Leitmedium TV zwischen Journalismus und Satire - "ZiB2"-Anchor Armin Wolf und Kabarettist Florian Scheuba im Interview über politische Inszenierungen im TV und wo der Journalismus seine Grenzen hat.
Wolf: Ich glaube nicht, dass es überbewertet wird. Man hat einfach nirgendwo diese Masse an Publikum. Bei der "Zeit im Bild" sitzen 1,1 Millionen Leute vor dem Fernseher. Stellen Sie sich vor, wie viele Wahlveranstaltungen Sie machen müssten, um 1,1 Millionen Leute zu erreichen, oder die 600.000, die man mit einem "ZiB2"-Auftritt erreicht. Und wichtig ist: Jede einzelne Geschichte der "ZiB1" sehen 1,1 Millionen Leute. Es gibt keine einzelne Geschichte in der “Kronen Zeitung“, die so viele Leute lesen, deren Reichweite bezieht sich auf die ganze Zeitung.
HORIZONT: Herr Scheuba, ist für Sie das Medium Fernsehen ein relevantes Medium für die politische Meinungsbildung? Oder können Sie es nur mit den Augen eines Satirikers sehen?Florian Scheuba: Es ist schon relevant, dass man solche Sachen auch im Fernsehen bekommt. Die Art und Weise, wie ein Politiker sich in der Öffentlichkeit präsentiert, lässt sich anhand seiner TV-Auftritte am besten beurteilen.
HORIZONT: Reicht es als Politiker schon, einfach im TV zu sein? Bringt ein Ausflug in die Seitenblicke soviel wie ein "ZiB2"-Interview um 22.00 Uhr?Wolf: Der schönste Fernsehauftritt , den sich ein Politiker wünschen kann, ist die Einladung zu „Wetten, dass …“. Das kommt selten, hat aber unfassbar viele Zuseher. Und: Man wird ausschließlich freundlich befragt. Ich werde nie vergessen, wie Karl-Heinz Grasser mit seiner Frau bei Thomas Gottschalk auf der Couch saß, und die erste Frage vom Herrn Gottschalk war: „Eigentlich sehen Sie für einen Politiker viel zu gut aus. Gibt es da nicht EU-Richtlinien, wie ein Finanzminister auszusehen hat?“ Und die kritische Frage war: „Sie wurden ja in einem Alter Finanzminister, wo andere noch zuhause wohnen und Taschengeld beziehen. Was ist da falsch gelaufen bei Ihnen?“ In der Preisklasse. Ich werde auch nie vergessen, wie wir uns kurz nach der Abspaltung des BZÖ von der FPÖ wochenlang erfolglos bemüht haben, Wolfgang Schüssel als damaligen Regierungschef ins "ZiB2"-Studio zu bekommen. Dann drehen wir den Fernseher auf und sehen ihn bei „Vera“ sitzen...
Scheuba: … und wer hat ihm den Sessel zum Probesitzen gebracht?
Wolf: Ich glaube, die hatten dort eine Bank. Schwer zu transportieren… Jedenfalls wurde Herr Schüssel dort eine Viertelstunde lang befragt, wie er jeden Samstag Fußball spielt, Cello übt und was er sonst so für Hobbies hat, während es seinen Koalitionspartner zerfetzt hat. Das sind natürlich schon Auftritte, die für einen Politiker fast unbezahlbar sind.
HORIZONT: Ist das nicht beim Opernball auch so mit den österreichischen Politikern? Tut das einem Fernsehjournalisten weh, wenn er sich die Liveeinstiege anhört?Wolf: Das ist Folklore. Da profitiert maximal der Bundespräsident, wenn er der Mirjam Weichselbraun einen Pinguin schenkt. Das ist schon wieder ein solcher Stil- und Ritualbruch, dass man vor dem Fernseher sitzt und sich denkt: "Was für ein reizender älterer Herr und was sind wir für ein entzückendes kleines Land?" Oder wenn er sich vor Frau Treichl-Stürgkh (Desirée, Opernballorganisatorin, Anm.) hinkniet, um ihren Ohrring aufzuheben. In den meisten anderen Ländern würde sich wohl der Leibwächter bücken. Bei uns kniet sich live im Fernsehen das Staatsoberhaupt hin. Das ist doch entzückend. Aber ich glaube ich nicht, dass es Herrn Faymann sehr geschadet hat, dass er heuer nicht am Opernball zu sehen war.
