Aus Anlass der Präsentation ihrer „Perspektiven 2014“ lud die Verlagsgruppe News den deutschen Media-Experten Thomas Koch für einige Tage nach Wien, wo er vor Werbekunden, Mitarbeitern und Fachjournalisten eine Grundsatzrede über die Zukunft von Printmedien, insbesondere Magazinen, hielt.
wir erleben gerade die größte Medien-Revolution seit Erfindung des Buchdrucks. Die gedruckten Medien befinden sich, wie alle Medien, in einer Transformationsphase. Wie aber werden unsere Medien nach dieser Transformation aussehen?
Dass die Aufmerksamkeit vor dem Fernseher durch die Multi-Screen-Nutzung signifikant einbricht, ist ein Hinweis darauf, dass TV seine Rolle als Lagerfeuer abgibt. Die Kinder chatten auf ihren Zimmern, während die Eltern zwar den Fernseher anhaben, aber jeder vor Laptop, Tablet und Smartphone anderen Dingen nachgeht. Dieses Phänomen lenkt massiv vom Programm ab - und von der Werbung, die die Privatsender finanziert. Die Menschen beginnen, TV wie Radio zu nutzen.
Die Radio-Nutzung wandert vom UKW ins Digitale. An Rechnern und Smartphones haben wir Zugriff auf Tausende Web-Radioprogramme. Die Funktion des Radio-Mediums als unser Tagesbegleiter verändert sich dabei nicht, wohl aber unsere Loyalität gegenüber einzelnen Sendern. Wir hören Programm, nicht Sender. Spotify statt Radio Wien.
Die österreichischen Tageszeitungen haben im letzten Jahr ein, zwei Prozent ihrer Auflage eingebüßt, verbreiten jedoch - nach wie vor - drei Millionen Exemplare täglich. Die Zeitungen stehen dennoch vor der größten Herausforderung in ihrer 350jährigen Geschichte.
Vor zwei Jahren meldete Amazon in den USA, dass der Absatz von E-Books erstmals den der Hardcover- und Taschenbuchausgaben überflügelt habe. Bei uns stieg die Titelproduktion im vergangenen Jahr weiter an. Der Umsatzanteil der E-Bücher hat sich nichts desto trotz erneut verdoppelt: Auf nunmehr sage und schreibe zwei Prozent…
Ebenso durchlaufen die Zeitschriften diesen Prozess. Es gibt Dickschiffe, die massiv an Auflage verlieren. Massenblätter ohne jedes Profil haben sich womöglich überlebt. Nachrichten- und Wirtschaftsmagazine, Special Interest- und Lifestyle-Magazine, also alle Zeitschriften, die auf Qualitätsjournalismus setzen und ein klares Zielgruppenprofil besitzen, erweisen sich dabei als erfreulich stabil.
Gleichzeitig nimmt die Zahl der Titel immer weiter zu. Die Entwicklung ist eindeutig: Es gibt immer mehr Zeitschriften mit immer geringeren Auflagen. Die Gesamtauflage stabilisiert sich dabei auf hohem Niveau. Sie entwickeln sich vom Massen- zum Zielgruppen-Medium.
Das Internet entzieht dem Fernsehen die nachrückenden, jungen und gebildeten Zuschauer. Sie schauen YouTube und sind die Hauptnutzer der Online-Mediatheken, die zeitversetztes und weitgehend werbefreies Fernsehen ermöglichen. Die Jungen sind ihr eigener Fernsehdirektor.
Online ist ein Informations-, Unterhaltungs- und Vertriebs-Medium, vor allem jedoch ein Kommunikations-Medium. In keinem anderen Medium stört Werbung deshalb so wie hier. Die Zahl der Adblocker ist in diesem Jahr in Deutschland von 20 auf 30 Prozent gestiegen. Die Klickraten sind von ursprünglich acht Prozent auf nunmehr 0,2 Prozent gesunken.
Nach Berechnungen von Eye-Square erzielt das am häufigsten gebuchte Banner-Format „Medium Rectangle“ eine Betrachtungsdauer von 0,8‘. Die Printanzeige bringt es auf 3,9 Sekunden, den 5fachen Wert. Käme diese Analyse aus dem Printlager, würden wir sie als unglaubwürdig abtun. Sie stammt jedoch aus dem Epizentrum des Online-Business. Bis Online ein ernstzunehmendes Medium wird, müssen wir noch viel über dieses Medium lernen. Dass weniger mehr ist und dass die Nutzer nicht störende Banner, sondern Rich Media, Bewegtbild und Dialog suchen.
Während der digitale „Drops“ also noch lange nicht gegessen ist, gibt es überwältigend viele Perspektiven für die gedruckten Medien, die ein Über- und Weiterleben durchaus sinnvoll erscheinen lassen.
Untersuchungen an der University of Oregon und Erkenntnisse der Allensbach-Chefin Renate Köcher legen nahe, dass Menschen, die Printmedien lesen, Inhalte anders, wesentlich intensiver wahrnehmen, als wenn sie die gleichen Inhalte online konsumieren. Dieses Phänomen sollte werbungtreibende Unternehmen brennend interessieren.
