auflösung bekannt gegeben, nachdem er wegen seiner Berichterstattung über die Invasion in der Ukraine mit einem Sendeverbot belegt worden war. Auch der unabhängige Fernsehsender Doschd wurde verboten.
Russische Medien waren nach dem Einmarsch in die Ukraine angewiesen worden, nur offizielle Informationen der russischen Behörden für ihre Berichterstattung zu verwenden. Begriffe wie "Angriff" oder "Invasion" im Zusammenhang mit dem Einmarsch in die Ukraine sind verboten.