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,Kannibalisierung findet zwischen Online und Print statt – nicht TV!‘

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Anke Schäferkordt, Geschäftsführerin Mediengruppe RTL Deutschland und Bertelsmann-Vorstandsmitglied, und Gerhard Riedler, IP Österreich, zur Entwicklung und Ausweitung des TV-Marktes

Langfassung zum Interview in der Print-Ausgabe von HORIZONT 40/2012

(Anmerkung: Das Gespräch fand in Wien am 20. September anlässlich der RTL Programmpräsentation statt. Aktuelle tragische Ereignisse wie das Ableben von Dirk Bach am 1. Oktober und die Folgen für die von Bach seit 2004 Co-Moderierte "Ich bin ein Star - holt mich hier raus" waren bei Drucklegung dieser Ausgabe am 3. Oktober noch offen)

HORIZONT: Die neue Juroren-Troika beim Supertalent, Hunziker - Bohlen - Gottschalk ist am 15. September gestartet - nicht ganz auf dem Niveau der vorherigen Staffeln, beobachten die TV-Kritiker... Zum Start sahen in Deutschland 6,34 Millionen zu - rund eine Million weniger, wie die erwähnte Kritik monierte - in Österreich sahen 341.000 Zuseher ab 12 Jahre die RTL-Casting Show - vor Jahresfrist im Oktober 2011 scorte Das Supertalent - in anderer Jurorenbesetzung durchschnittlich 487.000 Zuseher. (Aber: In Österreich hielt am 6. Oktober Das Supertalent mit 324.000 Zusehern sich sehr beachtlich gegen Markus Lanz Wetten, dass... , das fast 900.000 lockte, Anm.d.Red.)

Anke Schäferkordt: Sowohl in Deutschland als auch in Österreich hat "Das Supertalent" einen exzellenten Start hingelegt! Die Berichterstattung dazu mag kritisch sein, aber für uns gilt unverändert: Wir machen Programm für die Zuschauer und nicht für die Kritiker, damit sind wir bisher gut gefahren. Beim Vergleich mit dem Auftakt der vorangegangenen Staffel lohnt, , wie schon bei der Programmpräsentation in Köln gesagt (am 16. August, siehe Printausgabe HORIZONT 33-34-2012, Anm.),der Blick auf den Gesamtmarkt Denn der verändert sich und entwickelt sich weiter. Das betrifft RTL ebenso wie alle anderen großen Sender. Und was wir in Deutschland sehen findet natürlich auch in Österreich statt: Durch die fortschreitende Digitalisierung fragmentiert sich der Markt immer weiter. Immer neue Angebote führen dazu, dass die Kuchenstückchen etwas kleiner werden. Vor diesem Hintergrund: Ja, Das Supertalent ist schwächer gestartet als im Vorjahr - aber auf einem Level, wo "Das Supertalent" alle anderen Neustarts deutlich anführt. Für eine valide Einordnung braucht es den Vergleich zum Wettbewerb - und hier stehen wir sehr gut da, selbst wenn wir am Ende unter Vorjahresniveau liegen sollten. Wir sind realistisch genug um zu wissen, dass wir als Marktführer grad nach einem Rekordjahr wie 2011 oft im Focus der Betrachtung stehen und nicht unbedingt der Markt als Ganzes.

HORIZONT: Was bedeutet das für die Preispolitik...?

Schäferkordt: Wir machen ja keine Preise, die statisch festgelegt sind auf´s ganze Jahr. Preise bewegen sich je nach Performance immer in beide Richtungen, sowohl nach unten als auch nach oben. In Deutschland, trotz des starken Sport-Sommers mit Fußball-EM und Olympia bei den öffentlich-rechtlichen Sendern liegen wir mit unseren Preisen in etwa in dem Zielkorridor der von uns angestrebten Inflationsrate also im mittleren einstelligen Bereich. Mit heutigem Stand (20. September, Anm. hs) sind wir bei sieben oder acht Prozent Inflation, während der September etwas drunter liegt im Vergleich zum Vorjahr. Es geht also in die Richtung, die wir auch angekündigt haben.

