Der Radiotest versetzt die Branche in Aufruhr
 
Flickr/Alan Levine
In honor of ds106 radio and thinking ahead to our session at Northern Voice 2011, this
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Die Daten der vergangenen Jahre sind fehlerhaft. Wie es jetzt weitergeht und was Werbekunden dazu sagen.

Dieser Artikel ist Teil der HORIZONT-Ausgabe 17/2016, die am 29. April erschienen ist. Hier geht's zum Abo

Es war ein Paukenschlag. Vergangene Woche gestand die GfK den Auftraggebern des Radiotests, dass es bei der "Erhebung und Berechnung der Daten Fehler gegeben" habe – bei Marktanteilen, Reichweiten und Hördauer. Das Resultat: Abweichungen von bis zu drei Prozentpunkten. Gegenüber Vertretern der Radiobranche erklärte das Institut, Mitarbeiter hätten "Schwankungen glätten" wollen. ­Bewusste Beeinflussung soll es nicht gewesen sein. Jan Saeger, Leiter der Konzernkommunikation der Zentrale in Nürnberg, sagt: "Korruption ist auszuschließen. Es gibt auch keinerlei Hinweise, dass für Geld manipuliert wurde." Und der Rücktritt von Alexander Zeh, Geschäftsführer der GfK Austria, soll keinen Zusammenhang mit dem Radiotest haben – auch wenn es just an jenem Tag war, als der Fall an die Öffentlichkeit geriet. 

Verzerrte Marktdarstellung

Fakt ist: Es sollen die Daten der Jahre 2011 bis 2015 betroffen sein, der Markt sei verzerrt dargestellt worden. "Das Bild verhärtet sich", sagt RMS-Prokuristin Doris Ragetté (Die RMS ist einer der Auftraggeber des Radiotests, neben ORF und Kronehit) und konkretisiert: "Grosso modo gibt es Abweichungen, die mehrheitlich massiv zu Gunsten des ORF gehen, vor allem bei den Marktanteilen." Die ersten korrigierten Daten seien bereits bei den Auftraggebern eingetroffen – bei Redaktionsschluss allerdings zur Gänze bislang nur jene von 2015.

Ernst Swoboda, Geschäftsführer von Kronehit und künftiger Vorstandsvorsitzender des VÖP, sagt: "Den ersten Tendenzen für 2015 ­zufolge, wurde der ORF bei den Regionalradios und Ö3 bei der Tagesreichweite spürbar zu hoch ausgewiesen." Dadurch sei auch die Gesamttagesreichweite von Radio an sich etwas zu hoch ausgewiesen worden. Der ORF wollte sich zu konkreten Zahlen nicht äußern, lässt aber via Aussendung wissen, dass die "überlegene Marktführerschaft" der ORF-Radios auch weiterhin bestehen bleibe, ebenso wie die starke Stellung des Mediums an sich. Die einzelnen ORF-Radios seien "teilweise schlechter und teilweise besser dargestellt worden". Kronehit-Chef Swoboda wird hingegen konkreter: "Das Spannende ist, dass es nur jene ORF-Radios betrifft, die werbefinanziert sind – also Ö3 und die Regionalradios. Es gibt praktisch null Unterschied bei Ö1 und FM4."

Die Verschiebungen werden erst ersichtlich sein, wenn die bereinigten Zahlen am Tisch liegen. Insidern zufolge, soll es in einzelnen Bundesländern dramatische Abweichungen zu den von den GfK kommunizierten Radiotest-Daten geben – vor allem was die werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen anbelangt. Die Auftraggeber des Radiotests wollen die Zahlen jedenfalls zusätzlich von einem anderen Institut auswerten lassen. Die externe Prüfung sei bereits in die Wege geleitet.

Ende von GfK, Einstieg von RTR?

Laut ORF sei der Vertrauensverlust in die GfK "dermaßen groß", dass man einen vorzeitigen Ausstieg aus dem laufenden Vertrag prüfe. "Eine Möglichkeit wäre, den Test auf zwei Institute aufzuteilen", sagt Swoboda, der sich auch vorstellen kann, die Regulierungsbehörde RTR als objektiven Partner zu gewinnen. Die RTR scheint dem jedenfalls positiv gegenüber zu stehen. Geschäftsführer Alfred Grinschgl: "Ich bin ­offen, dass wir als RTR-GmbH beim Radiotest als unabhängiger Partner diese Untersuchung mitbeurteilen und warte auf diesbezügliche Gespräche." Swoboda würde sich auch wünschen, dass die RTR investiert, weil der Radiotest durch verstärkte Kontrollmechanismen künftig teurer werden könnte. Grinschgl sagt dazu aber: "Ob wir uns auch finanziell ­beteiligen, ist fraglich."

