‚Film ist die Killer Application‘
 

‚Film ist die Killer Application‘

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Ein Interview mit Alexander V. Kammel vom Österreichischen Filmservice zur Bedeutung und Entwicklung des Phänomens Wirtschaftsfilm in Zeiten des Medienwandels

HORIZONT: Herr Kammel, im Zuge der jüngsten Wirtschaftsfilmtage hat wieder ein österreichisches Unternehmen den „Grand Prix Victoria“ mit nach Hause ­genommen. Eine leichte Entscheidung?

Alexander Kammel: Der Sieger­beitrag war ein ganz neues Format von WienTourismus: der Travelling-Santa-Adventkalender. Die Entscheidung war für die Jury nicht leicht. Sie hatte ja die Wahl zwischen zwei sehr konträren Beiträgen, eben „Travelling Santa“ und einem anderen, eher klassischen, aber höchst professionell ­gemachten Wirtschaftsfilm. Ausschlaggebend war, dass WienTourismus die Zielgruppe, die auch besonders stark die sozialen ­Medien nutzt, mit dieser modernen, an­gepassten Idee am besten erreicht. Ich denke: eine kontroversielle, aber mutige Entscheidung.

HORIZONT: YouTube und Co., die Kleinst- und Selfmade-Formen, haben offenbar auch den Bereich Wirtschaftsfilm erreicht.

Kammel: In meiner Funktion als stellvertretender Berufsgruppenobmann muss ich natürlich die Frage stellen: Wo geht der Wirtschaftsfilm hin? Wo wird er eingesetzt, und welche Formate bringen wir? Ein geschätzter Kollege, Georg Riha, prognostizierte vor gut zehn Jahren, dass beim Wirtschaftsfilm nur das wirklich günstige und das wirklich teure, höchstqualitative Fomat überleben, der Mittelbau hingegen vollkommen wegbrechen werde. Andere wiederum ­widersprechen dieser Aussage, trotzdem muss man sich Gedanken darüber machen, was mit dem Format, das früher so um die 50.000, 60.000 Euro gekostet hat, geschehen wird. Ich persönlich denke, dass in ­diesem Segment Neues entsteht, das sich der Kommunikation über Internet und Social Media bedient.

HORIZONT: War noch vor gar nicht langer Zeit professionelles Filmequipment für kleine Unternehmen – von ­Einzelkämpfern ganz zu schweigen – ­nahezu unleistbar, lässt sich heutzutage mit gängiger Consumer-Grade-Hardware schon recht Ansehnliches produzieren. Hat diese Entwicklung Aus­wirkung auf Ihren Sektor?

Kammel: Ich war am Freitag in Łódz, in den Se-Ma-For-Studios des zwei­fachen Oscarpreisträgers und Wirtschaftsfilm-Jurors Zbigniew Zmudzki. Dort werden Puppet Animations gemacht, mit kleinen Kameras, die es zwar nicht auf der Großfläche gibt, die aber auch nicht die Welt kosten. Okay, gut so, aber man darf nicht vergessen, dass der Löwenanteil der Kosten, die Personalkosten nämlich, die gleichen bleiben. Ich bin nicht der Ansicht, dass man ­einen Wirtschaftsfilm um eine Handvoll Euro machen kann. Aber ich bin der ­Ansicht, dass man für diese Handvoll Euro Sachen produzieren kann, die im Rahmen einer Social-Media-Kampagne oder Ähnlichem große Wirkung erzielen.

HORIZONT: Wie empfanden Sie bei den jüngsten Wirtschaftsfilmtagen die generelle Qualität der eingesendeten ­Beiträge?

Kammel: Es ist durchaus zu spüren, dass sich immer mehr Teilnehmer ­Gedanken darüber machen, was sie drehen, mehr als früher. Natürlich gibt es immer wieder Produkte, die an der Zielgruppe sozusagen vorbeilaufen – oder daran, wie ein guter Wirtschaftsfilm ausschauen könnte.

HORIZONT: Was ist ein typischer Wirtschaftsfilm?

Kammel: Wirtschaftsfilm ist ja ein übergeordneter Begriff – das übersehen die Leute ja gerne. Ich könnte da jetzt die Kategorien herunterbeten (lacht). Jedenfalls gibt es unter dem Oberbegriff Wirtschaftsfilm typische Teilnehmer wie Filme, die Ihnen etwas ­verkaufen wollen, aber auch Human-Relations-Produkte, ausgezeichnete Recruitment-Instrumente übrigens, bewegte Bedienungsanleitungen oder – ein sehr aufwendiger Sektor – die audiovisuelle Gestaltung von Messeständen oder Konferenzen.

HORIZONT: In welcher Kategorie fühlen Sie sich eigentlich am wohlsten? Welche Art Beitrag sehen Sie im Zuge der Auswahl für den Wirtschaftsfilmpreis am liebsten?

Kammel: Schwer zu sagen. Natürlich sind Imagefilme besonders ansehnlich, da greifen die Filmemacher mit beiden Händen in die Trickkiste, um zu zeigen, was sie können – genauso  beim Tourismusfilm, da gibt es sehr, sehr schöne Sachen. Aber auch Technik – da sehen Sie manchmal Dinge, von denen Sie nie geahnt hätten, dass es solche Produkte überhaupt gibt. Hier lernt man am meisten dazu. Da können auch wunderschöne Geschichten herauskommen, die wirklich erstaunlich sind.

