Das "Kurier"-Doppel im Gespräch: Eine Standortbestimmung mit Chefredakteur Helmut Brandstätter und Geschäftsführer Thomas Kralinger.
HORIZONT: Aber nicht persönlich? Helmut Brandstätter: Nicht persönlich.
HORIZONT: Thomas Kralinger ist Geschäftsführer bei Mediaprint und Kurier, wie lange?… Kralinger: …im vierten Jahr…
HORIZONT: …und hatte erst einen Chefredakteur, Christoph Kotanko, langerfahren im Kurier (damals seit drei Jahren CR und seit 18 Jahren Kurier-Mitarbeiter, Anm.hs). Wie legt man das dann an bis zum Amtsantritt zum 2. August? Auch mit jemandem, der… Brandstätter: …bitte nicht diese Frage „Der keine Ahnung vom Zeitungmachen hat“…
HORIZONT: Naja: Zeitungmachen bestenfalls als interessierter Leser interpretiert…? Kralinger: Helmut Brandstätter hat von mir jenes Briefing bekommen, das ich jedem gegeben hätte, der neu zum ,Kurier´ kommt. Egal bei welchen Medien er früher war: Erstens ist es für die Führung eines Unternehmens wichtig, zu wissen, wo man steht, zweitens, was schon getan wurde, um woanders hinzukommen. Wir haben uns über die interne und externe Wahrnehmung ausgetauscht, und haben rasch festgestellt, dass wir erfreulicher Weise darin übereinstimmen, wohin die Reise gehen muss. Brandstätter: Wir haben uns zusammengesetzt und sind die wesentlichen Punkte durchgegangen, zeitlich ein wenig eingeschränkt, da ich noch anders zu tun hatte. Aber das war im Wesentlichen sehr unproblematisch anzufangen.
HORIONT: Wie konkret kann so ein Vorspiel gestaltet werden? Brandstätter: Wir sind ein paar Kennzahlen durchgegangen. Unabhängig voneinander haben wir in dieser Zeit Interviews gegeben und ohne es abzusprechen hat sich anhand der Interviews herausgestellt, dass die Annäherung eine sehr Ähnliche ist, was wir hier machen wollen. Nämlich: Qualitätsjournalismus fortsetzen…
HORIZONT: Motto, besser: Schlachtruf: Journalismus pur…
Brandstätter: Gut, Journalismus pur machen, würde man sagen. Dann: Mehr Zeitungen verkaufen. Und die Marke zu stärken. Die Marke ,Kurier´, im Printprodukt, Online und bei diesen neuartigen Geräten, wo wir ohne mein Zutun – das sage ich laut dazu, mit Rufzeichen – durch Vorarbeiten von Kralinger und Kotanko sicherlich den besten Auftritt in Österreich haben am iPad, keine Frage. Und das stärkt wiederum die Marke und das diskutieren wir wiederum gemeinsam – sicherlich auch mit Christoph Kotanko, den ich an dieser Stelle auch erwähnen möchte, weil er mir den Übergang auch sehr leicht gemacht hat. Auch durch Vorgespräche, die wir geführt haben und auch im Hinblick auf die Redaktion und die Stimmung im Haus hat mir Kotanko sehr geholfen. Wenn ich jetzt ein sehr gutes Abstimmungsergebnis habe (
siehe hier, Anm.hs) – was die anderen Zeitungen nicht so berichtet haben, alles andere wäre lustiger gewesen – so hängt das auch damit zusammen, dass Kotanko mehr als nur freundliche und nette Worte gefunden hat.
HORIZONT: Die Statutengemäße Abstimmung fand rund vier Wochen nach Ihrem Amtsantritt statt, da war schon einiges bekannt von Ihren Plänen – beispielsweise die Personalie Martina Salomon… Brandstätter: Die wesentlichen Dinge sind der Redaktion bekannt. Ich bin ja kein Wurschtel der sagt „Es bleibt alles so wie es ist“ und am Tag nach der Abstimmung sagt „Die Dinge ändern sich“.