HORIZONT: Wie authentisch können Politiker im TV überhaupt sein?Scheuba: Man lernt sie in einer Art und Weise kennen, von der sie selbst glauben, dass sie gut ist.
Wolf: Natürlich überlegen sich die Leute vorher, was sie sagen und natürlich laufen sie vor der Kamera nicht im Morgenmantel mit dem Whiskyglas in der Hand herum. Aber woher haben Sie Ihr Bild von Herrn Stronach? Nicht aus Zeitungsinterviews. Oder Werner Faymann? Sie haben Ihr Bild von ihm ausschließlich aus dem Fernsehen. Und ich glaube, dass dieses Bild, das Sie haben, ziemlich authentisch ist. Jetzt kenne ich ihn doch schon einige Zeit. So wie ich ihn wahrnehme – auch hinter der Kamera – differiert das nicht stark zu dem, was man am Schirm sieht. Er ist kein völlig anderer. Eine solche ganz andere Inszenierung würde man auch langfristig nicht durchhalten.
HORIZONT: Herr Wolf, als TV-Interviewer stoßen Sie selbst ja an Grenzen, weil Sie Ihre Rolle nicht verlassen dürfen. Sind Sie manchmal neidisch auf Satiriker wie Herrn Scheuba, die auch dort weitermachen, wo Sie als Interviewer nicht mehr hinkönnen?Wolf: Das beste Heinz Christian Strache-Interview, das ich kenne, hat Robert Palfrader als „Kaiser“ gemacht. Und er kann es auch nur machen, weil er es nur einmal machen muss. Oder ein Interview, das Florian Scheuba mal für die "Kleine Zeitung" gemacht hat – sensationell! Das beste Jörg Haider-Interview, das ich je gelesen habe. Aber er musste eben danach nie wieder eines machen.
HORIZONT: Herr Scheuba, wo steigt der Kabarettist ein und sagt, dieses Thema, dieses Metathema oder diese Hintergrundgeschichte, kann ein Journalist jetzt nicht ansprechen, weil es seine Funktion verbietet?Scheuba: Den wesentlichen Punkt hat Armin vorher genannt: Er braucht wieder ein Interview. Ich würde nie wieder eines mit Wolfgang Schüssel bekommen. Wobei die Übergänge zwischen satirischer und journalistischer Arbeitsweise manchmal fließend sind. Das war für mich heuer bei den "Sommergesprächen" der Fall, weil Armin das meiner Meinung nach sehr gut gemacht hat, indem er die Konsequenz daraus zieht, dass nur noch Phrasen abgesondert werden. Wenn ich schon den Herrn Faymann da sitzen habe, dann will ich von ihm wissen, warum er in seiner Biographie Sachen erzählt, die nicht stimmen. Und da sind wir durchaus auch in der Nähe von dem, was wir machen. Wir haben bei den „Staatskünstlern“ aus der Not, dass keine Politiker zu uns gekommen sind, eine Tugend gemacht. Wir haben sie ja tatsächlich eingeladen in die Sendung – es ist kein einziger gekommen. Dann haben wir eben die Fragen, die wir ihnen so auch gestellt haben, dem leeren Sessel gestellt.
Wolf: ...ich wäre als Politiker auch nicht hingegangen...
Scheuba: ...man kann als Politiker schon auch gut aussteigen. Nicht alle waren so inferior wie Strache bei „Wir sind Kaiser.“
Wolf: Gut ausgestiegen sind beim „Kaiser“ genau zwei Politiker.
