'Kein Anlass für Requiem'
 

'Kein Anlass für Requiem'

Der Präsident des Verbandes Österreichischer Zeitungen (VÖZ), Thomas Kralinger, über 30 Jahre Adgar, den Zustand der Printbranche und die Stellen, an denen der Schuh drückt.

HORIZONT: Der Adgar wird heuer zum 30. Mal verliehen. Was gibt es aus Ihrer Sicht in diesem Jubiläumsjahr zu feiern?

Thomas Kralinger:
Zugegeben, die Werbeerlöse der Zeitungen und Magazine sind unter Druck. Doch Werbung in Zeitungen und Magazinen hat weiterhin eine außergewöhnlich starke Stellung am heimischen Werbemarkt. In Print wird nach wie vor fast jeder zweite Werbeeuro investiert. Österreich ist, sowohl was die Reichweiten, Auflagen als auch die Werbebuchungen angeht, eines der Top-Printländer Europas. Hinzu kommen schöne Wachstumsraten im Onlinebereich. Auch hier sind unsere Medienhäuser gut aufgestellt. Wenngleich Online mit einem Anteil von unter fünf Prozent am Werbekuchen noch ein Nischenprodukt ist.

HORIZONT: Was kann Printwerbung, was andere Kanäle nicht können?
Wo liegt der USP der Printwerbung – insbesondere gegenüber den digitalen Kanälen?

Kralinger: Printwerbung löst beim Konsumenten einen Kaufimpuls aus. Ich denke, das ist das wesentliche ­Argument für den Handel, in Print zu investieren: Zeitungen werden am Morgen vor dem Einkauf gelesen. Wir wissen aus deutschen Studien, dass ­jeder zweite Zeitschriftenleser angibt, wertvolle Impulse aus seiner Lektüre zu erhalten. 62 Prozent der Leser meinen, dass sie auf Dinge aufmerksam ­gemacht wurden, auf die sie sonst nicht gekommen wären. Zeitungen und ­Magazine führen den Leser also geradewegs zum Produkt, während er im Web nur danach suchen kann.

HORIZONT: Print hat am Werbemarkt in letzter Zeit sukzessive verloren – auch weil die Budgets in Richtung Fernsehen abgewandert sind. Wird es aus Ihrer Sicht so weitergehen beziehungsweise was kann Print unternehmen, dass die Budgets wieder zurückkommen?

Kralinger:
Print hat die aufmerksa­meren Nutzer als das Fernsehen. Das kennt jeder aus seinem persönlichen Medienkonsum. Kaum jemand sitzt konzentriert um halb acht am Abend vor dem Fernseher und wartet sehnlichst auf die Verkündigung der Nachrichten. Ein TV-Konsument macht viele Dinge gleichzeitig, da wird das Fernsehen nur mehr zur Nebenbeschäftigung. Hingegen lässt aufmerksames Lesen keine Zweitbeschäftigung zu. Die Wirkung gedruckter Anzeigen ist daher intensiver. Diese Vorteile müssen wir Werbeplanern, Mediaagenturen und Marketingleitern stärker kommunizieren. Einen Anfang haben wir im vergangenen Herbst mit ­einer B2B-Kampagne gesetzt, wo wir an 500 Entscheidungsträger 20 Postkarten mit je einem Argument für Zeitungs- und Magazinwerbung geschickt haben.

HORIZONT: Gerade hat ein renommierter österreichischer Journalist – nämlich Michael Fleischhacker mit „Die Zeitung. Ein Nachruf“ – einen Nachruf auf Print verfasst. Die letzten Entwicklungen, etwa bei WirtschaftsBlatt, KTZ, der Standard, lassen den Schluss zu, dass es Print tatsächlich schlecht geht. Wie sehen Sie das?

