Michael Stix, Geschäftsführer der ProSiebenSat.1-Puls 4-Gruppe, über Integration von ATV, ein Angebot an den Mitbewerb, die große Bedrohung Amazon und Co - und den hoch intensiven Kampf um Rechte.
Welche Aufgaben wurden noch nicht erledigt?Der größte noch anstehende Punkt ist die technische Integration der Sender. Dieser Prozess muss redundant laufen, um während der Übersiedlung alle Signale sicherstellen zu können. Das große Projekt dahinter ist die Sendeabwicklung im Puls 4-Center, um dann auch ATV in echtem Full HD und als Adressable TV anbieten zu können. Ab Ende November strahlt ATV in nativem HD aus. Aus Vermarktungssicht integrieren wir aktuell die Buchungssysteme für die TV-Vermarktung, so dass bis spätestens 1. Jänner alle Sender inklusive der beiden ATV-Sender über ein System buchbar sind.
Das erklärte und im damaligen HORIZONT-Interview geäußerte Ziel beim Kauf im April war, Marktanteile und zugleich Umsätze zu steigern. Die beiden ATV-Sender verbuchten in der Gesamtbevölkerung im August Zuwächse, Puls 4 Einbußen. Wie haben sich die Umsätze entwickelt?Die Marktanteile bereiten uns extrem viel Freude. ATV 2 ist auf einem All-Time-High, ATV entwickelte sich im August sogar schon auf Augenhöhe von Puls 4 und somit prächtig. Puls 4 verzeichnet keine Einbußen, ganz im Gegenteil, Puls 4 ist auch 2017 der erfolgreichste österreichische Privatsender und wächst sogar auch noch. Die von uns vorgenommene komplementäre Programmierung der Sender macht sich da voll bezahlt.
Und die Umsätze?Wir haben in nur vier Monaten den Negativtrend von ATV beenden können. Die ATV-Umsätze befanden sich bei der Übernahme im Vergleich zum Vorjahr - im zweistelligen Prozentbereich - im Minus. Jetzt agieren wir schon wieder über dem Vorjahr und auch schon in Richtung des von uns vorgegebenen Plans.
Wie wurde das realisiert?Wir haben seit dem Kauf intensiv bei den Agenturen, den Agentur-Researchern und Kunden aufgezeigt, wohin sich die Sender entwickeln sollen und wir investieren werden. Teil der Überzeugungsarbeit war es zu untermauern, dass wir ab sofort drei reine österreichische Sender bieten, auf denen wir beispielsweise unsere großen Hollywood-Deals künftig ausspielen können. Mit Hard Facts und sich gut entwickelnden Quoten ist es gelungen, dass der Markt auch unterjährig wieder Vertrauen in die beiden Sender gelegt hat. Da ist ein deutlicher Umsatz-Turnaround zu verbuchen. Wir haben einen Sanierungsfall übernommen, sind aber zuversichtlich, den Turnaround-Plan für die nächsten drei Jahre einhalten zu können.
Mit dem Aufwand der Integration und Investments in die gemeinsame technische Abwicklung ist parallel das Ziel ausgegeben worden, 15 Millionen Euro kostenseitig zu sparen. Wo wurde denn der Sparstift angesetzt?Auf Kostenseite entsteht das größte Einsparungspotenzial erst mit der Zusammenführung der Standorte, weil wir dann in den technischen Kosten eine volle Ersparnis verzeichnen. Weiters verhandeln wir mit diversen Zulieferern und Partnern
Für den ebenfalls mit erworbenen ATV2 gab es im Frühjahr noch kein fertiges Konzept. Was wird aus dem Sender?ATV 2 wird derzeit von einem eigenem Projektteam analysiert. Klare Erkenntnis aus dieser Arbeit ist die enorm starke Marke, daher werden wir den Namen auch beibehalten. Wir sind sehr optimistisch, dass wir in naher Zukunft mit ATV 2 den Marktbegleiter Servus TV in der werberelevanten Zielgruppe überholen können. Inhaltlich, und das merkt man bereits als Zuseher, werden wir auch auf Hollywood-Inhalte setzen.
