'Es gibt wenig Grund für Veränderung'
 

'Es gibt wenig Grund für Veränderung'

ORF-General Alexander Wrabetz im Interview - Der ORF befindet sich durch eine stabile Reichweiten- wie Umsatzentwicklung und das Megaevent Song Contest sichtlich im Aufwind

Horizont: Sie wirken sehr gelöst.

Alexander Wrabetz: Es gibt keinen Grund zur Aufregung. Soeben haben wir die Lohnrunde mit 2 Prozent abgeschlossen, also unter den Metallern, und unter dem VÖZ mit 2,4 Prozent. Auch über einen neuen ORF-Kollektivvertrag, der 2015 in Kraft treten soll, ­haben wir uns mit dem Betriebsrat geeinigt. Das ist ein Meilenstein für die Zukunft.

Horizont: Sprechen wir über das ­voraussichtliche Ergebnis für 2014 wie auch über das Budget 2015.

Wrabetz: Wir rechnen mit einer stabilen Werbeentwicklung und 207 Millionen Euro Werbeumsatz – rund zwei Drittel aus TV- und ein Drittel aus der Radiowerbung. 2013 waren es 208 Millionen. Hinzu kommen zehn Millionen aus Online. Wir legen bei Online und im TV zu und verlieren im Radio leicht. Im kommenden Jahr budgetieren wir mit 218,5 Millionen für die drei Medien. Die Einnahmen aus Sonder­werbeformen werden 2014 bei 35 Mil­lionen liegen.

Horizont: Der ORF kommt, wie es scheint, ganz gut mit 594 Millionen Euro an Gebührengeldern und ohne Gebührenrefundierung aus …

Wrabetz: „Gut“ ist falsch. Wir erhalten die Refundierung der Gebührenbefreiungen von 30 bis 40 Millionen leider nicht mehr, schaffen es aber trotzdem, in den schwarzen Zahlen zu bleiben. Aber natürlich könnten und würden wir gern mehr investieren, etwa in Eigenproduktionen.

Horizont: Trotz des Großereignisses Song Contest schaffen Sie diesen Spagat – wer muss darunter leiden?

Wrabetz: Wir haben einen Vorteil: 2015 gibt es keine sportlichen Großereignisse wie Olympische Spiele oder eine Fußball-WM, und so können wir das Sonderbudget, das für den Song Contest notwendig ist, von netto 15 Mil­lionen, was etwa der Größenordnung Olympischer Spiele entspricht, gut ­tragen.

Horizont: Der Song Contest ist ja eine sehr umfassende Herausforderung – was ist hier alles zu tun?

Wrabetz: Es wird On- wie Off-air-Aktivitäten geben, darunter neun Shows in der Stadthalle. Wir sprechen von rund 100.000 Tickets von 30 Euro bis zu teuren VIP-Packages, die Unternehmen angeboten werden. Von 20. Februar bis 22. Mai wird das Event multimedial von TV über Radio, Online bis zu den Landesstudios begleitet.

Horizont: Ist das ein erster Test für die in Zukunft geplante Trimedialität im ORF?

Wrabetz: Ja, es wird eine enge Zusammenarbeit geben. Executive Producer und Gesamt-Projektleiter ist Edgar Böhm. Show-Producer für TV ist Stefan Zechner. Die Regie, sicher die größte, die der ORF je gemacht hat, verant­wortet Kurt Pongratz. Für das Eventmanagement wurde Pius Strobl engagiert. Er und sein Team kümmern sich um die Off-air-Events, Ticketing, die Volunteers, Pressezentrum und Security-Themen. Der ORF ist höchst umfassend verantwortlich für das Event. Neben der Fernsehshow betreuen wir die 40 Delegationen aus den Ländern – und zwar vom Hotelmanagement bis zur Sicherheits- und Verkehrslogistik. Hier kooperieren wir mit der Stadt Wien, den Wiener Linien, Polizei und Tourismusverbänden.

Horizont: Österreich ist in der internationalen Auslage – mit wie vielen TV-Zusehern rechnen Sie?

Wrabetz: Im Vorjahr waren es 195 Millionen Menschen, die weltweit zugesehen haben. Der Song Contest wird außerhalb von Europa auch in Australien, China oder den USA übertragen. Mit diesem Event prägen wir die Bilder von Österreich, auch jene, die in die Archive internationaler TV-Stationen einfließen. So wie auch wir die Bilder der letzten Jahre aus Aserbaidschan oder Schweden nutzen. Nicht zuletzt aus diesem Grund wollen wir mit den Künstlern und Delegationen auch in die Bundesländer fahren. Österreich soll als modernes Land Europas mit einer besonderen Kultur und großartigen Landschaft präsentiert werden. Immerhin wird nicht nur die Hauptshow übertragen, sondern es gibt Tausende Vorabberichte. Wir sind zum Beispiel auch für das Pressezentrum mit 1.400 Journalisten verantwortlich – hier wird es dann nicht nur Wasser und Kaffee geben, sondern täglich Köstlichkeiten aus Österreichs Genussregionen.