Kralinger:
Ein gedrucktes Buch zu publizieren, in dem das Ende der Zeitung verkündet wird, ist nicht gerade neu. Es ist nun bereits zwei Jahrzehnte her, dass US-Professor Philip Meyer sein Buch „The Vanishing Newspaper“ veröffentlicht hat. Fakt ist leider, dass das Geschäftsmodell Zeitung im traditionellen Verständnis durch die disruptive Kraft des Internets weltweit ins Wanken geraten ist. Dadurch werden – wie auch im Einzelhandel, der Musikindustrie oder den Reisebüros – die Umsätze kleiner und der Kostendruck wird größer. Dadurch sind viele Medien­häuser gezwungen, noch effizienter zu arbeiten. Wehklagen wird den Zeitungen und Magazinen in Österreich jedoch nicht gerecht. Wir haben im internationalen Vergleich weiterhin sehr hohe Reichweiten, Auflagen und vor ­allem eine beachtliche Abo-Quote.

HORIZONT: Über welche Positivmeldung zum Status quo oder der Entwicklung von Print haben Sie sich zuletzt besonders gefreut?

Kralinger:
Kürzlich hat die deutsche Wochenzeitung Die Zeit beeindruckende Umsatzzahlen vorgelegt. Die Zeit konnte ihre Leserzahlen und Anzeigenumsätze deutlich ausbauen. Aber auch in Österreich gibt es einige Erfolgsgeschichten, wie zum Beispiel Magazine im Special-Interest-Bereich. Erfreulich sind auch die Ergebnisse der JIM-Studie (die Studie des deutschen Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest, mpfs.de, dokumentiert seit 15 Jahren die Mediennutzung von Jugendlichen aus Deutschland) über das Interesse junger Menschen an Zeitungen oder die Bestätigung der Nummer-eins-­Position von Tageszeitungen bei der Wahlinformation.

HORIZONT: Über das „Sterben von Print“ kann man sehr viel lesen – besonders in Zeitungen. Ist das die journalis­tische Verpflichtung, wahrheitsgemäß über etwas Tatsächliches zu berichten – oder ist das für Sie eher der Versuch, sich den eigenen Ast abzusägen, auf dem man sitzt?

Kralinger: Man kann die Umwäl­zungen am Medienmarkt nicht ignorieren. Eine ausgewogene Bericht­erstattung über die Entwicklungen am Markt gehört da dazu. Aber genauso wenig wie unsere Branche an den Mutmaßungen eines ehemaligen Chefredakteurs genesen wird, werden ihr Meldungen darüber nachhaltig schaden. Der Ton macht die Musik. Für ein Requiem auf unsere Branche sehe ich keinen Anlass.

HORIZONT: Sehr viele Verleger haben sich in den letzten 15 Jahren mit ihren Online-Engagements beschäftigt. He­rausgekommen ist dabei eigentlich nicht sehr viel – berechnet zu Vollkosten macht kaum ein Portal mit journalistischen ­Inhalten Gewinn. Werden diese Bemühungen Ihrer Meinung nach weitergehen? Oder kommt man jetzt zum Schluss: Okay, das hat nicht funktioniert, konzentrieren wir uns wieder auf Print?

Kralinger: Die Brötchen, die man als österreichisches Medienunternehmen mit Fokus auf den heimischen Onlinemarkt backen kann, fallen einfach ­kleiner aus. Das ergibt sich schon allein aus den unterschiedlichen Erlös­größen, die man bei Print- und Onlinewerbung erzielen kann. Hinzu kommt, dass es uns noch nicht gelungen ist, journalistische Inhalte durch Paid ­Content im Web zu monetarisieren. Aufgrund der dominanten Stellung von orf.at halte ich dies bei General-Interest-Platt­formen nach wie vor für schwierig. Ich sehe aber gute Chancen für Special-­Interest-Plattformen, die ihren Nutzern einen klaren Mehrwert liefern, dass sie in Hinkunft Geld von ihren Usern einnehmen werden können. Trotzdem ist der Fokus unserer Medienhäuser klar auf digitale Innovationen gerichtet, ohne dabei das Kerngeschäft in Print zu vernachlässigen. Man muss aber bei allen Innovationen daran denken, wie man mit ihnen Geld verdienen kann, sonst verbrennt man nur Ressourcen.