HORIZONT: Können Sie einen Ausblick auf Marktanteile und damit TKPs für 2013 geben?

Schäferkordt: Die Fragmentierung wird sich weiter fortsetzen. Das ist schlicht und einfach Realität. Deswegen setzen wir als Zielwert auch nicht die eine Zahl - sondern sehen uns eher im Vergleich mit dem Wettbewerb. Was wir in Deutschland erreichen wollen ist klarer Marktführer in den für uns relevanten Zielgruppen zu sein mit einem ordentlichen Abstand zum Wettbewerb - und das gelingt uns weiterhin sehr gut. Was der Aufmerksamkeit mancher Betrachter entgeht ist die Tatsache, dass das Kräfteverhältnis in Sachen Programmperformance ähnlich geblieben ist - das heißt der Abstand zu unseren unmittelbaren Wettbewerbern ist nach wie vor beachtlich!

HORIZONT: Gibt es einen Schwellenwert, wann läuten die Alarmglocken?

Schäferkordt: Wir müssen immer den Markt insgesamt betrachten und uns in Relationen dazu. Auch hier gibt es nicht die eine für jeden Wochentag und Sendeplatz gültige Zahl, bei der die von Ihnen bezeichnete Alarmglocke läutet. Immer wenn wir sehen, dass wir Zuschauer verlieren, weil die Zuschauer mit einem unserer Formate nicht mehr zufrieden sind, läutet bei uns die Alarmglocke. Das gilt für jeden einzelnen Sendeplatz. Dann müssen wir uns fragen ,was los ist?', Müssen wir das Format weiterentwickeln, erfüllen wir mit Inhalt und Umsetzung noch die Wünsche, die unsere Zuschauer an uns richten - oder tun wir das nicht?' Wenn wir feststellen, dass ein Format keine ausreichende Akzeptanz mehr hat, dann nehmen wir es vom Schirm und ersetzen es durch ein Neues. Unsere tagtägliche Aufgabe im Programm ist immer die, Bestehendes weiterzuentwickeln und rechtzeitig mit neuen Ideen auf dem Bildschirm zu sein, wenn die bisherigen nicht mehr tragen. So gehören auch Formate, mit denen wir nicht mehr genug Zuschauer erreichen, genauso zum Tagesgeschäft wie große Hits. Die Alarmanlage ist, um in Ihrem Bild zu bleiben, also immer an - denn das Allerschlimmste wäre, nicht mehr wachsam zu sein. Für die Werbekunden ist entscheidend, ob das Preis-Leistungsverhältnis passt - und genau daran arbeiten wir.

HORIZONT: Wie entwickelt sich aus Ihrer Sicht der deutsche Werbemarkt bisher 2012?

Schäferkordt: In Deutschland wachsen Fernsehen und Online; Print ist rückläufig. Was wir sehen ist, dass die Kannibalisierung, die von manchem zwischen Fernsehen und Online erwartet wurde, zwischen Print und Online stattfindet. Wir hatten in Deutschland im Fernsehen einen guten Start ins Jahr 2012 und haben in der Folge erlebt, was wir in typischen großen Sportjahren immer sehen: Dass die Werbekunden den Ereignissen selbst eher ausweichen. Gerade der August war daher nicht so stark, bedingt durch die Olympischen Spiele. Insgesamt ist es aber so, dass Fernsehen sich ganz gut hält, da ist Deutschland bisher eine Insel der Stabilität im europäischen Markt. In den südlichen europäischen Ländern sehen wir einen deutlichen Abwärtstrend, , die Konsumzahlen sind anhaltend rückläufig. Im zweiten Halbjahr ist leider auch der französische Werbemarkt rückläufig.

