Ein neues Gesetz in Frankreich erschwert den Einsatz von retuschierten Models. Die Bildagentur Getty passt sich den neuen Vorgaben an – und reagiert damit auf einen globalen Trend in der Bildsprache.
Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe Nr. 43 des HORIZONT. Noch kein Abo? Hier klicken!
Unrealistische Bilder von Frauenkörpern in Medien und Werbung können zu Essstörungen führen – dies hat die französische Regierung erkannt und setzt dementsprechend legislative Maßnahmen. So wird seit ein paar Monaten von Models die Vorlage eines Gesundheitsattests mit besonderem Fokus auf den Body-Mass-Index verlangt, bevor diese an einem kommerziellen Fotoshooting teilnehmen können. Hinzu kommt, dass ab 1. Oktober Werbeanzeigen mit Models, deren Körper durch Bildbearbeitung dicker oder dünner gemacht wurden, mit dem Hinweis „photographie retouchée“ („retuschiertes Foto“) versehen werden müssen – bei Zuwiderhandeln drohen 37.500 Euro Strafe oder 30 Prozent der Entstehungskosten für die Werbeanzeige – je nachdem, was mehr ist. Fotos von Models, die anderweitig bearbeitet wurden – etwa in Hinblick auf Haut- oder Haarfarbe – sind von dieser Regelung ausgenommen. Als weltweit erste Bildagentur reagiert Getty Images auf dieses Gesetz mit einem entsprechenden Schritt: Ab sofort werden keine Bilder von Content-Partnern und Fotografen akzeptiert, die gegen das französische Gesetz verstoßen – also Bilder von Frauenkörpern in der Form nachbearbeitet haben, dass sie dünner oder dicker erscheinen. Von den Kunden wird das positiv angenommen, wie Jacqueline Bourke, Senior Manager Creative Insights bei Getty Images, ausführt: „Insgesamt sind unsere Kunden engagiert, eine authentische Verbreitung von Frauenbildern in den Medien zu unterstützen“, sagt sie. Von den Fotografen selbst gebe es kaum Kritik an der neuen Regelung: Schon jetzt würden nur wenige Fotografen Models in der kommerziellen Stock-Fotografie nachbearbeiten. Ein paar schwarze Schafe gibt es aber doch – und mit den neuen Vorgaben wil die Stockfoto-Agentur auf jeden Fall garantieren, dass die Kunden mit Bildern aus der Agentur nicht gegen das französische Gesetz verstoßen. Ob sie die Bilder anschließend selber nachbearbeiten, ist ihnen überlassen. Trend zur Echtheit Dass Fotografen Fotos mit Models vor der Einreichung nur selten verschönern, hat laut Bourke zwei Gründe: Erstens ist dieser Prozess sehr zeitaufwendig, zweitens widerspricht er dem Zeitgeist: Denn realistische Bilder werden zunehmend nachgefragt, wie Bourke anhand von Daten zum Verhalten ihrer Kunden ausführt. Demnach sind bei Getty die Verkäufe von Bildern mit dem Schlagwort „Real People“ in den vergangenen fünf Jahren um 300 Prozent gestiegen. „In den deutschsprachigen Märkten ist dieses Wachstum mit 400 Prozent überdurchschnittlich hoch, in Australien beträgt das Wachstum gar 700 Prozent“, sagt sie. Einen Grund dafür sieht sie auch in der Verwendung von Social-Media-Plattformen wie Snapchat und Instagram, die den Bedarf nach unmittelbaren und authentischen Bildern widerspiegeln. Im deutschen Sprachraum, so Bourke, hat in den vergangenen zwölf Monaten die Suche nach dem Begriff „Diversity“ um 60 Prozent zugelegt, die Suche nach „Unfiltered“ wuchs im gleichen Zeitraum gar um 487 Prozent. Das spiegle sich auch in Kampagnen wider, die zunehmend auf Authentizität setzen; von Marken werden unretuschierte Bilder zunehmend als Qualitätsmerkmal gesehen. Als Beispiel nennt sie den Pirelli Kalender 2017, in dem Berühmtheiten wie Nicole Kidman, Zhang Ziyi und Kate Winslet abgebildet werden – allesamt unretuschiert. Ebenso hat sich Asos, der größte britische Onlineversandhandel im Bereich Mode und Beauty, entschieden, Dehnungsstreifen bei seinen Bademodenmodels nicht mehr zu retuschieren. Und das US-amerikanische Medien- und Entertainmentunternehmen Refinery29 informiert mit dem „67% Project“ darüber, dass 67 Prozent der US-Amerikanerinnen Größe 14 oder größer tragen. Getty begleitet das Projekt von Refinery29 mit einer „67% Collection“ an entsprechenden Fotos und baut auch an anderen Stellen das Angebot aus, um ein realistischeres Frauenbild zu verbreiten: Mit der „No apologies collection“ werden für Medien seit Jahresanfang Bilder verbreitet, die bisherige Tabuthemen aufgreifen – im Rahmen des Launches wurde etwa bekannt gegeben, das in den zwölf vorangegangen Monaten die Suche nach dem Begriff „Menstruation“ um 142 Prozent gestiegen war. Die Bildagentur passt sich also mit ihrer Strategie nicht nur an Gesetze wie jenes in Frankreich an – sie reagiert auch auf die Wünsche der Kunden.