Scheuba: Peter Westenthaler zum Beispiel.
Wolf: Genau. Und Andreas Khol. Aber das hat einen Grund. Du kannst dort nur hingehen, wenn Du bei dem Publikum, das dort sitzt, ein echtes Imageproblem hast. Also bei relativ jungen, aufgeklärten Leuten. Wenn Du dort hingehst mit einem wirklich schlechten Image und Dich nicht wie ein völliger Idiot benimmst, dann kannst Du gewinnen, weil Dein Image nicht schlechter werden kann.
HORIZONT:
Bei Strache hat dieser Mechanismus dennoch nicht funktioniert.Scheuba: Er war vor allem sprachlos. Ihm ist nichts eingefallen.
Wolf: Da ist es nicht gelungen. Aber in dem Moment, wo du halbwegs schlau und schlagfertig bist – und das sind sowohl Westenthaler als auch Khol – kannst du in der Situation nur gewinnen. Eva Glawischnig kann vor dem vermutlich eher grün-affinen Publikum dort fast nur verlieren. Sie müsste schon unfassbar witzig sein, dass sie bei denen noch zulegt. Aber sie kann eben, wenn sie nicht besonders lustig ist, verlieren.
Scheuba: Da bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, es hängt wirklich von deiner Persönlichkeit, von deiner Schlagfertigkeit und deinem Humor ab.
Wolf: Es gehen natürlich alle hin – oder zumindest am Anfang sind alle hingegangen –, weil sie dort ein anderes Publikum erreichen. Das Problem ist ja, dass in einer traditionellen Nachrichtensendung das Publikum älter ist. Deswegen halte ich ja die „Daily Show“ von Jon Stewart für ein hochspannendes Nachrichtenformat. Er macht eine Fake-News-Show, also ein Comedy-Programm, Satire, aber er schafft es, damit eine extrem politische Sendung zu machen. Die „Daily Show“ hat einen gleich hohen Politikanteil wie CNN-Nachrichten und das Durchschnittsalter der Zuseher ist unter 37. 36,6. Unglaublich eigentlich.
HORIZONT: Würde die "Daily Show" in Österreich funktionieren? Wolf: Ja, das funktioniert. Wir haben ja so etwas ähnliches gemacht. "Dorfers Donnerstalk" war so etwas in die Richtung. Oder „Die4da“ und natürlich „Wir Staatskünstler“. Andere Formate, aber eine sehr ähnliche Idee. Auch das war Comedy, aber extrem politisch. Und erfolgreich. Für „Die4da“ durfte ich bei einer Romy-Verleihung die Laudatio halten. Und ich habe damals gesagt, das ist die beste politische Informationssendung, die der ORF seit Jahren gemacht hat.
HORIZONT: Ist das nicht ein Armutszeugnis für den Diskurs, den wir in dem Land haben, wenn man nicht mehr über Nachrichten Politikberichterstattung betreibt, sondern über Satire?Wolf: Auch über Satire. Das ist ein Beleg für etwas, das auf der ganzen Welt so ist: Dass junge Menschen immer weniger traditionelle Nachrichtenmedien konsumieren. Das ist einfach so.
Scheuba: Die Folge „Der vierte Mann“ von „Die4da“, bei der Armin mitgespielt hat, wird auf der Publizistik als Lehrmaterial verwendet. Weil wir eben andere Möglichkeiten des Erzählens haben. Wir können die Medienlandschaft Österreichs in einer Geschichte erzählen und das können sie in den Nachrichten nicht. In den Nachrichten können sie Teilaspekte herausarbeiten – wir haben andere Möglichkeiten. Gleichzeitig haben wir wiederum ganz schlechte Rahmenbedingungen: Weil Du die "Daily-Show" erwähnst, Armin: Die finde ich auch großartig. Nur, die hat ein Team von 50 Autoren. Wir werden nicht einmal für unsere Drehtage bezahlt. Wir machen „Die Staatskünstler“ zu dritt. Die drei Leute die man auf dem Bildschirm sieht und aus.