HORIZONT: Die Personalentscheidung, Martina Salomon, derzeit noch ,Die Presse´ – wie kam es dazu, was kommt noch an Verstärkung von draußen? Brandstätter: Erstens: Das war es auch schon. Zweitens: Der ,Kurier´ ist eine Sieben-Tage-Zeitung, von 9.00 Uhr Früh bis Mitternacht. Jeder, der glaubt, er kann das allein, überfordert sich relativ schnell, das möchte ich nicht. Deshalb ist klar, dass es zwei Leute an der Spitze braucht, die gut aufeinander eingestimmt sind und die ähnlich denken und agieren. Die gemeinsam auftreten können, aber auch jeder für sich alleine und weiß, er trifft eine ähnliche Entscheidung wie der andere sie treffen würde – das halte ich für ganz wesentlich.
HORIZONT: Sie kennen sich…
Brandstätter: Privat ganz gut, aber wir haben nie miteinander gearbeitet. Ich denke, dass Martina Salomon eine Journalistin ist, die hier sehr gut hineinpasst, die bei mehreren Zeitung war und eine große Erfahrung mitbringt. Ich bin froh, dass sie am 1. Oktober anfängt.
HORIZONT: Die beiden anderen Stellvertreter bleiben? Brandstätter: Natürlich. Gert Korentschnig ist ein hervorragender Kultur-Chef ist und hervorragender Kommentator. Und Herbert Gartner als Chef vom Dienst ist sowieso dabei.
HORIZONT: Es ändert sich eine Menge, welchen Trick haben Sie angewendet?
Brandstätter: Keine Tricks, da gibt es nur Wahrheit und Authentizität. Der Trick war der, dass ich das, was ich als Berater manchen CEOs geraten habe, selber gemacht hat.
HORIZONT: Was rät man als Berater CEOs?
Brandstätter: Na eben authentisch sein und die Leut´ nicht anlügen. Die merken das ja, die sind ja nicht blöd.
Kralinger: Ich glaube, das verbindet uns auch. Es hat jeder das Recht die Wahrheit zu erfahren.
HORIZONT: Was für eine Wahrheit wird das werden? Journalismus pur heißt, sag´ ich einmal, Investition und Kosten… Brandstätter: Nicht unbedingt. Das setzt voraus das Bemühen, jeden Tag die bestmögliche Zeitung zu machen. Das setzt auch voraus und das Thema kennen Sie ja und ist Insidern ja bekannt, dass der Kurier seinen ersten Redaktionsschluss um 15.30 Uhr herum hat und man dann seinen Griffel eben nicht fallen lässt. Das ist keine Kostenfrage sondern eine Einstellungsfrage und die Einstellung haben wir alle miteinander. Bis hin zur Nachkritik und Aufmacher-Veränderungen.
HORIZONT: Erste sichtbare Akzente aus Ihrer Sicht? Brandstätter: Was mein Bemühen ist: Aktuell sein. Wir machen eine Tageszeitung und kein Magazin. Eine Tageszeitung, die aktuell ist und dazu Hintergrund bietet. Ich glaube aber auch, dass neben der klassischen Abfolge der Ressorts beziehungsweise Seitenfolge Innenpolitik, EU Außenpolitik, Wirtschaft, Chronik, Sport – diese Themen und Bereiche sind immer stärker vernetzt und dort wo sie vernetzt sind, tun wir sie auch zusammen. Das Dritte ist, dass wir einige sehr gute Serien aus den unterschiedlichsten Bereichen gestartet haben: die Opernserie, in der wir alle bisherigen Operndirektoren vorgestellt haben; im Moment haben wir das Thema Ausländer, wo wir drei Wochen ein bis drei Seiten täglich schreiben und wir sehr viele Rückmeldungen haben und Diskussion angeworfen haben.
Kralinger: Dazu ergänzend: Der Kurier wendet sich nicht nur aktuellen Themen zu, sondern auch Problemstellungen, bei denen wir gesellschaftlich etwas bewegen wollen: So unsere Aktion zum Schulbeginn „Vorrang für Kinder“, zum Beispiel. Ich halte das für eine extrem wichtige Aktion, durch die der Kurier einen Beitrag leisten kann, dass es weniger Unfallopfer im Straßenverkehr gibt, vor allem bei Kindern. Das sind Aufgaben, die Medien übernehmen können und aus meiner Sicht, müssen wir das mit dem Kurier thematisieren. Brandstätter: Da sind wir beim Thema ,Kurier´-Familie. Ich habe mein erstes Editorial überschrieben „Liebe Kurier-Familie“. Ich habe es immer so empfunden, weil ich den Kurier auch als Familienzeitung sehe.
