IS - "Jeder Betrachter entscheidet"
 

IS - "Jeder Betrachter entscheidet"

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Propaganda-Fotos von schrecklicher Wucht: Die Hinrichtung des US-Journalisten James Foley durch Anhänger der jihadistischen Terrorgruppe Islamischer Staat (IS, vormals ISIS/ISIL) stellt Medien und ihre Nutzer vor heikle Gewissensfragen.

Propaganda-Fotos von schrecklicher Wucht: Die Hinrichtung des US-Journalisten James Foley durch Anhänger der jihadistischen Terrorgruppe Islamischer Staat (IS, vormals ISIS/ISIL) stellt Medien und ihre Nutzer vor heikle Gewissensfragen.

Es sind abscheuliche, verstörende Bilder: Ein Mann schaut in die Kamera, kahlgeschoren, bald soll er enthauptet werden. Kaum waren am Mittwoch die Bilder Foleys vor seiner angeblichen Ermordung aufgetaucht, verbreitete sich auf Twitter und Facebook dieser Anblick des Leidens millionenfach in Sekundenschnelle. Bald brüstete sich die IS-Terrorgruppe mit den Fotos. Sie hatte ihren Propagandaerfolg. Mit den Bildern war es ihnen gelungen, auch im Netz Angst und Schrecken zu verbreiten.

Zwar sperrten soziale Netzwerke bald die Videos von der mutmaßlichen Enthauptung. Doch solche Darstellungen der Gewalt stellen die Medien immer wieder vor die Frage, wie sie mit den Terror-Bildern umgehen sollen. Fotos von enthaupteten IS-Opfern werden bereits seit Wochen auch in etablierten Medien gezeigt.

Auf Foleys Hinrichtungsfotos wollte die Mehrheit der Nachrichtenmedien verzichten, wie aus einer dpa-Umfrage hervorging. "Man darf sich nicht zum nützlichen Idioten von terroristischen Verbrechern machen", sagte etwa Heribert Prantl, Politikchef der "Süddeutschen Zeitung". Die Redaktion werde das Verbrechen nur schriftlich schildern.

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" wollte ebenfalls auf "Schock-Bilder" verzichten. Auch Spiegel Online und Zeit Online zeigten das IS-Material nicht. Die ARD wollte lediglich als Auszug Foleys verpixeltes Standbild zeigen - zur Dokumentation.

Wie weit sollen Redaktionen gehen, um ein Ereignis für die Leser plastisch und informativ darzustellen? Das Dilemma ist nicht neu, hat sich aber im Internet-Zeitalter verschärft, sagte die Kunsthistorikerin und Medienwissenschaftlerin Charlotte Klonk von der Berliner Humboldt-Universität.

Druck auf Printmedien steigt

Das Netz habe den Druck auf die Printmedien enorm erhöht. "Jedes Bild ist nur ein Klick entfernt." Dennoch sollten sich Redaktionen diesem Druck nicht beugen und ihre Rolle als "Schleusenwärter" weiter wahrnehmen, sagte Klonk, die über die Instrumentalisierung von Bildern durch Terroristen forscht

Der Deutsche Presserat hat als Selbstkontrollorgan Regeln für den Umgang mit Gewaltdarstellungen aufgestellt. Eine Veröffentlichung von Bildern Foleys etwa kurz vor seiner Ermordung aus Informationsgründen und Ereignis der Zeitgeschichte sei zwar denkbar, sagt Geschäftsführer Lutz Tillmanns. Doch sollte das Opfer auf jeden Fall unkenntlich gemacht werden. "Wer Bilder veröffentlicht, auf denen der Journalist erkennbar wird, macht sich ethisch angreifbar."

Der Stuttgarter Medienwissenschaftler Oliver Zöllner plädiert dagegen für Komplettverzicht. "Welche Zusatzinformationen sollen eigentlich solche Bilder liefern", fragt Zöllner und erinnert daran: "Für diese Fotos musste ein Mensch sterben." Zöllner, der an der Hochschule der Medien lehrt, wünscht sich eine öffentliche Debatte. "Wollen wir etwa in einer Gesellschaft leben, in der solche Bilder akzeptabel sind?". Schon in der Schule sollten Kinder über den ethischen Umgang mit Bildern aufgeklärt werden.

"Horrorbilder sind Strategie"

"Die Horrorbilder sind Strategie", schrieb der Reporter Daniel Etter auf Zeit Online, der Foley zuletzt im Sommer 2012 in Aleppo begegnet war. "Sie verbreiten Terror in den sozialen Medien, die kaum zu kontrollieren sind, und werden oft genug von den traditionellen Medien aufgegriffen." Er wolle sich nicht vorstellen, wie es für Foleys Familie gewesen sein müsse, vom Tod des Sohnes und Bruders im Internet zu erfahren.

Für Charlotte Klonk stehen angesichts der digitalen Bilderflut Nutzer und Leser mehr denn je in der Verantwortung. "Jeder einzelne Betrachter entscheidet, welches Bild er sich anschauen will - und welches nicht." Klonk plädiert dafür, sich solchen Bildern zu verweigern. Das klinge zwar nach Boykott, sagt die Berliner Kunsthistorikerin. "Doch auch ein Boykott kann auf lange Sicht erfolgreich sein", hofft sie.
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