Eine Berg- und Talfahrt der Musikindustrie in den letzten 20 Jahren
Streaming sorgt für enorme Zuwächse am Musikmarkt. In Österreich und auch global. HORIZONT nimmt die jüngsten Zahlen unter die Lupe.
Wie entwickelt sich das Musikbusiness? Vor allem in Zeiten von Digitalisierung und aktuell verschärft durch die Krisensituation? Die neuesten verfügbaren Zahlen der IFPI Austria, dem Verband der österreichischen Musikwirtschaft, sprechen hier eine eindeutige Sprache: Bei der Musik-CD gab es im ersten Halbjahr 2020 einen Umsatzeinbruch von 23 Prozent. Im Vorjahr betrug der Rückgang bei aktuellen CD-Veröffentlichungen nur fünf Prozent. Mit Vinyl-Schallplatten wurde ein Umsatz von rund 3,3 Millionen Euro erzielt, ein Rückgang von acht Prozent. Rund 150.000 Schallplatten gingen in Österreich über die Ladentische.
Das Musik-Streaming via Spotify und Co hingegen entwickelt sich ähnlich gut wie in den vergangenen Jahren. Im ersten Halbjahr 2020 sind die Streaming-Umsätze im Vergleich zum ersten Halbjahr 2019 um ganze 37 Prozent auf 42,5 Millionen Euro gestiegen. Rund fünf Milliarden Songs wurden heuer bereits in den ersten sechs Monaten gestreamt. Insgesamt macht der Streaming-Anteil bereits mehr als zwei Drittel des heimischen Gesamtmarktes aus. „Die in den letzten Jahren massiv getätigten Investitionen der Musikbranche in neue digitale Angebote machen sich nun bezahlt. Und aufgrund des starken und weiterhin wachsenden Streaming-Segments ist der Gesamtmarkt mit elf Prozent im Plus“, resümmiert Thomas Böhm, Leiter Marketing & Public Relations bei IFPI Austria. Die Corona-Auswirkungen seien dennoch gravierend. „Die Musikbranche wurde ja als eine der ersten vom Lockdown mit voller Wucht getroffen. Und die Einschränkungen, etwa bei Konzerten oder öffentlichen Auftritten, treffen die Branche nach wie vor hart. Schaden entsteht auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette.“
Hilfsprogramm läuft
Böhm präzisiert: „Hohe Einnahmenausfälle gab es beim Verkauf von Tonträgern durch die Schließungen im Handel. Dazu kommen Verluste bei vorbereiteten, aber nicht realisierbaren Produktionen und Veröffentlichungen oder aufgrund von abgesagten Konzerten, Tourneen und Festivals. Umsätze bei Merchandising-Verkäufen, Tantiemen und Lizenzerlöse bei Synch-Rights sind ebenfalls ausgefallen.“ Besonders schwer wiege, dass der Aufbau neuer Künstler und die Planung neuer Projekte mit etablierten Acts einen zeitlichen Vorlauf von bis zu einem Jahr haben, was mit hohen Vorinvestitionen verbunden sei. „Aufgrund der Krise bleiben nun aber die Erträge und der Cashflow aus – eine wirtschaftlich äußerst angespannte Situation.“
Aus diesem Grund hat IFPI Austria schon am 18. März mit dem Indie-Verband VTMÖ ein Hilfsprogramm für heimische Musiklabels initiiert, das mit einer Million Euro dotiert ist. Dieses sieht nicht rückzahlbare, gestaffelte Einmalzahlungen an konkret betroffene Musiklabels in Österreich vor. Der globale Musikmarkt zeigt eine ähnliche Entwicklung wie der heimische. Als die IFPI im Mai des Jahres ihren „Global Music Report“ vorlegte, wurde deutlich, dass erstmals mehr als die Hälfte der globalen Einnahmen von Musikunternehmen aus der Vermarktung von Recorded Music – in Höhe von 20,2 Milliarden US-Dollar – auf das Streaming entfiel (in Österreich überholten die digitalen Umsätze 2018 erstmals die analogen).
Streaming für 11,4 Milliarden
Formatübergreifend, also über die verschiedenen Audio- und Video-dienste hinweg, wuchsen die Streaming-Umsätze um 22,9 Prozent auf 11,4 Milliarden Dollar und sorgten damit für 56,1 Prozent der Plattenfirmen-Umsätze. Bezahlte PremiumAbos von Spotify, Apple und Amazon gaben dabei das Tempo vor: In diesem Bereich stiegen die Umsätze um 24,1 Prozent, die Zahl der Nutzer in diesem Bereich kletterte laut IFPI-Berechnungen bis Ende 2019 im Vorjahresvergleich um 33,5 Prozent auf 341 Millionen. Was die Pandemie 2020 mit dem globalen Musikmarkt macht, dazu wagte die IFPI keine Prognose.
Die vorgelegten Zahlen, die die Beschleunigung der Digitalisierung ausweisen und nach Jahren der Stagnation zu Wachstum führen, könnten angesichts der jüngsten Entwicklungen aber nur „eine Momentaufnahme“ sein, wie IFPI-CEO Frances Moore bei der Vorstellung des Jahresberichts einräumt. Die Musik-Gemeinschaft habe sich deshalb zu verschiedenen Bemühungen zusammengeschlossen, um die Betroffenen zu unterstützen.