Für die bestehenden Sender in der Gruppe wurde kürzlich die neue App Zappn gelauncht, die Livestreams und Mediatheken der Sender beheimatet. ATV ist seit wenigen Tagen ebenso integriert. Wie fällt das erste Resümee aus?Zappn ist unser seit Jahren erfolgreichster Start eines Digitalprojekts in Österreich, so eine TV-App ist einmalig im gesamten deutschsprachigen Raum. All unsere Download-Vorgaben, gemäß Business Plan für 2017, sind innerhalb von sieben Werktagen übertroffen worden: Wir stehen aktuell bei knapp 100.000 Downloads - mit beachtlichen Nutzungszahlen. Zappn ist in unserer Strategie ein wesentlicher Bestandteil für 2018: Wir streamen lineares Fernsehen live und schalten damit auch die Werbung, die im klassischen Fernsehen läuft, 1:1 durch. Dadurch ist die App ein neuer Übertragungsweg des klassischen Fernsehens und dessen Werbeblöcken. Die App ist zudem so programmiert, dass sie offen ist für Dritte - wir laden den Mitbewerb hiermit auch ein, auf Zappn vertreten zu sein.
Warum dieser Schritt?In der mobilen Nutzung sind nicht der öffentlich-rechtliche oder RTL unsere Mitbewerber, sondern die großen US-Companys. Eine kostenlose App mit vielen nationalen Programmen und Werbeblöcken kann ein starker Gegenpunkt im lokalen Österreich gegen Facebook und Co werden.
Wurden mit dem Mitbewerb bereits Gespräche geführt?Ja, wir sprechen bereits mit Partnern wie Sport1, aber auch anderen Anbietern. Das müssen nicht zwingenderweise nationale TV-Sender sein, auch regionale Sender könnten vertreten sein.
Welches Refinanzierungskonzept steht hinter der App? Ist es rein als neuer Distributionskanal für die Fernsehinhalte und der dort vorhandenen Werbung zu sehen, oder gibt es auch Überlegungen, die App gesondert digital zu vermarkten?Neben den bereits angesprochenen ohnehin linear im Programm ausgelieferten TV-Werbeblöcken, schalten wir vorerst nur im On-Demand-Bereich Pre-Rolls. Im ersten Schritt geht es um maximale Reichweite und kontinuierliche Nutzung. Eine zukünftige Hybrid-Quote der AGTT, die die App-Nutzung dann auch abbildet, würde dann die klassische TV-Werbeblock-Reichweite stärken.
Spiegelt das ein wenig die Situation wieder, dass in etwa 80 Prozent der Umsätze der Gruppe immer noch aus der linearen Klassik kommen und Sie dieses Segment dadurch stärken; und die nonlineare Spotvermarktung eventuell gar nicht die ihr oft zugemessene Bedeutung hat?Das höchste Ziel mit diesem digitalen Projekt ist eine laufende lineare TV-Nutzung auf mobilen Endgeräten. Mit dem Ausspielen von Pre- und Midrolls werden wir daher sehr sensibel vorgehen. Mittelfristig wollen wir aber natürlich auch digital gesondert vermarkten, weil Pre- und Midrolls im Umfeld von klassischen TV-Inhalten am wertvollsten sind, weil wir Premiumumfelder bieten - Stichwort: Brand Safety.
Zurück zu den klassischen TV-Sendern: Puls 4 hat kürzlich die Europa-League-Rechte um drei weitere Jahre erworben. Als Beobachter war das gefühlt ein intensives Ringen. Wie weit an die Schmerzgrenze mussten Sie denn gehen?Schmerzgrenze ist sicher das passende Wort, ohne dass ich konkrete Zahlen nennen werde. Natürlich haben wir lange gezittert, auch weil bekannt wurde, dass die Champions League komplett aus dem Free-TV verschwindet. Um das einzig verfügbare UEFA-Klubevent im Free-TV zu behalten, haben wir alle finanziellen Möglichkeiten bei uns ausgereizt. Wir sind überzeugt, dass sich das auszahlt und sich dieser USP in den Quoten als auch in der Vermarktung widerspiegeln wird. Dies zeigen auch schon Gespräche mit Sponsoren, die jetzt schon für das zukünftig "einzige UEFA-Free-TV-Fenster" in Österreich großes Interesse signalisieren.