Wie hoch der Schaden für die Werbung ist, kann noch nicht abgeschätzt werden, dafür fehlen die bereinigten Detaildaten. "Es ist ein Riesenunterschied, ob die Tagesreichweiten falsch ausgewiesen worden sind oder die Viertelstundenreichweiten", sagt Swoboda. Das eine spiele für nationale Werbebudgets eine Rolle, das andere für den lokalen Verkauf. 

Nachzahlungen und Rabatte?

Nachzahlungen von Privatsendern an Kunden kann er sich nicht vorstellen, für Kronehit schließt er es aus. Und wenn nun Kunden Geld vom ORF zurückfordern, weil sie zu teure Preise gezahlt haben könnten? Die vermarktende ORF-Enterprise wollte sich dazu nicht äußern. Von Ernst Swoboda gibt es einen Warnruf: "Da kommen wir in ein heikles Thema – dann nämlich, wenn der ORF den Kunden nun Gratiswerbung gibt, um das Defizit zu kompensieren." Dadurch würden Volumina am Markt kostenlos vergeben werden, die dann den Privaten fehlen, "und das würde den Markt völlig verzerren". Auch etwaigen Rabatten schiebt er einen Riegel vor: "Der ORF darf rechtlich gesehen nicht unter Preisliste verkaufen, das wäre Missbrauch marktbeherrschender Stellung. Wir würden das mit einer unbändigen Entschiedenheit verfolgen, die nichts ausschließt."

Reaktionen aus der Werbung

"Grundsätzlich hat der falsche ­Radiotest nur auf den Preis einen Einfluss", sagt XXXLutz-Marketingchef Thomas Saliger, einer der größten Radiowerber des Landes. "Diese werden sofort angepasst, das haben wir schon vereinbart." Einen Imageschaden für die Gattung Radio sehe er nicht, "das war ja nicht die Absicht der betroffenen Sender". Eventuell zu viel bezahlte Tarife werde man zurückfordern. Saliger: "Wir werden die TKP vergleichen und mit den Medien Lösungen über die Abgeltung des Differenzbetrags finden." Künftig wolle man die Mediaplanung marginal anpassen und für 2017 ohnehin mit den richtigen ­Zahlen planen.

Auch die Rewe-Gruppe verweist auf ihre betreuende Mediaagentur. Von dieser heißt es: "Wir erwarten eine lückenlose Aufklärung und ­Prüfung der Daten", so Andrea ­Reschreiter, Director Business Insights & ­Solutions OMD Group. "Danach werden wir eruieren, ob es für unsere Kunden zu einem Schaden gekommen ist." Sie appelliert, dass nicht andere Marktstudien automatisch in einer Art Sippenhaftung an einen Pranger gestellt würden. 

Über Lösungen mit den Medienhäusern will auch Andreas Weiss, CEO Dentsu Aegis, sprechen: "Die kolportierten Verzerrungen von bis zu drei Prozentpunkten sind absolut keine Lappalie." Joachim Feher, CEO der MediaCom, stimmt ein: "Selbstverständlich ist das ­Vertrauen in die GfK angeknackst, doch wir sind sicher, dass die GfK als globales Unternehmen für vollkommene und transparente Aufklärung sorgen wird. Auf jeden Fall werden wir die Interessen unser Kunden in jeder Phase sehr deutlich vertreten."

Besonders kleinere Sender könnten stark betroffen sein, sagt Petra Hauser, Geschäftsführerin media.at. Sie "wurden unter Umständen, durch falsch ausgewiesene Kennzahlen, zu wenig oder gar nicht in den Mediaplänen berücksichtigt. Wir fordern rasche und lückenlose Aufklärung. Dadurch soll das Vertrauen in das durchführende Institut und den Radiotest, als Leitwährung für die Radioplanung, wiederhergestellt werden."