Horizont: Das ist Eventmanagement im großen Stil ähnlich der Fußball-EM vor sechs Jahren …

Wrabetz: Mit dem Unterschied, dass man nicht sechs Jahre, sondern nur zwölf Monate Vorbereitungszeit hat. Auch Public Viewing ist Teil des Konzepts – mit Eurovillage, einer Fanmeile am Rathausplatz oder im MQ und dem täglichen Club, wo sich Delegationen und Journalisten treffen und die Künstler im kleinen Rahmen auftreten.

Horizont: Das heißt Party rund um die Uhr.

Wrabetz: Mit einem hohen Anspruch. Der Claim des Events lautet ja „Building Bridges“, was nicht nur zu Conchita passt, die Lebenswelten verbindet. Es gibt auch einen historischen Konnex: So tanzte man 1815 am Wiener Kongress. Aber es wurde nicht nur getanzt, sondern konstruktiv an einer Friedensordnung für Europa gearbeitet. Das ist unser Leitbild, es wird auch internationale Politprominenz erwartet. Natürlich ist der Anlass eine Unterhaltungsshow, aber es sollte auch ein völkerverbindendes Element mitschwingen.

Horizont: Auf Basis welcher Personalressourcen findet das Event statt?

Wrabetz: Es sind derzeit 40 Mitarbeiter mit dem Song Contest beschäftigt. Am Tag des Finales werden inklusive Volunteers 1.400 Menschen aktiv sein.

Horizont: Bei so einem Event ist ein großes Interesse des Staates mit dabei – welche Förderungen wird es geben?

Wrabetz: Die Stadt Wien unterstützt uns mit der Location, die wir ab April für Auf- und Vorbauten nutzen können. Die Handgriffe für die Show wollen perfektioniert werden. Wir erhalten Busse für die Delegationen, die auch gratis öffentliche Verkehrsmittel nutzen dürfen. Es wird eine Notstromversorgung geben – eine Auflage der EBU, weil 60-TV-Stationen gleichzeitig auf Sendung sind. Es gibt Geldmittel für Off-air-Events. Das ist ein Paket von zwölf Millionen Euro. Mit Bund und Ländern sind wir im Gespräch über weitere 1,5 Millionen.

Horizont: Womit lässt sich noch Geld verdienen?

Wrabetz: Ein Drittel der geplanten Einnahmen wird aus dem Ticketing kommen, ein Drittel sind die Teilnehmergebühren, ein Drittel wird aus Sponsoring kommen.

Horizont: Würden Sie es sinnvoll finden, in der Zeit dieser hohen Aufwendungen den Gesetzgeber zu bitten, für diese 14 Tage den Werbe-Frame des ORF zu erweitern?

Wrabetz: Ein interessanter Vorschlag. Aber es gibt noch andere Probleme – so ist es dem ORF gemäß einer Entscheidung der KommAustria verboten, ­während Sendungen Kooperationspartner als Reminder einzublenden, die European Broadcasting Union wiederum verlangt genau das etwa beim Voting. Dieses Verbot ist einzigartig in Europa. Ich hoffe, das können wir gesetzlich klarstellen.

Horizont: Welche anderen programmlichen Highlights hat der ORF 2015 zu bieten?

Wrabetz: In der Fiction werden wir das Produktionsbudget von 81 auf 84 Millionen erhöhen. Im Jänner starten die „Vorstadtweiber“. „Altes Geld“, das Nachfolgeprojekt von David Schalkos „Braunschlag“ kommt – es blickt scharfzüngig in die Abgründe alteingesessener reicher Familien. Wir sind gespannt auf „Das Team“, eine europäische Krimi-Koproduktion. Wir werden einiges rund um das Staatsvertragsjubiläum bieten. Im Sport sind Ski Alpin, die Nordische und die Heim-Snowboard-WM am Programm. Wir freuen uns auf die Rückkehr der Champions League. Ich rechne hier nach dem Verfahren, das die deutsche ProSiebenSat1-Gruppe gegen uns angestrengt hat, mit einer positiven Entscheidung.