Wolf: Die Armen führen auch die Kamera und schneiden alles selbst...
Scheuba (lacht): Das ist dann der nächste Schritt…
HORIZONT: Vielleicht wäre eine satirische Polit-Show mal ein gemeinsames Projekt für Sie beide?Wolf: Über solche Formate wird eh immer wieder nachgedacht, nicht mit mir, weil ich schon in der "ZiB2" bleiben möchte, aber prinzipiell. Nur, so einfach ist das nicht. Es gibt im ZDF die „Heute-Show“, die ziemlich erfolgreich ist. Die ist aber eine Eins zu Eins-Kopie von Jon Stewart. Und die „Daily Show“ lebt schon extrem von diesem Mann. Der ist ein wirklich genialer Moderator. Das hat einen Grund, warum von Barack Obama abwärts alle Politiker dort aufmarschieren. Weil sie natürlich wissen, dass sie dort ein Publikum erreichen, das sie mit traditionellen Nachrichtensendungen nicht erwischen. Darum gehen sie ja auch in Österreich zum „Kaiser“. Und es hat ja einen Grund, warum Sat.1/ProSieben jetzt Stefan Raab als seinen Moderator fürs ehrwürdige Kanzler-Duell nominiert hat. Das ist zwar die völlige journalistische Selbstaufgabe dieser Sender, finde ich, aber ein interessantes Experiment.
HORIZONT: Herr Scheuba, hat Satire Grenzen oder darf sie alles?Scheuba: Das muss man von Fall zu Fall unterscheiden, da gibt es kein Generalrezept. Es hängt auch von der gegenständlichen Person ab – was hat sie bisher gemacht, wofür steht sie? Oder wird jemand, der plötzlich an die Öffentlichkeit gezerrt wird, Spott und Hohn preisgegeben? Es wäre Quatsch, das mit Satire zu rechtfertigen.
HORIZONT: Gilt die einfache Formel: „Boulevard plus ORF ist gleich Wahl gewonnen“ heutzutage eigentlich nicht mehr?Wolf: Wenn die Formel so stimmen würde, hätte es ja nie eine schwarz-blaue Koalition geben dürfen. Da war der Boulevard dagegen und der ORF war neutral.
Scheuba: Es wird aber immer noch so operiert.
Wolf: Ja, eh. Aber nur weil so operiert wird, muss es ja nicht auch stimmen. Natürlich muss es ein Politiker versuchen, möglichst günstig in "Heute" vorzukommen, weil es praktisch die einzige Tageszeitung ist, die unter 18-Jährige überhaupt wahrnehmen. 90 Prozent der Jugendlichen lesen keine Tageszeitung. Und wenn, dann in der Abozeitung ihrer Eltern den Sportteil. Die einzige Tageszeitung, die jeder Junge in Wien und in Ostösterreich wahrnimmt, ist "Heute". Ich würde mich als Politiker auch bemühen, dort vorzukommen. Und möglichst günstig – nicht unbedingt als korrupt oder Grapscher.
Scheuba: Es hat sich noch etwas verschoben in der Wahrnehmung. Es war immer im Interesse des Boulevards, den Eindruck zu erzeugen, dass es ohne ihn nicht geht in Österreich. Eine neue Qualität in den letzten Jahren ist, dass es mittlerweile auch Politiker gibt, die wahnsinnig drauf achten, dass dieser Nimbus erhalten bleibt. Weil ihr gutes Verhältnis zum Boulevard ihre einzige Qualitfikation darstellt.