Gerhard Riedler: Was zur Entwicklung des deutschen Werbemarkt gesagt wurde, gilt eindeutig auch für Österreich: Online substituiert Print, Fernsehen ist stabil und steigt sogar und der Gesamt-TV-Markt steigt auch netto. Das ist ein ganz klares Zeichen: Wenn Budgets enger werden versuchen die Werbekunden, das Optimum aus den Budgets herauszuholen. Da ist kein Platz für Experimente, sondern es wird auf das stärkste Medium gesetzt. Für die IP-Österreich gesprochen: Wir haben ein gutes Jahr, es ist nicht mehr so gut beziehungsweise außergewöhnlich wie in den letzten Jahren, wo wir zweistellige Wachstumsraten hatten. Das hängt auch mit dem Ende des Digitalisierungseffektes in Österreich zusammen.

HORIZONT: In Köln wurde RTL Nitro sehr in den Vordergrund gestellt - mit dem begründenden Satz "Wenn der Markt sich fragmentiert, fragmentiere mit" - nun ist RTL Nitro über Satellit zu empfangen und somit technisch für rund 45 Prozent der österreichischen Haushalte verfügbar, kommt da eine Initiative für die Kabelbetreiber beziehungsweise Werbefenster?

Schäferkordt: In einigen Kabelnetzen, ist RTL Nitro in Österreich bereits eingespeist. Das Werbefenster ist eine zweite Sache und hängt von der Performance ab. In Deutschland sind wir hervorragend gestartet.

HORIZONT: Vor Jahresfrist gab es eine Andeutung, dass ein Werbefenster auf n-tv kommen könnte...?

Riedler: Das ist nach wie vor in Planung und Diskussion. Wir müssen aber abschätzen, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist - sich also die Kosten für das Werbefenster auch rechnen. Das ist eine enge Geschichte.

HORIZONT: Online kannibalisiert beziehungsweise substituiert Print - welchen Anteil hat Online beim IP-Vermarktungsvolumen?

Schäferkordt: Wir müssen unterscheiden ganz klassisch zwischen Display, was wir In-Page nennen, und In Stream beziehungsweise Video-Advertising. Video-Advertising im Internet wird für uns einer der wesentlichen Treiber des Wachstums sein! Wir sehen in diesem Segment zweistellige Wachstumsraten im Werbemarkt und insbesondere auch bei den Nutzerzahlen. Allein bei der mobilen Nutzung haben wir im Vergleich zum letzten Jahr ein Wachstum von über 90 Prozent und ich bin sicher, dass wir bei all diesen Angeboten heute erst ganz am Anfang stehen. Unser Angebot zum zeitversetzen Fernsehen RTL now wurde 2007 gegründet und war nur auf dem PC verfügbar, damals noch mit einem eingeschränkten Programm-Angebot. Heute sind wir mit einem Großteil unseres Programms online, verzeichnen monatlich bis zu 20 Millionen Abrufe und haben die Marke NOW zum zeitversetzen Abruf unserer Sendungen auf fast alle Sender der Mediengruppe ausgeweitet. Mittlerweile ist das Angebot auf mobile Endgeräte erweitert und wir kommen demnächst über hybride Endgeräte, auch Smart-TV genannt, aus dem Netz wieder auf den großen Bildschirm ins Wohnzimmer zurück, wo das Angebot auch hingehört. Wenn die Verbreitung hier weiter fortschreitet wird das für uns zu einem relevanten Faktor.

HORIZONT: Der lineare TV-Angebote wiederum subsituieren könnte?