Jürgen Scharrer, Chefredakteur der deutschen Horizont, stellte in der FAZ unter der Headline „Das Märchen vom Siegeszug der digitalen Werbung“ die berechtigte Frage: „Was aber, wenn Werbung in digitalen Kanälen eine andere und im Zweifel geringere Wirkung hat als in klassischen Medien?“
Und Richard David Precht sagte: Für ihn führe das Netz zu einer "Verstärkung von Vorurteilen", weil der User dort nur das liest, wonach er sucht. Printmedien dagegen enthielten breites Orientierungswissen ohne ideologische Vorprägung: "Wenn jemand eine Zeitung oder Zeitschrift durchblättert, findet er dort auch Informationen, nach denen er nicht unbedingt gesucht hat - das erweitert den Horizont."
Was genau ist denn dieses Phänomen der überlegenen „Wertigkeit“ von Print? Print ist schon immer nachhaltiger in seiner Kommunikation gewesen. Weshalb wir nach wie vor erfolgreiche Markenbildung und Imagewerbung besonders effektiv via Print betreiben.
Jedes andere Medium wird durch Nebentätigkeiten gestört - nur in Zeitschriften hat die Marke ihre Zielgruppe ganz für sich allein. Reichweite ist schön, Zielgruppen-relevante Reichweite ist wichtiger. Kein Medium hat wertigere, wertvollere Nutzer - Menschen, die nicht nur ein Gerät einschalten, sondern ihr Gehirn. Kein Medium erreicht mehr Meinungsbildner. Nicht anders die Wertigkeit des redaktionellen und werblichen Umfelds: kein Spam, Trash, Dating-Portale, keine Pop-ups.
Das moderne Marketing ruft ständig nach Mehr-„Wert“: Werthaltige Kommunikation, wertvolle Zielgruppen, wertsteigernde Kontakte. Recht haben die Unternehmen, die die Investitionen in ihre Marken ernst nehmen. Flüchtige Kontakte in austauschbaren Werbeträgern gibt es zuhauf und billig an jeder Straßenecke. Ich nenne das „Gammel-Media“.
Wer Nachhaltigkeit, Zielgruppenqualität und wertige Kontakte sucht, findet sie in Zeitschriften. Ohne sie ist man zum Scheitern verurteilt.
Das Scheitern haben, nach einer Studie der GfK, 40 Prozent aller Marken auf schmerzhafte Art und Weise bereits erfahren müssen: Sie haben Stammkäufer verloren. Das ist wohl das größte Debakel, das einer Marke wiederfahren kann. Sie haben die „vergessenen“ Zutaten im Media-Mix unterschätzt: Markenaufbau, Markenimage, Markenbindung.
Diese Rolle kann kein Medium den Zeitschriften streitig machen, auch nicht im Media-Mix der Zukunft. Nicht die Online-Medien, die ihre Stärke als Vertriebsmedium am Ende der Kommunikationskette ausspielen. Wo jedoch zuvor die Marke nicht aufgebaut und im unübersichtlichen Chaos der Markenvielfalt positioniert wurde, gibt es auch kein funktionierendes Ende der Kommunikationskette. Dann sinkt die Marken-Loyalität.
Entlang der Customer Journey, von der heute jeder spricht und träumt, können die Zeitschriften mit Fug und Recht von sich behaupten: „Wo wir sind, ist vorne.“
Online spielt seine crossmedialen Stärken dann aus, wenn Media-Mix ins Spiel kommt. Online in Ergänzung zu Zeitschriftenwerbung ist ein Trumpf, den viele Werbekunden längst erkannt haben. Denn hier finden zwei Medien kongenial zueinander: Zeitschriften bauen und stärken die Marke - die Websites der Magazine stellen den unmittelbaren Draht zur Marke her. Diese beiden Medien schaffen die ideale Klammer. So steigert Crossmedia den Markenwert. So wird tatsächlich (für die Media-Alchemisten unter uns) aus 1 + 1 = 3.
Ausgehend vom Marketingziel gilt es, die Funktion der Medien richtig einzuschätzen, sie nach ihrer Wirksamkeit einzusetzen und einen Media-Mix zu erzeugen, der sich an Marketing-KPIs misst, aber nicht an Cost-per-Somethings. Crossmedia bekommt so eine völlig neue Bedeutung.
Hierbei können die Medienhäuser unschätzbare Hilfe leisten, die imstande sind, die verschiedenen Medien-Kanäle wirksam zu vernetzen. Vorausgesetzt, sie arbeiten an der Qualität ihrer Vermarktung: Nicht mehr Umsatz um jeden Preis, sondern die wirksamste Lösung um jeden Preis. Wer diese Vermarktungs-Qualität an den Tag legt, wird (wieder) zu einem unverzichtbaren Medien-Partner auf der gemeinsamen Suche nach den Kommunikationslösungen der Zukunft.
Wir sollten gelernt haben, dass die Suche nach „billig“ ein Pyrrhussieg war und dass wir in Zukunft neue Wege beschreiten müssen.
Ich fordere von den Verlagen mehr Selbstvertrauen in der Vermarktung ihres einzigartigen Mediums. Ich erwarte von Kreativen und Mediaplanern mehr Selbstvertrauen bei ihrer Suche nach der wirksamsten Lösung. Von den Werbekunden darf ich erwarten, dass sie der Wirkung ihrer Kampagnen den Vorrang vor möglichst billiger Werbung geben. Und ich wünsche mir, dass alle Parteien die Experimentierfreude und Kreativität an den Tag legen, die uns diese spannende Zeit abverlangt.
(red)