Journalistenclub: "Sind keine Sündeböcke" - Hanusch-Linser: "unverständlich"
Die Österreichischen Bundesbahnen haben den Inhabern von Presse-Vorteilskarten unter Verweis auf die Weiterentwicklung der eigenen Compliance-Richtlinien mitgeteilt, dass sie Journalisten ab sofort keine Sonderkonditionen gewähren können. Ein entsprechender Brief von ÖBB-Vorstandschef Chrstian Kern erging an heimische Medienvertreter (siehe dazu auch das aktuelle
HORIZONT-Editorial).
Dem "Österreichischen Journalistenklub" (ÖJC) stößt dies sauer auf. In einer Aussendung von heute, Montag, den 16. April, rechnet ÖJC-Präsident Fred Turneim vor, die ÖBB verdiene mit Presse-Vorteilskarten 371.745 Euro im Jahr und moniert, dass Medienvetreter für die Bereitsstellung der Karte eine Jahresgebühr von 49,50 Euro leisten müssten. "Das macht bei 7.510 ausgestellten Karten die stolze Summe von 371.745 Euro jährlich. Und das, bevor irgendeine Leistung der ÖBB in Anspruch genommen werden kann", heißt es seitens des ÖJC. Turnheim empfiehlt seinen Mitgliedern, die Vorteilskarten zurückzugeben, auf die Rückerstattung der vorab bezahlten Kartengebühr zu verzichten und ÖBB-Chef Kern aufzufordern, den Betrag "nachweislich an die SOS-Kinderdörfer überweisen zu lassen. Und Turnheim wird folgendermaßen zitiert: "Wir Journalisten sind kein Sündenbock in der innenpolitischen Auseinandersetzung. Journalisten berichten im Inland kritisch über österreichische Missstände und im Ausland oft unter Einsatz ihres eigenen Lebens und haben es daher nicht nötig als 'bestechlich' denunziert zu werden."
Das wiederum stößt bei den ÖBB auf größtes Unverständnis. Kommunikationschefin Kristin Hanusch-Linser zu HORIZONT online: "Wir sind doch einigermaßen überrascht, dass ÖJC-Präsident Fred Turnheim den zitierten Brief ganz offensichtlich nicht richtig gelesen hat. Niemals und nirgendwo wurde ein Korruptionsvorwurf unterstellt: Wie Herr Turnheim einen solchen herauslesen kann ist unbegreiflich. Einzig und allein bezieht sich die Einstellung der Vorteilscard-Presse auf unsere eigenen Compliance-Richtlinien. Die ÖBB selbst will sich nicht dem möglichen Vorwurf der Vorteilsgewährung an Journalisten aussetzen! Ganz im Gegenteil – und der Brief ist eindeutig, würde Herr Turnheim ihn auch richtig lesen – es geht um die Stärkung unserer eigenen ethischen Normen, um Integrität, Respekt und faires Verhalten als Grundlage unseres wirtschaftlichen Handelns. Im Übrigen haben alle Medien diesen Schritt begrüßt: Es stimmt mich zuversichtlich, dass es doch eine relevante Mehrheit an Journalisten gibt, die auch den Brief richtig gelesen und interpretiert haben."
Für alle, die sich selbst ein Bild machen wollen:
Christian Kerns Brief an die Journalisten im Wortlaut:
Betreff: Information zur neuen ÖBB-Compliance-Richtlinie und VORTEILScard Presse
Sehr geehrte/r Herr/Frau XXX!
Wir informieren derzeit alle 7.510 Besitzer der VORTEILScard Presse schriftlich darüber, dass wir das Produkt „VORTEILScard Presse“ aufgrund unserer neuen Compliance Richtlinie einstellen werden. Wir halten uns dabei an internationale Gepflogenheiten, die auch bei anderen Bahnunternehmen wie z.B. DB und SBB zum Einsatz kommen. Ich möchte Sie hiermit auch persönlich über die Beweggründe für diese Entscheidung informieren. Die ÖBB haben ihre Compliance-Struktur weiterentwickelt. Durch die Implementierung eines „Code of Conduct“ und einer Antikorruptions-Stabstelle mit weisungsfreiem Chief Compliance Officer verfolgen wir interne und externe Ziele: Die konzernweite Stärkung ethischer Normen, die
Schaffung eines Arbeitsumfeldes, das Integrität, Respekt und faires Verhalten fördert sowie die gesetzestreue, wirtschaftlich und sozial verantwortliche Anbahnung und Abwicklung von Geschäften sind wesentlich. Der Code of Conduct legt Mindeststandards fest, die keinesfalls unterschritten werden dürfen. Die ÖBB unterziehen sich damit auch selbst diesen neuen Compliance Regeln und setzen einen wichtigen Schritt für die Unternehmenskultur und Korruptionsbekämpfung. Seit April hat ein unabhängiger Chief Compliance Officer die Leitung der Antikorruptionsstelle übernommen.
Nach der Überprüfung der VORTEILScard Presse durch unsere Compliance Abteilung sind unsere Experten zum Schluss gekommen, dass dieses Produkt nicht den strengen Regeln unseres Verhaltenskodex entspricht und als Vorteilsgewährung für eine einzelne Berufsgruppe zu bewerten ist. Um eine weiterhin professionelle und unabhängige Zusammenarbeit mit den Medienvertretern in Österreich zu pflegen, haben wir uns daher entschieden ab sofort keine neuen VORTEILScards Presse mehr auszustellen. Verlängerungsanträge der VORTEILScard Presse können ab 1. Juli 2012 nicht mehr eingereicht werden. Auch die vereinzelte Gratisvergabe der
ÖSTERREICHcard wird es in Zukunft nicht mehr geben. Ich hoffe auf Ihr Verständnis für die Entscheidung, das Produkt einzustellen und keine Sonderkonditionen für Medienvertreter mehr zu gewähren. Die derzeit noch im Umlauf befindlichen VORTEILScards Presse verlieren nach Ablauf ihre Gültigkeit. Die professionelle Zusammenarbeit mit Ihnen ist uns wichtig. Ich gehe davon aus, dass dieser Schritt nicht nur im Interesse der ÖBB und der Öffentlichkeit, sondern auch in Ihrem und somit im Interesse aller Medienvertreter Österreichs ist.
Mit freundlichen Grüßen