Wolf: Wobei, das dekonstruiert sich eh schon selber, wie bei der Bundesheer-Geschichte. Die fand ich schon interessant. Dass es so simpel ist – man verbündet sich mit der "Kronen Zeitung" und damit kann man alles Mögliche durchsetzen – das glaubt auch mittlerweile niemand mehr. Das erledigt sich.
HORIZONT: Bei der Volksbefragung gab es auch als große Überraschung die starken Einschaltquoten bei dem ORF-Bürgerforum. So politikverdrossen sind die Menschen offenbar gar nicht.Wolf: Da haben wir, die anderen Medien und die Politik auch erst realisiert, dass das Thema die Leute mehr interessiert, als wir alle dachten. Ich bin ja gelernter Politikwissenschaftler und an sich recht skeptisch gegenüber direkter Demokratie. Aber was ich schon total spannend fand, war, dass trotz des relativ ungeeigneten und inhaltlich komplexen Themas das Land für eine bestimmte Zeit politisiert werden konnte. Voraussetzung war aber auch, dass ein riesiges mediales Event daraus wurde. Deshalb hätte ich persönlich auch damals eine Abstimmung über den EU-Verfassungsvertrag für vernünftig gehalten. Das hätte man gewinnen können und es hätte zu einer intensiven politischen Debatte über die EU geführt.
HORIZONT: Würden Sie die Volksbefragung der Stadt Wien in die gleiche Kategorie stellen?Wolf: Nein, überhaupt nicht. Die wird nicht funktionieren. Ob die Stadt Wien sich 2028 für die Olympischen Spiele bewerben soll – da fehlt ja jede Emotionalisierung.
Scheuba: Es ist an sich eine Chuzpe, so zu tun als wäre das eine ernsthafte Befragung, wenn gleichzeitig gilt, dass der Einsendeschluss eine Woche später ist. Da darfst Du noch eine Woche nach der Abstimmung deinen Stimmzettel einschicken. Nachdem das Ergebnis da ist! Das ist wirklich eine Verarsche.
Wolf: Das war allerdings bei der Bundesheerbefragung ursprünglich auch nicht anders. Das Zustandekommen der Befragung war derartig absurd, dass ich mir wirklich lange gedacht habe – obwohl ich zu jeder Wahl gehe, bei der ich wahlberechtigt bin – dass ich nicht hingehen werde. Einfach aus Protest gegen dieses absurde Zustandekommen. Trotzdem hat es letztlich extrem gut funktioniert. Und ich bin dann auch hingegangen.
HORIZONT: Herr Scheuba, wie gut kann man mit politischen Inhalten beim Publikum punkten?Scheuba: Man darf eines nicht übersehen: Wir haben mit den „Staatskünstlern“ nicht vor 23 Uhr begonnen und hatten im Schnitt 216.000 Zuschauer. Das ist wirklich viel für diese Uhrzeit. Und das für eine Sendung, die sich nur mit Politik beschäftigt. Und wenn wir auf Tournee sind, sind die Säle voll. Es ist nicht so, dass es die Leute nicht mehr interessiert.
HORIZONT: Ist das Ihrer Meinung wegen oder trotz des politischen Inhalts der Sendung?Scheuba: Es geht ja nur um Politik. Wenn man sich nicht für Politik interessiert, braucht man sich das gar nicht anzuschauen. Man wüsste gar nicht, wovon da die Rede ist.