Jetzt war dieser Rechteerwerb schon ein hartes Match, die Champions League wird wie angesprochen komplett aus dem Free-TV verschwinden. Werden solche Sportrechte künftig nur noch im Pay-TV laufen? Oder werden Privatsender im Free-TV künftig wieder mehr Geld in die Hand nehmen müssen?Das ist die Kernfrage für die nächsten Jahre. Ich glaube schon, dass es ein noch härterer Fight ab 2021 für zum Beispiel die UEFA Europa League werden wird. Wir sehen uns konfrontiert mit großen Anbietern wie Amazon, die teilweise, wie im Fall der deutschen Bundesliga, bereits Audiorechte halten; und dazu weitere Payund Onlineanbieter in das Match einsteigen werden. Entscheidend wird der Druck der Sponsoren der einzelnen Bewerbe und der Teams sein. Jedes Recht, dass vollständig zumindest im deutschsprachigen Raum hinter die Pay-Schranke geht, verzeichnet einen massiven Reichweiteneinbruch für sämtliche Sponsoren. Gleichzeitig läuft dieses Recht Gefahr, aus dem Blickwinkel des breiten öffentlichen Interesses mittelfristig zu geraten, da es auch im täglichen Leben nicht mehr "Talk of town" bei den Menschen sein wird.
Sie haben vorhin den globalen Player Amazon angesprochen, den Ihre Gruppe in Österreich ja auch digital vermarktet. Amazon streckt seine Fühler immer mehr in Richtung Rechtepaketen. Wann wird der Gigant den Schritt ins klassische, lineare TV wagen?Das machen die ja jetzt schon bereits teilweise, indem Pay-Angebote in der Amazon-App und über den Fire Stick angeboten werden, wodurch etwa Eurosport über Amazon bezogen werden kann. Amazon, die wir ja in Österreich gleichzeitig digital vermarkten, wird damit also auch zu einer Pay-Plattform für Dritte. Das Verhalten von Google und Facebook zeigt ja auch, dass sie am liebsten ein linearer TV-Veranstalter und vor allem TV-Vermarkter wären. Google etwa hat bekannt gegeben, in den USA regionale TV-Sender zu bündeln und klassisch linear vermarkten zu wollen. Google weiß genau, wo das spannendste Business langfristig liegt. Und auch Facebook wird im nächsten Jahr eine Milliarde in klassische TV-Inhalte investieren wollen. Wir erleben die groteske Situation, dass Internet-Giganten vor dem Werbekunden immer damit argumentieren, wie wichtig doch Werbung auf ihren eigenen Plattformen sei - und die Kunden doch ihre Budgets vom klassischen TV zu ihren Onlineplattformen umschichten sollten. In Wirklichkeit wollen sie aber klassische TV-Anbieter sein. Ich halte es für überhaupt nicht ausgeschlossen, dass sie digitale lineare TV-Sender auf den Markt bringen; eben, weil sie selbst den entscheidenden Punkt wissen, dass die Werbewirkung von Spots im linearen TV wesentlich höher ist, als bei der Ausspielung auf ihren Plattformen. Verständlicherweise geben sie das nicht zu.
Das wäre eine deutliche Kampfansage an klassische TV-Anbieter. Wie würde die Strategie dagegen aussehen?Unsere Strategie "Österreich-Programmierung" - und das wird in Zukunft noch stärker zu sehen sein - besteht darin, noch intensiver auf regionale Eigenproduktionen zu setzen - vor allem bei Puls 4, ATV und ATV 2. An Markt und Seher nah dran zu sein, das ist unser zentraler Wettbewerbsvorteil, für den die US-Companys sehr viel Geld und Infrastruktur investieren müssten, um so kleine Märkte wie Österreich zu erobern. Österreichischer Content und nunmehr drei reine österreichische TV-Vollprogramme sind auch der zentrale Unterschied zur RTL-Gruppe, die nur die Werbefenster vermarkten. Als wir vor vielen Jahren mit dieser "Österreich-Programmierung"-Strategie begonnen haben, wurden wir von "Experten" wie Hans Mahr und Co auf den österreichischen Medientagen belächelt, aber bis heute sind wir sehr happy, dass wir diese Strategie konsequent umgesetzt haben, das zeigen auch die aktuellen Marktanteile in der werberelevanten Zielgruppe, bei denen wir im Gegensatz zu Deutschland mehr als doppelt so stark wie die RTL-Gruppe, sogar inklusive RTL 2, sind.
