Peter Lammerhuber: Ich zitiere da gerne einen lieben Freund von mir – Franz Manola (ORF-Stratege, Anm.). Er beklagt, dass viele Medienmacher defokussiert sind. Meines Erachtens brauchen Medienmacher einen starken Fokus auf die Positionierung ihrer Produkte, insbesondere auf den Inhalt und die Qualität. Durch die Technologie, die sich ja rasant weiterentwickelt, besteht einfach die Gefahr, dass wir das Wichtige aus den Augen verlieren. Das betrifft auch uns als Mediaagentur. Permanent gibt es neue Entwicklungen, denken wir jetzt nur an Programmatic Buying als neues Schlagwort. Dabei ist das bloß ein elektronisches Abwicklungssystem, warum sind wir also so aufgeregt? Und so rennen alle herum wie die Hendln und verlieren, meines Erachtens, den Blick für das Wesentliche. Das ist das Entscheidende für die Zukunft – ja nicht die Positionierung der Medien und des Inhalts aus den Augen zu verlieren.
HORIZONT: Und wie lautet hier Ihr persönlicher Befund? Ist davon ausreichend vorhanden? Lammerhuber: Es gibt Projekte in Österreich, die hervorragend funktioniert haben. Mein Lieblingsbeispiel ist das Red Bull Media House. Natürlich kann man einwerfen, dass das viel Geld zur Verfügung hat – aber denken wir an Servus in Stadt & Land oder auch Terra Mater. Mit hoher Qualität und der Fokussierung auf Content sind das sehr erfolgreiche Produkte. Und das in einer Zeit, in der Print totgeredet wird.
HORIZONT: Innovation wird oft nur als Optimierung des Althergebrachten missverstanden. Wie definieren Sie persönlich Innovation, insbesondere bei Medien? Lammerhuber: Es mag schon sein, dass in vielen Medienhäusern über Jahre Strukturen entstanden sind, die nicht mehr zeitgemäß sind. Auch bei uns im Haus verändern sich Prozesse durch Technologien. Da muss man einfach immer wieder nachjustieren. Aber: Wenn ich mir einzelne Auftritte von Medien in der digitalen Umsetzung anschaue, wird mir angst und bang. Weil sie aus meiner Sicht am User vorbei sind, aber auch am Werbemarkt vorbei sind. Da wird in der Vorgehensweise der Medien zu sehr die eigene Herkunft in eine neue Technologie transferiert und nicht der Inhalt. Warum gibt es so wenig Hybridmodelle? Die Möglichkeiten, die Darstellungsformen – Text, Video, Grafik – zu kombinieren, wird viel zu wenig berücksichtigt.
HORIZONT: Innovation braucht auch Raum zur Entwicklung – für welche regulatorischen Rahmenbedingungen und gesetzlichen Initiativen plädieren Sie im Sinne der Medienzukunft?Lammerhuber: Ich plädiere da sehr stark für drei Dinge. Das eine ist das Recht auf Vergessenwerden. Natürlich braucht man die Daten der User, um digitales Business zu betreiben, aber wenn der User irgendwann sagt, ich habe viel Blödsinn auf meiner Facebook-Seite hinterlassen, dann muss es möglich sein, dass er das Facebook mitteilt und quasi neu starten kann. Ich muss als Individuum schon Herr meines Ichs und meiner Daten sein. Das ist mir persönlich sehr wichtig, deckt sich aber nicht unbedingt ganz mit der Konzernmeinung. Das zweite Anliegen im regulativen Bereich ist die steuerliche Gleichbehandlung. Das betrifft Europa im Gesamtkontext und Österreich im Besonderen. Momentan haben wir, bezogen auf Österreich, eine Ungleichheit bei der Werbeabgabe. Es gibt eben Mediengattungen, die noch die Werbeabgabe zahlen, und es gibt Konzerne, die sie nie zahlen werden. Egal wie sie ausschaut, es kann nicht sein, dass es hier – noch dazu, wo eben die Volumina relativ große Beträge angenommen haben – eine Ungleichheit gibt. Ob das nun so ausschaut, dass die fünf Prozent abgeschafft werden – weil es nicht mehr einem Gleichheitsgrundsatz entspricht – oder die Werbeabgabe insgesamt reduziert wird – auf drei Prozent für sämtliche Medien inklusive Online –, es muss etwas passieren. Und das Dritte, das ich mir von der Politik erwarte, ist, dass man in einem digitalen Zeitalter nicht auf die österreichische Identität vergisst. Die verlieren wir nämlich gerade ein bisschen, daher ist es ganz entscheidend, dass wir den österreichischen Content in irgendeiner Form hochhalten und entsprechend fördern. Egal in welchem Kanal.