HORIZONT: Eine große Bandbreite also, durch die sich die Jury durcharbeiten muss …

Kammel: Ja – an dieser Stelle muss ich einmal mehr meinen Dank und meine Bewunderung aussprechen: eine großartige Leistung, sich hoch konzentriert auf so viele unterschiedliche Stilistiken, Aufgabengebiete und Branchen einzustellen.

HORIZONT: Sie sind also auch mit der Zahl der Einreichungen zufrieden?

Kammel: Absolut. Insgesamt waren wir bei 327 Einsendungen, davon 118 aus Österreich, das wieder den Grand Prix holen konnte, 181 aus Deutschland, das uns auch Ehrenschutz in der Person seines Wirtschaftsministers gewährte, und 27 aus der Schweiz, aus der auch der Jurypräsident kommt. Und auch aus Südtirol kam ein Beitrag. Im Vergleich zum letzten Wirtschaftsfilm-Event eine Steigerung und ein neuer Rekord. Das zeigt, dass Wirtschaftsfilm funktioniert. Es tut uns leid, dass diesmal nichts aus Liechtenstein oder Luxemburg kam – da müssen wir stärker daran arbeiten. Aber ­alles in allem ein überaus erfreulicher und sehr, sehr erfolgreicher Durchgang. ­Natürlich wären wir über mehr Unterstützung aus Österreich dankbar, aber auch so geht es ganz gut.

HORIZONT: Welche Bedeutung hat der Wirtschaftsfilm in der Kommunikation der Unternehmen? Kann man die Breitenwirkung in irgendeiner Form mit der Printwelt vergleichen?

Kammel: Nun, ob Sie gesehen werden, kann letztendlich nur der Verantwortliche im Unternehmen sagen. Zudem ist es sehr schwierig, wirklich in nackten Zahlen nachzuweisen, wie viele Leute den Film, den ich als Kommunikationsverantwortlicher in Auftrag gegeben habe, tatsächlich gesehen haben. Das ist auch das Hauptproblem, das wir immer gegenüber Print gehabt haben. Wenn der CEO in der Früh seine Pressemappe vorgelegt bekommt, hat er einen Überblick da­rüber, in welchem Medium er in welcher Form erwähnt wurde. Wie macht er das mit dem Film? Und als Wirtschaftsfilmschaffender ist es gar nicht meine Aufgabe, mich darum zu kümmern, ob und wie der Film ankommt. Unter anderem für diese Aufgabe wurde ja der Filmservice geschaffen, um Zielgruppen und Auftraggeber zusammenzubringen. Nicht mehr wie früher in Form einer DVD, sondern indem wir das Produkt dann an die Sender beziehungsweise direkt an die Zielgruppe herantragen. Und wenn Sie wirklich Print und Film direkt vergleichen wollen: Ich habe mich mal hingesetzt und recherchiert. Wenn Sie eine Seite in der FAZ buchen, kostet das 75.000 Euro. Mit diesen 75.000 Euro kann ich mit geschickter Ausnutzung des Formats und unseres Systems weltweit 50 bis 60 Millionen ­Zuseher generieren. Die haben dann aber nicht gerade einmal zehn Sekunden auf die Anzeige gestarrt, sondern zwölf bis 20 Minuten Film angesehen, der hoffentlich besser gewirkt hat. Und jetzt frage ich Sie: Was funktioniert besser? Darüber können wir jetzt streiten (lacht).

HORIZONT: Bewegtbild, die Königsklasse der Kommunikation?

Kammel: Nun, Bewegtbild ist im In­ternet zurzeit die absolute Killer Application – und so möge es auch bleiben. Je mehr Bewegtbild, desto mehr muss ich mich vom Mitbewerb absetzen. Das mache ich, indem ich bessere Qualität liefere. Dazu muss ich mich an gute Produzenten wenden, die dann auch ein Geschäft machen. Diese Brücke funktioniert schon, hoffe ich. Und dadurch bekommen auch unsere Festivals hochqualitative und effiziente Beiträge, und es wird mehr in Filme investiert, wenn sich der Erfolg herumspricht. Das ist auch eine unserer Aufgaben, dem ­Produzenten und dem Auftraggeber zu demonstrieren, dass Qualität auch durch Auszeichnungen und entsprechendes Presseecho belohnt wird.
Nehmen Sie einmal unsere Veranstaltung in Cannes, die Corporate ­Media & TV Awards: Vor fünf Jahren haben wir mit 350 Einreichungen begonnen, heuer haben wir 719 aus 40 Ländern und Grand Prix aus Holland, Frankreich, Brasilien und Australien. Und bei unseren weltweiten CIFFT-Tourismusfilmfestivals sind es deutlich über 1.000 Filme. Das zeigt doch, dass das Interesse da ist, dass fleißig produziert wird und dass wir als Europas größter Wirtschaftsfilmfestival-Organisator etwas bewirken können.

Weitere Informationen:
wirtschaftsfilmtage.com 
filmservice.at
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