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Horizont: Apropos österreichisches Privat-TV. Da gibt es eine noch junge Allianz mit ATV, das den VÖP verlassen hat, aufgrund von Unstimmigkeiten mit Markus Breitenecker. Das haben Sie genutzt – und nun bietet der ORF mit ATV um die Rechte an der Europa League. Ein einmaliger Schachzug?

Wrabetz: Meine strategische Grundansage ist, dass die wahren Herausforderer nicht im Land sitzen, sondern Global Players sind. Wir können Allianzen nicht nur verkünden. Daher sind wir immer offen für Kooperationen mit österreichischen Medienanbietern. Ein Ziel für das kommende Jahr ist auch die gemeinsame Bewegtbildvermarktung mit dem VÖZ. Wir müssen verstärkt gemeinsam auftreten, selbst wenn wir Google damit nicht erschrecken.

Horizont: Sie glauben, dass sie mit dem VÖZ, der sich uneinheitlich äußert, auf einen grünen Zweig kommen?

Wrabetz: Es geht hier um Content insbesondere im regionalen wie auch internationalen Bereich, der angeboten und gemeinsam vermarktet werden soll. Das eigentliche Thema ist leider, dass wir ein untergehender Kontinent sind, weil man vor lauter Regulierung in der EU nichts mehr umsetzen kann. Das EU-Parlament will Europas Medienlandschaft gegen Google stärken und dann schicken sie uns bei jeder Kleinigkeit Wettbewerbsbehörde und Prüfungsverfahren auf den Hals. Es wird Google nicht erschrecken, wenn wir in Österreich 500 Videos austauschen. Dasselbe gilt für Flimmit. Wir haben ein kleines Plattförmchen mit acht Mitarbeitern gekauft, einen Feinkostladen mit österreichischen Inhalten, als kleine Ergänzung zu Netflix und anderen On-Demand-Anbietern. Was macht die EU-Kommission? Sie leitet ein Fusionskontrollverfahren ein.

Horizont: Apropos Flimmit – man hört, der ORF plant, digitale Unternehmen näher an sich heranzuholen?

Wrabetz: Anlass dafür ist natürlich die Neugestaltung des Standorts, aber wir werden nicht bis 2020 warten. Wir wollen bereits nächstes Jahr ein Modell umsetzen, wie wir mit Start-ups in Beziehung treten und diese unterstützen können. Wir denken an finanzielle und logistische Unterstützungen für Firmen, die mediennahe sind. Es gibt ja bereits ein junges aktives Team rund um „ZiB“ und ORF On, das durch diese Idee gestärkt werden könnte. Wir planen da ein Screening junger Unternehmen.

Horizont: Sie haben kürzlich auch Wünsche an die Medienpolitik geäußert, welche waren das?

Wrabetz: Der Bewegungsspielraum im Internet ist ein großes Thema. Das vor vier Jahren beschlossene Gesetz für App-Angebote ist heute nicht mehr zeitgemäß. Das zweite betrifft die Genehmigungsprozesse – jede noch so kleine Änderung des Angebots bringt aufwendige Prüfungsverfahren. Aber da gibt es seit Kurzem einen interessanten Bescheid aus Belgien, wo Änderungen im Digitalen nur mehr ab zwei Prozent des Gebührenvolumens, also bei uns ab rund zehn Millionen Euro, genehmigungspflichtig sind.

Horizont: Das wird den VÖZ nicht freuen.

Wrabetz: Den VÖZ zum Jubeln zu bringen, ist nicht meine Aufgabe. Ich hoffe auf Verständnis für unsere Vorstellungen. Aber die Wahrheit wird wohl im Kleingedruckten liegen.

Horizont: Sprechen wir über den Neubau. Wie sollen die geplanten 300 Millionen Euro finanziert werden?

Wrabetz: Ein großer Teil wird aus dem Cashflow, ein weiterer aus einer Anleihe oder als Leasingmodell finanziert werden. Wir sind schon gespannt, weil wir für die Anleihe einer Ratingagentur Rede und Antwort stehen mussten.

Horizont: Wäre es möglich, den Neubau aus den 300 Millionen ORF-Wertpapieranlagevermögen zu finanzieren?

Wrabetz: Möglich schon. Es ist nur die Frage, wie hoch die liquiden Mittel des ORF sein sollten. 2008 fehlten uns unerwartet 40 Millionen in der Werbung. Das wird hoffentlich nicht mehr vorkommen, aber so ein großes Unternehmen muss handlungsfähig bleiben. Bei zu niedrigen Reserven könnten bei Problemen unangenehme Diskussionen in der Politik entstehen. Da will ich mich nicht gleich finanziell ausziehen.