HORIZONT: Die Zukunft der Medien hängt sehr stark auch vom kreativen Nachwuchs ab. Wie kann es Medienunternehmen gelingen, kreatives Talent für sich zu begeistern?Lammerhuber: Das ist ein schwieriges Thema. Wir haben bei Bewerbungen sehr simple Aufnahmetests. Und weil Media mit Zahlen zu tun hat, testen wir, wie die Bewerber zu Zahlengebilden stehen. Und wenn man dann feststellt, dass die Leute nicht prozentrechnen können, dann ist das schon sehr hart und kein gutes Zeichen für unser Bildungssystem. Ich sehe auch, dass Talente ins Ausland gehen, weil die Möglichkeiten in Österreich relativ eingeschränkt sind. Das hat wiederum weniger mit der Ausbildung zu tun, denn wir haben kreative Talente. Aber wir geben ihnen gar nicht den Raum. Denken Sie 20 Jahre zurück, an die Jugendredaktion des ORF, aus der so viele legendäre Formate entstanden sind. Wo bitte ist denn heute die Jugendredaktion des ORF? Das ist eine echte Gefahr, denn wenn etablierte Journalisten glauben, sie können junge Produkte machen, dann ist das ein Irrglaube.
HORIZONT: Im Gefüge aus Auftraggeber, Agentur und Medium geht es vielfach nur mehr um die günstigsten Konditionen. Wie lassen sich qualitative Gesichtspunkte in der Mediaplanung in den Fokus rücken? Lammerhuber: Wenn man ein gutes Produkt hat, entzieht man sich auch den Preisdiskussionen. Die gibt es immer dort, wo es „more of the same“ gibt. Das gilt auch für den digitalen Bereich, denn es ist kein Zufall, das orf.at und derstandard.at die umsatzstärksten Seiten sind, die es hier gibt. Es ist also nicht wahr, dass es nur über den Preis geht. In dem Moment, in dem das ganze Paket stimmig ist, gibt es die Preisdiskussion nicht. Aber wenn es in der ÖWA 140 gemessene Seiten gibt, dann gibt es 140 Anbieter – also viel Fläche für Werbung. Und man kann ja nicht davon ausgehen, dass die Werbewirtschaft Vielfalt durchfinanziert. Daraus jetzt eine Jammerei zu beginnen, davon halte ich nichts – das sind die Zyklen des Marktes. Da müssen eben Medienhäuser ihre Hausaufgaben machen und sagen: Okay, dieses Segment – zum Beispiel das Wirtschaftssegment – hat sich in dieser Form überholt, dann mache ich eben etwas anderes.
HORIZONT: Welche internationalen Medienunternehmen und/oder -projekte sind für Sie persönlich zukunftsweisend? Lammerhuber: Ich finde es sehr spannend, wie Die Zeit mit dem Thema umgeht. Immer wieder ausprobieren und in die Tiefe gehen: Veranstaltungen, Reisen, Kooperationen. Die sind zwar breit aufgestellt, aber dennoch nicht defokussiert.
HORIZONT: Was kann eine Initiative wie der Medien-Zukunftspreis tatsächlich für einen Beitrag für die gesamte Branche leisten? Lammerhuber: Ich erhoffe mir, dass wir Dinge neu entdecken. Und gleichzeitig versuchen, Medienunternehmen wachzurütteln. Ich habe ein wenig das Gefühl, dass die gesamte Medienbranche lethargisch geworden ist. Man sitzt vor der Kobra – das ist die digitale Welt – und wartet darauf, gleich gebissen werden. Dabei könnte man hinter sich greifen und den Mungo schicken.
HORIZONT: Wie definieren Sie die Zukunftsvision für die GroupM?Lammerhuber: Nachdem ich nur ein kleines Rädchen in einem lokalen Markt bin, sind andere berufen, diese Visionen zu haben. Womit wir uns intern sehr intensiv beschäftigen, ist, die gesamten Prozesse und Abwicklungen gerade im Digitalbereich, aber auch bei den anderen Mediengattungen möglichst zu automatisieren. Wenn wir das geschafft haben, dann können wir uns wieder ganz stark darauf fokussieren, noch mehr auf Innovationen zu schauen und noch mehr neue Möglichkeiten der Kommunikation zu finden. Dort sehe ich unsere Zukunft.
Die gesamte HORIZONT-Interviewserie mit Mitgliedern des Zukunftsforums finden Sie hier - sie wird laufend erweitert.