HORIZONT: Serien entstehen nicht über Nacht…? Brandstätter: Über die Opern-Serie haben wir im Juli schon geredet, das andere entsteht eben – die Kurier-Redaktion hat ein gewaltiges Potential.
Kralinger: Auch über unsere Aktion „Vorrang für Kinder“ haben wir schon länger gesprochen – aber es muss dann auch den Antrieb geben zu sagen: Jetzt machen wir das und packen die Geschichte…
Brandstätter: … und die Leute aus Marketing und Redaktion zusammenbringen.
HORIZONT: Im Interview mit HORIZONT im 21-2010 haben Sie sich selbst mit „Haben wir das Bild?“ als ungeduldiger TV-Macher beschrieben. Wie empfinden Sie das Timing in einer Zeitung? Brandstätter: Nun, gerade der Kurier ist auch sehr schnell: Wir machen um 10.00 Uhr eine Redaktionskonferenz und um 15.30 wird die aktuelle Ausgabe zugemacht. Das ist schnell, soll auch schnell sein und es wird ja auch die Kooperation mit Online immer stärker. Machen wir schon, werden wir noch stärker machen –der Newsroom wird im November fertig sein, dort gehört das hin. Zum Thema Bild: Es ist mir wichtig, bei der täglichen Bildauswahl auch daran zu arbeiten, auch mit den Bildern Geschichten zu erzählen. Das habe ich sicherlich vom Medium Fernsehen mitgenommen, aber das gehört genauso in Print hinein.
HORIZONT: Stichwort Newsroom neu…
Kralinger: Ja, das wird jetzt umgesetzt, innerhalb der baulichen Grenzen.
Brandstätter: Hier im Vierten Stock wird es in einem Raum einen großen Tisch Print, einen großen Tisch Online und iPad und Apps geben – und einen großen Tisch für Redakteure, die an einer großen Geschichte arbeiten. Das heißt Zusammenführen von Ressorts. Das Prinzip ist also: Zwei News-Desks, Print und Online. Aber: die müssen miteinander reden. Wann kommt wo wie was. Was machen wir zusätzlich – Bildergalerie?
Kralinger: Es wird Bildschirme geben, wo das Tagesgeschehen außerhalb des Hauses abgebildet wird, wo unsere Online Sites, Teletext und andere Online Seiten zu sehen sind – um näher dran zu sein an dem, was den Tagesablauf aus Mediensicht ausmacht…
HORIZONT: Wann gibt´s den neuen Newsroom?
Kralinger: In etwa zwei Monaten, also noch dieses Jahr.
HORIZONT: Das löst die Online-Redaktion auf? Was macht Kotanko?
Brandstätter: Nein. Wir machen gemeinsam Zeitung. Ich werde mich in der Kernzeit dort aufhalten. Ich halte viel von offener Diskussion, was wir auch relativ aufwendig machen, unsere Sitzungen dauern daher auch relativ lang. Es entsteht sehr vieles gemeinsam. Mein Ziel ist, dass soviele wie möglich integriert und motiviert sind. Und Christoph Kotanko als Koordinator hat ein Büro, ist aber sehr viel im Haus unterwegs.
Kralinger: Man sieht ja auch sehr schön an der iPad-Version des Kurier, wie sich die Zusammenarbeit von Print und Online in den letzten Monaten verbessert hat und jetzt noch einmal durch Helmut Brandstätter motiviert wird. Es wird in den nächsten Jahren zwischen den Systemen – wie beispielsweise Print oder Online – wohl immer unterschiedlich arbeitende Menschen geben. Aber die Kommunikation zwischen ihnen wird sich deutlich verbessern müssen, weil sie letztendlich an einer und mit einer Marke arbeiten. Wir haben unterschiedliche Verbreitungswege und die Produkte müssen sich differenzieren – aber genau diese Differenzierung ist nur dann zusammenzubringen, wenn man die Marke sehr einheitlich unter einem Dach sieht: Nur dann kann man sich entscheiden, was man in den jeweiligen Verbreitungswegen macht. Die Produkte müssen sich differenzieren, sonst wird es die unterschiedlichen Geschäftsmodelle nicht geben.