Horizont: Wie hoch wird die Finanzierung ausfallen?

Wrabetz: Wir sprechen von bis zu 200 Millionen auf 20 Jahre – für eine Anleihe gäbe es übrigens durchaus Interesse als Beimischung zu großen institutionellen Portfolios.

Horizont: Was sind nun die Erwartungen an diesen Neubau?

Wrabetz: Wir wollten, dass er sich gut in den Roland-Rainer-Komplex einfügt und gleichzeitig Leichtigkeit, Offenheit und Transparenz ausdrückt. Das ist dem Team Riepl Kaufmann Bammer mit ihrem Konzept gut gelungen. Am Küniglberg werden 2020 etwa 3.800 Menschen sitzen, 800 mehr als bisher. Der Zubau hat einen multimedialen Newsroom als Kernstück.

Horizont: So ein Neubau ist ein Zukunftsprojekt – wie lässt sich das sinnhaft planen? Heute sind beispielsweise integrierte Newsrooms bereits wieder in der Kritik. Und wie kann ein ORF mit trimedialer Stuktur den USP einzelner Kanäle und Formate aufrechterhalten?

Wrabetz: Grundsätzlich muss man die Zukunft flexibel gestalten, keiner weiß, welche Plattformen wir in zehn Jahren bespielen werden. Aber ich war gestern bei Google in Zürich, der Entwicklungszentrale in Europa. Hier arbeiten interdisziplinäre Teams eng zusammen. Das ist die Zukunft. Bestes Beispiel ist Christian Wehrschütz, ­unser Osteuropa-Korrespondent. Er macht Radio, ist im TV, hat ein Buch geschrieben und ist auf Facebook aktiv. Das ist Multimedialität im besten Sinn. Dasselbe gilt für unsere Landesstudios. Und natürlich wird ein „ZiB“-Beitrag anders aussehen als ein Feature für Ö1. Eine Überzentralisierung wäre aber schädlich, weil die Eigenheiten der Marken und Channels leiden würden.

Horizont: Wie wird die Struktur aussehen?

Wrabetz: Wir stellen uns eine Matrixorganisation mit vier Contentbereichen vor: Information, Kultur & Bildung, Sport und Unterhaltung. Dem Content-Cluster steht die Klaviatur der Channels gegenüber. Wir haben gute Erfahrungen gemacht mit der Struktur des Channel-Managements, im Radio bei Ö3 oder auch im Fernsehen mit ORF III. Das fehlt für ORF eins, ORF 2 oder Ö1 noch. Auf diese Weise können auch die einzelnen Marken gepflegt werden und Wettbewerb und Pluralismus wird möglich. Wir arbeiten derzeit an den Details dieser neuen Struktur.

Horizont: Wer ist wir?

Wrabetz: Die Boston Consulting Group, die den Prozess begleitet hat, hat mit allen gesprochen, die Entscheidungen fallen aber in einem kleinen Team rund um mich und den Kaufmännischen Direktor Richard Grasl. Die Multimedialität soll sich auch auf der Direktoren­ebene widerspiegeln. Eine funktionale Struktur nach Mediengattungen, wie wir sie seit fünf Jahrzehnten haben, wird dann übrigens auch auf Direktoren­ebene keinen Sinn mehr machen.

Horizont: Im Moment ist es ruhig am Küniglberg. Es gab schon andere Zeiten, als ihnen ein rauer Wind entgegenwehte. Ist das die Ruhe vor dem Sturm?

Wrabetz: Das weiß man nie (lacht). Aber ich denke, wir steuern unser ORF-Schiff auf sicherem Kurs. Wir haben im Fernsehen stabile Marktanteile auf international hohem Niveau, sind im Radio mit dem europäischen Rekordwert von 74 Prozent Gesamtreichweite stabil, online die Nummer eins und mobil voran. Wir sind in den schwarzen ­Zahlen, haben eine vom Stiftungsrat mitgetragene Zukunftsstrategie, einen Standortbeschluss, einen neuen modernisierten Kollektivvertrag. Es gibt wenig Grund für Veränderung …

Horizont: Beste Voraussetzungen also für eine Wiederwahl 2016 ...

Wrabetz: Bis dahin ist noch eine lange Zeit, daher sage ich nichts zur Wahl.

Dieses Interview erschien bereits am 5. Dezember in der HORIZONT-Printausgabe 49/2014. Hier geht’s zur Abo-Bestellung.

Interview: Hans-Jörgen Manstein und Birgit Schaller
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