HORIZONT:
Haben sich Ihrer Meinung nach die Verleger in den letzten Jahren zu sehr mit Online beschäftigt und dabei vergessen, Ideen und Innovationen für ihre Printprodukte zu realisieren? Was war oder ist für Sie die spannendste Printinnovation der letzten Jahre – so man eine solche herausgreifen kann?

Kralinger: Nein, das glaube ich nicht. Ich habe vielmehr die Gewissheit, dass die Verleger im VÖZ sehr genau wissen, was sie an ihren Printprodukten haben. Diese sind in der Regel funktionierende Produkte, die vom Leser angenommen werden. Daher braucht man diese Zeitungen nicht grundlegend umzukrempeln, sondern diese werden kontinuierlich in Nuancen weiterentwickelt. Das ist auch geschehen, wenn Sie sich die vielfältigen neuen Produkte ansehen oder auch neue Werbeformate, die die Auffälligkeit von Printwerbung weiter erhöht haben. Papier sehen wir aber als starkes Argument unserer Produkte. Ich kann also ausschließen, dass die gedruckten VÖZ-Medien in absehbarer Zeit mit einem Bildschirm am Cover erscheinen werden.

HORIZONT: Gibt es Neuigkeiten zur „Presseförderung neu“? Wie ist hier der Stand der Dinge?

Kralinger: Wir haben Gespräche mit den zuständigen Stellen in der Regierung geführt, und ich habe dabei den Eindruck gewonnen, dass sie Verständnis für die Lage der Zeitungen und Magazine aufbringen. Die Hypo-Verstaatlichung hat leider auch auf die Medienpolitik Auswirkungen und macht es nicht einfacher, die von Professor Hannes Haas vorgeschlagene Erhöhung der Presseförderung im Ausmaß von 50 Millionen Euro durchzusetzen.

HORIZONT: Wo drückt die heimische Printbranche aus Ihrer Sicht der Schuh derzeit am heftigsten? Ist es Google und sein Geschäftsmodell samt aus­geklügeltem, aber legalem Steuer­sparmodell, ist das der Öffentlich-Rechtliche, der es den heimischen Verlegern in der Onlinewelt de facto verunmöglicht, Paid-Content-Modelle einzuführen, ist es das Fehlen einer Presseförderung, die auch ihren Namen verdient – bezogen auf die Vergabepraxis und den Umfang – oder ist es überhaupt etwas ganz ­anderes?

Kralinger: Sie haben unsere wesent­lichen Problemfelder auf den Punkt gebracht. Ich will hier keine Reihung vornehmen. Wenn man die Presseförderung reformiert, wird man dazu neue Einnahmen brauchen. Wir haben eine Onlinewerbeabgabe vorgeschlagen, die den überwiegenden ­Abfluss von Werbegeldern und damit unbesteuerte Wertschöpfung aus ­Österreich dann klarerweise auch treffen muss. Wer einen besseren Vorschlag hat, dieses Ungleichgewicht zu kompensieren, bitte vor den Vorhang! Beim Urheberrecht könnten wir uns an der kürzlich von der spanischen Regierung beschlossenen Reform orientieren: Dieses Gesetz geht weiter als das deutsche Leistungsschutzrecht und bietet mehr Rechtssicherheit. ­Anders als in Deutschland, soll in ­Spanien für Ausschnitte aus Onlinepressemedien eine zwingende Vergütung zu leisten sein. Aber auch den ORF will ich nicht außen vor lassen: Wie ich höre, will dieser für 2015 eine Aufstockung seiner Gebührenmittel. Diese kann es aus unserer Sicht erst geben, wenn es zuvor zu einer Reform der Presseförderung gekommen ist.

Interview: Rainer Seebacher
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