Die rechtliche Lage

Rechtsanwalt und Medienrechtsexperte Gerald Ganzger erläutert, dass vor allem Potenzial für Forderungen gegeben sei, wenn die Honorierung teilweise oder gänzlich auf Reichweitendaten basierte oder zumindest davon abhängig war. Die falschen Daten hätten den Markt nicht korrekt abgebildet, und somit könnten im Einzelfall zu hohe Preise für Werbeschaltungen bezahlt worden sein. Im Detail: Werbekunden können beispielsweise Forderungen gegenüber Medien richten, die betroffenen ­Radiostationen wiederum würden sich dann wohl an der GfK schadlos halten. Schadenersatzforderungen richten sich dabei, so Ganzger, immer gegen die GfK als Unternehmen; "nur wenn es um strafrechtlich relevante Vergehen, wie beispielsweise 'Bestechung' geht, und dafür gibt es mit ­aktuellem Stand keine Hinweise, dann könnten auch Mitarbeiter beziehungsweise jene, die mitgewirkt ­haben, zur Verantwortung gezogen werden", so Ganzger. Bei Vermarktungsgemeinschaften wie der RMS, bei der Erlöse nach einer Quote an die einzelnen Radiosender ausbezahlt werden, stellt sich die Frage, ob dieser Verteilungsschlüssel durch die falsch gemeldeten Daten inkorrekt war und dadurch nachträglich korrigiert werden muss – und sich somit Forderungen etwaig benachteiligter Sender ergeben.

Die Auftraggeber des Radiotests können zudem Teile des Honorars von der GfK zurückfordern, "weil die erbrachte Leistung im damals vereinbarten Leistungszeitpunkt mangelhaft war", führt Ganzger weiter aus. Auch Schadenersatzforderungen für nun entstandene Aufwände – wie die neuerliche Prüfung der Daten oder die Installation eines externen Prüfers – seien denkbar. Eines ist jedoch nicht möglich: den für das Medium Radio und die beteiligten Player entstandenen Imageschaden finanziell geltend zu machen. "Imageschaden ist rechtlich nicht klagbar", schließt Ganzger.

In den nächsten Wochen sollen die bereinigten und geprüften Radiotest-Daten vorliegen. HORIZONT bleibt dran und wird über die Ergebnisse berichten.

Auf der zweiten Seite lesen Sie alle Fakten rund um den Radiotest.

Alle Fakten zum Radiotest


1993, zwei Jahre nach der Etablierung des Teletests für das Fernsehen, wurde im Auftrag der ORF-Forschung unter Peter Diem beim damaligen Marktforschungsinstitut Fessel + GfK – heute GfK – der Radiotest als Reichweitenerhebung in Auftrag gegeben. Vier Jahre nach der Liberalisierung des terrestrischen Radiomarktes 1997 und endgültig flächendeckendem Start am 1. April 1998, wurde im Jahr 2001 der Radiotest als Gemeinschaftsprojekt vom ORF (eigentlich ORF plus Tochterunternehmen ORF-Enterprise) und den österreichischen Privatradios, vertreten durch den Audiovermarkter RMS-Austria und dem einzigen nationalen Privatradio Kronehit, in Auftrag gegeben. 


Pro Jahr werden kontinuierlich von Jänner bis Dezember 24.000 CATI-Interviews (Computer-Assisted-Telephone-Interviews) durchgeführt, die gleichmäßig über die sieben Tage der Woche verteilt sind. Die Ausweisung erfolgt halbjährlich, dazu gibt es rollierende und Jahresdatenbestände. Das idente Verfahren wird auch in Deutschland angewendet, dort sind neben der GfK drei weitere Institute mit über 77.000 Telefon­interviews jährlich beauftragt. 


Die Stichprobe ist repräsentativ für die österreichische Bevölkerung ab zehn Jahren angelegt, die Grundgesamtheit – die österreichische Bevölkerung ab zehn Jahren – entspricht über 7,6 Millionen Personen. Bei der Telefonbefragung werden sowohl Festnetznummern als auch Handynummern berücksichtigt, um eine möglichst repräsentative Zielpersonenauswahl zu gewährleisten. Ein ­Radiointerview dauert nach Angaben von GfK rund 20 Minuten.

Haupt­inhalt der Befragungen ist die Radio­nutzungs­gewohnheit "gestern" in Viertelstundenabständen. Diese Viertelstunden-Reichweiten sind auch die harten Zahlen für die Sender, wenn es um Preisbildung und Vermarktung geht. Die Tagesreichweiten und Marktanteile sind Orientierungshilfen für die strategische Mediaplanung und das Sendermarketing. Dazu kommen soziodemografische Merkmale (Zielgruppenmerkmale) sowie Besitzverhältnisse und Anschaffungswünsche, Informationsinteressen und Freizeitaktivitäten. Die Kosten für den Radiotest belaufen sich aktuell auf rund 750.000 Euro jährlich, rund 70 Prozent trägt der ORF, 30 Prozent die Privaten.
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