Die Journalistin, Autorin und Podcasterin Solmaz Khorsand spricht mit HORIZONT über Diversität und Solidarität in der Medienbranche und ihren Anspruch an den Journalismus.
Es hat 314 Jahre gedauert: Zum Internationalen Frauentag 2017 schrieb Solmaz Khorsand als erste Frau in der Geschichte der Wiener Zeitung den Leitartikel. Im HORIZONT-Interview erzählt die Journalistin (Republik), Kolumnistin (Datum), Podcasterin („Ganz offen gesagt“) und Autorin („Pathos“, Kremayr & Scheriau), dass es ihr dabei aber um etwas Größeres ging:
HORIZONT: Sie haben 2017 zum Internationalen Frauentag als erste Frau den Leitartikel in der Wiener Zeitung geschrieben. Wie sehr mussten Sie dafür kämpfen? Ich sage jetzt bewusst kämpfen, denn wäre es eine Selbstverständlichkeit gewesen, hätte es nicht 314 Jahre gedauert.
Solmaz Khorsand: Ich tue mir da ein bisschen schwer mit diesem Leitartikel-Thema, weil ich merke, dass es von einigen instrumentalisiert wird, um gegen die Wiener Zeitung zu bashen. Das wird sehr martialisch dargestellt, auch in feministischen Kreisen, weil sich so die Geschichte eines Kampfes besser erzählen lässt. Ja, es hat gebraucht, bis es so weit war und ohne diese Initiative wäre es vielleicht auch nicht so weit gekommen, dass Frauen plötzlich die Leitartikel schreiben, aber ich muss ergänzen, dass sich die meisten in der Redaktion nicht dagegen gestellt haben.
Es ging mir damals nicht ausschließlich um die Leitartikel, sondern um etwas Größeres: Eine Woche lang zu zeigen, wie feministischer Journalismus klug aussehen kann. Und zwar ohne pinke Schleifen am Frauentag, sondern inhaltlich quer durch alle Ressorts, in der Auswahl der Themen, der Protagonistinnen und der bewussten Anfrage von Expertinnen, aber auch in der Ästhetik. Indem man zum Beispiel auf die Bildsprache achtet, und nicht immer jeden Text stumpfsinnig mit Männern bebildert, weil das einfacher ist, als sich Alternativen zu überlegen.
Wie nachhaltig waren diese Veränderungen, die Sie und Ihre Kolleginnen da angestoßen haben?
Ich bin relativ bald danach zum Republik Magazin gegangen. Die Leitartikel wurden dann schon häufiger von Frauen geschrieben, auch von Kolleginnen, die in der Woche keine Leitartikel schreiben wollten, weil es ihnen zu aktivistisch war. Aber ich muss in diesem Zusammenhang immer wieder betonen, da ich auch in vielen anderen Medienhäusern gearbeitet habe, dass die Wiener Zeitung oft feministischer agiert, als andere Redaktionen. Nicht ideal, und mit viel Luft nach oben, aber in Relation nicht schlechter als die Konkurrenz.
Ich habe eher das Gefühl, dass man bei Redaktionen, die sich selbst als sehr progressiv empfinden, eher hinterfragen sollte, wie progressiv sie wirklich sind. Je mehr man so etwas vor sich her trägt, desto kritischer würde ich da sein.
Sie haben in einem Podcast zu diesem Thema gesagt, dass Frauen im Journalismus vielleicht auch an sich gezweifelt haben, ob sie überhaupt einen Leitartikel schreiben können, während viele Männer da gar nicht drüber nachdenken, ob sie gut genug sind oder etwas Gutes zu sagen haben. Die machten das einfach.
Ich habe damals den aktuellen Leitartikel hergenommen, meinen Kolleginnen vorgelesen und sie gefragt: Findet ihr, das ist ein Meisterwerk, dem ihr nicht gerecht werden könnt? Die meisten haben dann gelacht. Ich denke, dass die Hemmung einen Leitartikel zu schreiben mit der Denke zusammenhängt, dass ihn nur eine „wichtige Person“ schreiben kann. Aber ich halte nichts von dieser Hierarchiedenke. Ob das ein Chefredakteur oder eine Ressortleiterin oder ein Praktikant ist - wenn er oder sie gut schreiben kann und einen schlauen Gedanken hat, kann er oder sie auch den Leitartikel schreiben.
Was sind, Ihrer Meinung nach, die größten Herausforderungen für Frauen in der österreichischen Medienbranche?
Diese Art von Frage impliziert immer, dass es mehr Frauen in den Redaktionen braucht. Das ist für mich zu kurz gedacht. Es geht darum, dass man diese homosozialen Räume aufbricht und diese drücken sich für mich nicht durch Männer aus, sondern durch Männer und Frauen, die alle gleich ticken, gleich handeln, gleich managen und daher auch immer das gleiche Personal rekrutieren. Eine Frau, die da „reinpasst“ macht keine Diversität, sondern ist nur more of the same. Wir müssen darauf schauen, wie dieser Homosozialität insgesamt entgegengewirkt werden kann.
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