Schäferkordt: Auf den bisherigen Endgeräten PC, Smartphone und Tablet, handelt es sich bisher um eine reine on-top Nutzung. Die lineare TV-Nutzung ist zuletzt sogar noch gestiegen und lag im letzten Jahr europaweit auf Rekordniveau - Die Bewegtbildnutzung auf allen anderen Endgeräten kam dazu. Wenn wir demnächst über Smart TV zurück auf den großen Bildschirmen im Wohnzimmer sind, werden wir weitere wichtige Erfahrungen über die non-lineare Nutzung sammeln. Entscheidend ist, dass wir mit attraktiven Angeboten nicht nur eine hohe Nutzung beim Zuschauer erreichen. Die Bewegtbildnutzung auf allen Endgeräten muss erfasst und in einer Währung abgebildet und ausgewiesen werden, die der heutigen Fernsehwährung zumindest vergleichbar ist und es den Kunden ermöglicht, eine angemessene Kampagnenplanung machen zu können. Um zu wissen, ob er zusätzliche Zuschauer erreicht und auch welche Zuschauer er erreicht, ist das ganz wichtig. Diese sogenannte Konvergenzwährung, die wir vorantreiben, ist durch die AGF in Vorbereitung und wir werden in Deutschland erste Schritte dazu schon im nächsten Jahr machen. Die Forschung dazu ist sehr aufwändig, es hat auch eine Zeit gebraucht, bis wir die Fernsehnutzung messen konnten, die nicht über Kabel, DVB-T oder Satellit kommt - inzwischen sind zumindest IPTV und Gäste-Nutzung am TV schon miterfasst und ausgewiesen. Die Forschung hält nie so richtig Schritt mit dem veränderten Nutzungsverhalten. Je mehr unsere Bewegtbildinhalte auf unterschiedlichsten Endgeräten genutzt werden, desto dringlicher wollen wir dies auch für unsere Kunden transparent machen. Nach heutigem Stand kommen wir hier in sehr absehbarer Zeit endlich einen wichtigen Schritt voran.

HORIZONT: Nochmal Währung, diesmal im Sendervergleich: Bereits in Köln haben Sie und jetzt in Wien Gerhard Riedler auf die Erweiterung der Vergleichszielgruppe von 12 bis 49 Jahre auf 20 bis 59 Jahre gedrungen - wird das eine eigene RTL beziehungsweise IP-Währung?

Schäferkordt: Es muss eine Marktwährung sein, keine IP- oder RTL-Währung! Was für uns wichtig ist: Diese neue Währung als Referenzzielgruppe muss wieder einen relevanten Teil der Bevölkerung umfassen und vor allem den Teil der Bevölkerung , der Fernsehen schaut und den unsere Werbekunden ansprechen wollen. Wie diese Währung dann heißt und worauf sich der Markt am Ende einigt, ist ein Zweites. Aus unserer Sicht macht aufgrund der Altersstruktur unserer Gesellschaft die Beschränkung bis 49 Jahre jedenfalls keinen Sinn mehr, da wir damit in Kürze nicht einmal mehr die Hälfte des TV-Publikums abbilden. Referenz im eigentlichen Sinne meint wohl etwas anderes.

HORIZONT: Heißt Sie weisen parallel aus in eigener Sache oder nur mehr 20 bis 59 Jahre?

Schäferkordt: Für eine Übergangszeit weisen wir noch parallel aus.

Riedler: Es muss natürlich eine Währung geben, so wie das Fußalltor nicht unterschiedlich groß sein kann... . Einerseits müssen wir uns mit den Marktteilnehmern verständigen, aber es spielen auch die Journalisten eine Rolle, die ja darüber schreiben. Wir versuchen Überzeugungsarbeit zu leisten - wenn es 18 bis 59 Jahre sein werden, wird uns das auch recht sein. Die Referenzzielgruppe 14 bis 49 Jahre bildet nicht einmal mehr die Hälfte der Bevölkerung ab - da brauchen wir einen neuen Maßstab.

HORIZONT: Zu RTL-News Anchor Peter Kloeppel und dem Thementag "Armes Deutschland, Reiches Deutschland" am 10.Oktober - das Thema vom Morgen bis zur Primetime in den Nachrichten- und Reportageformaten, mit einer eigenen Peter-Kloeppel-Reportage und einem Stern-TV-Schwerpunkt - das ist ein sehr hartes Thema... "Soziale Gerechtigkeit"?

Schäferkordt: Es ist vor allem ein relevantes Thema für unsere Zuschauer! Wir müssen solche Themen abdecken, daran führt kein Weg vorbei. RTL ist ja kein reiner Entertainmentdampfer. Wir wollen beides - unsere Zuschauer unterhalten, aber auch informieren. Genau das macht die Stärke von RTL aus.



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