Frauen in Medien: 'Die Hartnäckigkeit hat sic...
 
Frauen in Medien

'Die Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt'

Zuzanna Rozanska

Alexandra Folwarski ist Gründerin des ‚Ottakringer Flaneurs‘. Mit HORIZONT spricht sie über die Finanzierung eines neuen Magazins, Lokaljournalismus und darüber, warum es mehr neue und mutige Medienkonzepte braucht.

HORIZONT: Mit dem Ottakringer Flaneur haben Sie ein Bezirksmagazin für den 16. Wiener Gemeindebezirk gegründet. Warum dann gerade dieser Bezirk?

 Alexandra Folwarski: Ich wohne gleich direkt um die Ecke vom 16. Bezirk und verbringe viel Zeit dort. In der Berichterstattung wird der ja leider immer wieder als ein Problembezirk dargestellt, aber was hier wirklich los ist, wie die Leute drauf sind und welche tollen Initiativen es gibt, darüber wird nicht geredet. Das fehlte mir.

 Und wie war das, ein Printmedium ganz neu aufzustellen und zu etablieren?

Eine der großen Herausforderungen war es, die Finanzierung zu organisieren. Den Wunsch, eines Tages ein eigenes Medium aufzustellen, trug ich schon lange mit mir herum. Es gibt einfach gewisse Themen, die die wenig beleuchtet sind. Ich habe mein Studium der Transkulturellen Kommunikation mit Redaktionsarbeit finanziert, damals in unterschiedlichen Onlineredaktionen. Nach dem Master, als ich schon in Brüssel im Konferenzraum saß und gedolmetscht habe, habe ich mich gefragt, ob das wirklich das ist, was ich will – und bin dann zurück in die Redaktion gegangen. 2013 habe ich beim Content-Marketing Unternehmen Mediaplanet angefangen und dort sehr viel über das Geschäft selbst gelernt: Wie man wie man Publikationen finanziert und distribuiert.

Der Content-Marketing-Bereich ist zwar spannend, aber ich wollte zurück zu meinem Traum, etwas Eigenes anzubieten. Ich hatte auch schon immer diesen Entrepreneur-Geist in mir, stand dann aber vor der Frage, was es genau werden soll. Da habe ich mir auch echt lange Zeit genommen und mir angeschaut, was es auch auf dem Markt gibt beziehungsweise welche Themen auf welche Weise abgedeckt sind. Es sollte auch etwas sein, was mir persönlich am Herzen liegt, das ist ja das Allerwichtigste dabei. Denn wenn du es nicht liebst, dann hältst du es nicht durch. Ich bin schließlich auf den Lokaljournalismus und die lokalen Angebote gekommen. Die Verlage arbeiten ja stark daran, neue Zielgruppen zu erreichen, aber irgendwie hatte ich eine andere Vorstellung davon, wie ich über lokale Dinge sprechen möchte. Und so kam dann letztendlich diese Idee, auf die lokale Ebene zu gehen.

Die größte Inspiration kam mir dann auf einer Reise in Seattle. Dort fiel mir ein Magazin in die Hände, der Seattle Stranger, mit Interviews, Berichten über Veranstaltungen und so weiter. Die Idee vom Ottakringer Flaneur schwebte mir schon lange vor, und mit dem Seattle Stranger fügten sich die Puzzleteile zusammen. 

Was zeichnet den Ottakringer Flaneur heute aus?

Der Ottakringer Flaneur ist ein Magazin, das an alle Haushalte des 16. Bezirks gratis zugestellt wird. Wir sprechen über und mit den Menschen, die hier leben, über die Geschichte, Kunst und Kultur. Viele der Themen sind zeitlos, einzig die Veranstaltungen sind aktuell, die aber jetzt wegen Corona kaum stattfinden. Hinter dem Ottakringer Flaneur steht vor allem der Community-Gedanke. Die Printpublikation hat er eine Auflage von 65.000 Exemplaren.

„Wir versuchen immer, die Leute mit reinzuholen, die hier leben, und ihre Geschichten sichtbar zu machen.“
Alexandra Folwarski
Welche Geschichten findet man denn so im 16. Bezirk?