Wolf: Es gibt ja auch die These, dass sinkende Wahlbeteiligungen kein besonderes Alarmsignal wären, sondern ein Zeichen für besonders reife Demokratien – den Leuten geht es so gut, dass sie die Wahlen nicht mehr so wichtig nehmen. In der Schweiz liegt die Wahlbeteiligung bei Parlamentswahlen im Schnitt bei 40 Prozent, das hat natürlich auch mit den vielen Referenden zu tun. Ich freue mich jeden Tag über die erstaunlich guten Quoten der "ZiB2", weil wir heute bessere Quoten haben als vor 20 Jahren. Und dann erschrecke ich wieder, weil ich mir denke: "Heute haben 600.000 Leute zugeschaut – aber es gibt auch sechs Millionen erwachsene Leute in dem Land, die nicht zugeschaut haben." Wir haben einen großartigen Marktanteil von 30 Prozent, aber das bedeutet trotzdem, dass von den Menschen, die um 22 Uhr vor dem Fernseher sitzen, 70 Prozent ein anderes Programm anschauen. Was mir persönlich ja unbegreiflich ist. (lacht)
HORIZONT: Ein Fernsehinterview wird ja nicht nur vor dem Fernseher rezipiert, sondern ist ja am nächsten Tag auch in den Zeitungen. Im Idealfall – wenn zum Beispiel Karl-Heinz Grasser in der "ZiB2" ist – ist das möglicherweise auf der Titelseite aller Tageszeitungen. Wolf: So oft kommt das auch nicht vor. Außerdem haben wir ja nicht nur Interviews in der Sendung, sondern jeden Tag vier bis fünf sehr gut gemachte Geschichten, die auch nicht alle am nächsten Tag vollständig in der Zeitung zitiert werden. Und: Fernsehen wird schon primär im Fernsehen konsumiert. Die Leute, die sich das aufnehmen oder auf Youtube oder in der TVthek anschauen – das ist schon noch sehr marginal. Das Stronach-Interview vom November ist mit Abstand das meistgesehene Video seit es die TVthek gibt. Es ist aber das erste Video, das in der TVthek mehr Views hatte als im realen Fernsehen.
HORIZONT: Was lernt man daraus?Wolf: Etwas Simples: Online funktionieren primär Sachen, die unterhalten. Die beiden meistgesehenen Videos auf Youtube sind „Gangnam Style“ mit 1,3 Milliarden Views. Dann kommen viele andere kommerzielle Musikvideos und das meistgesehene, nicht kommerzielle Video auf Youtube ist „Charly bit my finger - again“ – wo man einen Eineinhalbjährigen sieht, der seinem dreijährigen Bruder in den Finger beißt und wie der eine Minute und 40 Sekunden lang jammert. Das haben bis heute mehr als 500 Millionen Menschen angeschaut. Ziemlich lustig. Relevanz: Null.
HORIZONT: Herr Scheuba: Ist es nicht so, dass die Kabarettisten auch etwas kaputt gemacht haben im polit-medialen Diskurs? Das einfachste Beispiel ist das Wort "Unschuldsvermutung", das heutzutage keiner mehr verwenden kann, ohne süffisant zu grinsen.Scheuba: Das liegt aber daran, dass es von Journalisten aus Gründen der rechtlichen Absicherung derart inflationär verwendet wurde, dass man irgendwann nur mehr genervt darüber hinweggelesen hat. Das Stück „Unschuldsvermutung“ hat nur Originalzitate von Leuten wie Grasser, Mensdorff, Meinl und Co. enthalten. Auch bei den „Staatskünstlern“ haben wir viel mit Original-Material gerarbeitet. Und wir haben von Staatsanwaälten ein ganz tolles Feedback bekommen.
HORIZONT: Ankläger haben sich bei den Staatskünstlern bedankt? Was muss bei der Justiz passiert sein, dass die bei Ihnen anrufen und "Danke" sagen?Scheuba: Sie sagen, es sei wichtig, dass in der Öffentlichkeit Bewusstsein für solche Themen geschaffen wird. Das sind die Bretter, die wir beide bohren – eben von unterschiedlichen Seiten her. Aber letztlich geht es darum, öffentliches Bewusstsein auf Dinge zu lenken, wo wir der Meinung sind, damit sollte sich die Öffentlichkeit beschäftigen.
Literaturtipp: "Wozu brauchen wir noch Journalisten? - Theodor-Herzl-Vorlesung zur Poetik des Journalismus", Armin Wolf und Hannes Haas (Hg.),
erschienen im Picus Verlag.