Funktioniert diese Strategie neben dem Sehermarkt auch bei den Werbekunden, wo ja bereits große Budges an Facebook und Google abfließen?Nur ein Beispiel: Bei ATV läuft ab 2. November "Austria's next Topmodel", das wir von Puls 4 auf ATV geschoben haben - und so etwa Audi als Presenting Partner gewinnen konnten. Das ist weltweit erstmalig, dass Audi so ein Format werblich mitträgt und in seine eigene Kampagne integriert. Dazu kommt eine Vielzahl lokaler Werbetreibender wie Coca Cola, L´Oréal Luxe, Fussl, Dyson, Bolton, Angermaier Trachten, Vossen, Spitz, Titan et cetera. Das zeigt uns im Kampf gegen die Internetgiganten: lokale Inhalte, einzigartige Kundeneinbindungen, die "talk of town" sind, sind unsere großen Assets als linearer österreichischer TV-Sender, aber auch als Vermarkter.
Maßgeblich beim Werbekunden sind auch Daten - durch die Digitalisierung erfährt dieser Aspekt auch bei klassischen TV-Sendern eine neue Dimension ...... und wir forcieren das! Die Frage lautet, wie ich in Zukunft Werbekunden Datenanreicherung bei Kampagnen anbieten kann. Ausspielung über Adressable TV ist bei uns ja bereits möglich und ab 2018 auch bei ATV; das spannende ist, dass wir nicht nur neue Arten von digitalen Werbeformen ins Fernsehen bringen können, sondern wir künftig unsere Nutzerdaten am Bildschirm auch in unseren Datapool einspielen werden und damit der Werbewirtschaft anbieten können. Solche Daten haben nur wir TV-Player. Google, Facebook und Amazon haben das nicht, weil wir sie nicht in unser lineares Signal am TV-Bildschirm "lassen". Deswegen ist Addressable TV für klassische TV-Player auch strategisch so enorm wichtig.
Es gibt im Markt unterschiedliche Meinungen, wie schnell und intensiv Addressable TV kommen wird. Wie lautet denn Ihre Prognose?Die ersten umgesetzten Addressable TV-Kampagnen stimmen sehr positiv. Wir sehen jetzt schon an den Ad Impressions, dass sich die Reichweite für Switch-In-Kampagnen in den letzten sechs Monaten nahezu verdoppelt hat. Wenn der Speed anhält, gehen wir von einer sehr spannenden Reichweite in den nächsten zwölf bis achtzehn Monaten aus.
Bedeutet das andere Formen der Werbung am Fernsehschirm oder intensivierte Investments in TV-Werbung an sich?Wir können nationalen Werbekunden in Zukunft zusätzlich anbieten, ihre Werbung inhaltlich zu regionalisieren. Gleichzeitig können wir aber auch erstmalig rein regionale Kunden angehen, die wegen Streuverlusten bisher nicht ins klassische Fernsehen gingen, da nun regional getargetete TV-Werbung buchbar ist. Auch viele andere Möglichkeiten, wie Wetter- oder Zielgruppentargeting, erlauben eine völlig neue Ausspiellogik von Werbemittel im klassischen TV.
Kannibalisieren sich hier bestehende TV-Budgets, oder werden zusätzliche Gelder lukriert?TV-Werbung an sich wird wachsen, auch weil der Werbekunde den nationalen Werbedruck weiterhin benötigt. Dazu kommen neue Werbeformen über Addressable TV und damit On-Top-Umsatz, der wahrscheinlich zu Lasten von regionalen Printtöpfen ins TV kommen wird.
Im Oktober wird gewählt. Was sind Ihre Erwartungen an eine neue Regierung, was künftige Medienpolitik betrifft?Für eine gemeinsame österreichische Gegenstrategie zu den US Giganten muss die Politik ein "Level Playing Field" für faire Bedingungen zwischen allen Anbietern herstellen und eine Neudefinition des ORF umsetzen. Social Media Giganten wie Facebook und Co müssen als Medienunternehmen eingestuft werden und der ORF darf nicht weiterhin Gebühren und Werbung bekommen. Entweder der ORF verzichtet auf die Werbung oder die Gebühren gehen an alle Anbieter, die Public Value Inhalte anbieten, wie z.B. gerade PULS 4 und ATV mit den großen und hochqualitativen Wahlkonfrontationen.