Die Themen sind so gegliedert, dass sie den Bezirk in seiner Diversität und Vielfalt so abbilden, wie er ist. Und dafür braucht es unterschiedliche Formate und unterschiedliche Formen. Ich spreche da auch immer über Graswurzeljournalismus. Wir sprechen mit Menschen, die etwas Besonderes machen und blicken mit einer Lupe in den Bezirk hinein. Von der Strickdesignerin Veronika Persché, einer Reportage über die Nachtgastronomie am Gürtel oder dem jungen BLUB-Gründerehepaar, das Kimchi herstellt, über den jüdischen Lyriker und einen der wichtigsten expressionistischen Schriftsteller deutscher Sprache, Albert Ehrenstein, der 1941 von den Nationalsozialisten verfolgt aus Ottakring in die USA fliehen musste bis zu Esra und ihrem Bruder, Enes, die als ESRAP die deutschsprachigen Bühnen rocken und im Gemeindebau des 16. Bezirks großgeworden sind. Es geht viel um das Thema Nachbarschaft und vor allem auch um die unterschiedlichen Kulturen und den Umgang damit. Ich sage das mal so: Wir versuchen immer, die Leute mit reinzuholen, die hier leben, und ihre Geschichten sichtbar zu machen.

Als Gratisblatt ist der Ottakringer Flaneur also rein werbefinanziert oder gibt es Medienförderungen für Sie?

Ja, wir sind rein werbefinanziert. Eine Förderung habe ich nicht erhalten beziehungsweise die Mittel der Presseförderung sind offenbar nicht für solche Medien vorgesehen. Wir fallen immer aus dem Raster. Es gibt natürlich die Wiener Medieninitiative, da hat es beim ersten Mal auch nicht funktioniert. Die Förderlandschaft ist kompliziert. Mein Weg war beim Aufstellen des Ottakringer Flaneurs ein anderer. Ich möchte damit die Grenzen sprengen und nicht das Gewohnte wiederholen. Der Ottakringer Flaneur soll mehr als Community-Plattform funktionieren. Die Printausgabe ist an Add-on, das an alle rausgeht, direkt in den Postkasten, ein Medium, über das sich die EmpfängerInnen freuen. Damit das passiert muss der Werbeanteil entsprechend klein sein. Es ist kein Anzeigenblatt, sondern eben ein Magazin.

59.760 Haushalte werden beliefert und 5.000 weitere Exemplare werden in Cafés, Clubs an öffentlichen Orten verteilt. Die Finanzierung über Werbemittel habe ich einfach als den schnellsten Weg gesehen und auch als den richtigen Weg für die Unternehmen in Ottakring, da man so auch das Angebot in Ottakring besser kennenlernen kann. Wir regen ja auch dazu an, aktiv zu werden, etwas zu unternehmen, die Nachbarschaft zu erkunden. 

Im Sinne des Community-Gedanken verknüpfe ich alle Kommunikationskanäle miteinander, um dem Konsumverhalten der Leserschaft entgegenzukommen. Das Magazin ist auf Social Media, als Online-Magazin, Newsletter und als Printmagazin präsent, so dass man immer den direkten Draht zur Community hat. Dieses Miteinander bringt auch eine besondere Dynamik hervor. Das ist auch eigentlich aus rein technischer Sicht meine große Mission: Einen Weg zu finden, mit dem Lokaljournalismus - jetzt am Beispiel vom Ottakringer Flaneur - Themen rauszubringen, die sonst keinen Platz haben.

Wie verkauft man denn Inserate für ein Medium, das noch nicht existiert?

Ich hatte meinen Instagram-Account, eine eigene Website mit ersten Artikeln, mein Konzept mit meinen Mediadaten und bin dann einfach losgegangen. Nach zahlreichen Absagen und Telefonaten habe ich mein Konzept immer weiter verfeinert und schließlich hat sich die Hartnäckigkeit ausgezahlt. Irgendwann gab es die Person, die gesagt hat: „Okay, wer mich so oft anspricht und mir immer wieder eine bessere Version von dem Konzept vorstellt, dem glaube ich auch, dass sie das durchzieht.“ Die Person hat dann eine Seite gebucht und damit hatte ich echt einen großen Namen dabei, was es bei anderen Unternehmen leichter gemacht hat.

„Das Thema Lokaljournalismus ist einerseits in aller Munde, andererseits wird es immer ein bisschen stiefmütterlich behandelt. “
Alexandra Folwarski
Was bedeutet die Corona-Krise für den Ottakringer Flaneur?

Das Gute daran, neu zu sein, ist, dass man nicht in festen Strukturen steckt und damit kein großes Büro, Gehälter und andere Kosten zu tragen hat. Und so kann man auch einfach mal eine Ausgabe auslassen.

Wie beurteilen Sie die Situation und den Stellenwert von Lokaljournalismus in Österreich?