HORIZONT: Das iPad eröffnet für die Werbevermarktung eine neue Dimension?
Kralinger: Das iPad bietet völlig neue Möglichkeiten bei der Vermarktung. Noch sind wir da aber ganz am Anfang. Wir lernen erst, damit in der Produktion, und genauso im Verkauf umzugehen. Derzeit entwickeln die Verkaufsabteilungen von Print und Online Produkte. Was sich am iPad jedenfalls wunderbar integrieren lässt sind interaktive Elemente bei Printanzeigen, zum Beispiel Videos, weil das iPad eben ein Bildschirm ist, der die Vorzüge einer Zeitung mit den Möglichkeiten des Fernsehens kombiniert. Noch stehen wir da aber ganz am Anfang.
Brandstätter: Die Unterscheidung wird sich einfach aufhören. Ich sehe das als ,Markenmensch´ - wo kriege ich meine Informationen her? Die Antwort muss sein: Die krieg´ ich vom ,Kurier´. Ob das Online oder Papier ist…? Der Redakteur muss was G´scheites schreiben, und das geht dann über die verschiedenen Kanäle. Die Leser müssen wissen wollen: Was hat der Kurier geschrieben?
Kralinger: Und sich sagen: Das hab’ ich vom Kurier! Aber damit jetzt nicht ein falscher Eindruck entsteht: Ich denke nicht, dass das iPad die Zeitung ersetzt und ich bete jedenfalls nicht wie Matthias Döpfner (
Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, Anm.hs) angeregt hat, einmal täglich zu Steve Jobs. Das iPad ist aber das erste digitale Lesegerät, das überhaupt eine Darstellungsform einer Zeitung ermöglicht. Deswegen schätze ich das. Es wird sicherlich noch weitere Entwicklungen geben. Die Informationsvermittlung muss relevant bleiben, um Vertriebserlöse zu generieren. Unabhängig, ob auf Papier, Online, auf digitalen Lesegeräten oder auch zum Beispiel in Kooperation mit Infoscreen als Nachrichtenlieferant in den Wiener U-Bahnstationen. Wir sind dort, wo der Leser ist, da kreuzen sich die Interessen.
HORIZONT: Zweite Anmerkung: Mehr Zeitungen verkaufen! Wie geht das dann.
Brandstätter: Ich will dazu die Grundlagen liefern! Ich will eine Zeitung machen, zu der mehr Leute sagen ,Die möchte ich haben!´ Es muss das Produkt stimmen, und das ist meine Arbeit dabei.
Kralinger: Ich glaube auch, dass der erste Zugang zum Markt zu 100 % über das Produkt führt. Wir müssen den begehrten Gegenwert für den verlangten Preis bieten. Der rasch und zielgerecht konsumierbare Produktnutzen wird in Zukunft noch im Vordergrund stehen.
Schlussfrage von HORIZONT: Wie hätte das Mitglied des konstituierten, aber noch nicht operativ tätigen, neuen Presserat, Thomas Kralinger, die Causa „Lucia“-Bildverwechslung, breit ausgeschlachtet im Standard, beurteilt?
Brandstätter: Da haben wir selber ein Problem gehabt: Wir haben ein Foto aus dem Internet geholt und zwei Beamten gezeigt, die gesagt haben ,Ja, das ist sie´. Wir haben also Check und Re-Check gemacht, wir hätte noch einen Dritten fragen müssen.
Kralinger: Vorweg: Diese Angelegenheit hätte im Presserat den ganz normalen Lauf genommen, die Causa wäre den Ombudsleuten zugewiesen worden. Man sollte in diesem Zusammenhang aber nicht vergessen, dass es bei der Bildveröffentlichung auch darum ging, einen Mörder zu fassen. Es war auch das Interesse der Polizei, Anhaltspunkte zum Täter durch Hinweise zu erhalten. In diesem Fall ist das leider, sehr unangenehm, schief gelaufen.
HORIZONT: Ist das mit der Betroffenen Lucia geklärt?
Brandstätter: Das ist inzwischen geklärt, ja.