Das Thema Lokaljournalismus ist einerseits in aller Munde, andererseits wird es immer ein bisschen stiefmütterlich behandelt. Medienförderungen sind meistens entweder an Auflagen oder an die Erscheinungsweise gebunden. Und es gibt da wenig, was auch in Richtung neue Kanäle geht. Die Frage ist nämlich: Wie geht Lokaljournalismus auf anderen Kanälen? Also, ist ein Podcast Journalismus? Ist ein Instagram-Account Journalismus? Ich beschäftige mich unfassbar gern damit und ich hoffe, dass ich die ganzen Ideen, die mir noch im Hinterkopf herumschwirren, ausprobieren kann und irgendetwas richtig gut klappt, sodass ich dann vielleicht dann noch mehr Bezirke erreichen kann.

Und wie sieht es mit der Redaktionszusammensetzung aus?

Ich habe keine Festangestellten. Ich habe einen Chefredakteur, den Johannes Lau, der mich beim Redigieren unterstützt, und dann gibt es die freien Journalistinnen und Journalisten. Was wir immer wieder versuchen, ist, mit den Menschen, die wir portraitieren, ein Format zu finden, das das, was sie erleben, am besten widerspiegelt. Eins dieser Formate ist zum Beispiel die Cevapcici-Rallye mit dem Comedian Alladin Jameel gewesen. Wir haben seine Comedy und seinen Bezug zu seinem Geburtsort in einer ironischen Fotostory festgehalten. Das Feedback der LeserInnen war großartig. Dann gibt es den Ottakringer Live-Ticker: Tino Schlench, der eher als Literaturpalast auf Instagram bekannt ist, setzt sich da in ein Ottakringer Café und kommentiert ungeniert das Geschehen. Das Heft soll ja auch Spaß machen.

Mir ist es wichtig, die Leute, die für das Blatt schreiben, für ihre Arbeit gut zu bezahlen. Ich habe in der ersten Ausgabe viele Artikel pro bono erhalten und viel selbst geschrieben. Mit der zweiten Ausgabe war es mein Ziel, alle nach einem guten Satz zu bezahlen. Das ist mir auch geglückt. Alles, was an Profit der Ausgaben übrigbleibt, wird Reinvestiert, um den Ottakringer Flaneur auszubauen. Ich bin sehr glücklich, dass das mit der zweiten Ausgabe so gut funktioniert hat.

„Es ist an der Zeit, dass die Mutigen nach vorne schreiten und neue Konzepte ausprobieren.“
Alexandra Folwarski
Sie sind bei Medienprojekten ja auch beratend tätig. Welchen Ratschlag würden Sie jemandem geben, der jetzt ein neues Medium gründen möchte?

Jede Person, die etwas Neues kreiert, muss sich erstmal beweisen. Das ist zwar schade und anstrengend, aber ich würde empfehlen, auf keinen Fall aufzugeben und immer weiter am Konzept zu schrauben, bis es passt. Es gibt noch so viele Themen, die nicht abgedeckt sind und es ist mal an der Zeit, dass die Mutigen nach vorne schreiten und neue Konzepte ausprobieren.

Welche Herausforderungen und Chancen haben Sie als Frau in der Medienbranche wahrgenommen?

Ehrlich gesagt, hatte ich innerhalb meiner letzten Fixanstellung als Frau keine Nachteile. Ob ich bei dem Aufbau von meinem Magazin da als Frau jetzt besondere Vorteile oder Nachteile hatte, kann ich schlecht beurteilen, denn jede Person, die so ein Projekt angeht, steht vor großen Herausforderungen und muss sich warm anziehen.

Was mich aber ärgert ist, dass es immer noch diese große Lücke zwischen Gehältern gibt. Das finde ich skandalös. Wenn ich auf mein persönliches Leben schaue: Ich bin Migrantenkind, ich bin Frau. Wenn ich mich deshalb aufhalten lassen würde, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.

Irgendwann Ende zwanzig habe ich für mich selber beschlossen, diese Schubladen zu ignorieren und für mich selbst - aber auch für andere - ein Rolemodel zu werden. Für Frauen, die Unternehmerinnen werden wollen, und auch für andere Menschen mit Migrationshintergrund, die denken, sie und ihre Themen seien vielleicht nicht gut genug. Ich denke, dass es wichtig ist, ein Vorbild zu haben, das einem Inspiration gibt. Aber man muss trotzdem seinen eigenen Weg beschreiten, um dann auch anderen Leuten zu helfen. Ihnen zu sagen: Dein Thema ist wichtig, du musst damit raus.

Wer ist denn Ihr Vorbild?

Maria Janion, eine polnische Literaturwissenschaftlerin, deren Buch „Niesamowita Słowiańszczyzna“ mich zur vorher beschriebenen Auffassung gebracht hat, dass du nicht die Person bist, die sich in vordefinierte, pauschale Schubladen stecken lassen muss, sondern, dass du dich darüber definieren kannst, wofür du stehst und was du tust. Wunderbar.




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