Das Leben ist keine Seifenoper
 

Das Leben ist keine Seifenoper

Editorial Birgit Schaller, stv. Chefredakteurin (HORIZONT 7/2014)

Es ist stylish eingerichtet – bunt, retro, kreativ – wie man sich die WG von jungen Menschen heute vorstellt. Bei der Tussi baumelt der rosa Luster, beim Rockabilly hängen Gitarren an der Wand, und der DJ trägt seinen Kult in Form von Tattoos am Körper. ATV hat sich genau ange­sehen, wie seine Zielgruppe tickt, und startet am Montag ein neues Format. Die tägliche Scripted Reality Soap „Wien – Tag & Nacht“ mit echten ­Menschen und erfundener Story soll die hart umkämpfte Vorabendschiene aufmischen – gegen „Bundesland heute“ im ORF, Krimi auf Puls 4, „Simp­sons“ auf ProSieben, „Explosiv“ auf RTL –, möglichst einen deutlichen Quotenauftrieb erzielen und auf Facebook boomen. Das tut „WTN“ mit 13.000 Fans bereits vor dem Start. Ob Paul, Vanessa, Vicky & Co. die Herzen der jungen, eher weiblichen Zuseher erobern können, wird sich weisen – acht Wochen will ATV-Chef Martin Gastinger seinem bisher umfangreichsten Projekt Zeit geben, um es Wegbereiter RTL II mit „Berlin“ und „Köln“ nachzumachen. Die hohen Investitionskosten von rund fünf Millionen Euro müssen verdient werden.

Klar, das Leben ist keine Seifenoper, aber vor allem ist es schön zu beobachten, wie Österreichs TV-Landschaft lebt und sich regt. Im Jänner ist Puls 4 mit der Musikshow „Herz für Österreich“ gestartet, wenn auch vielleicht nicht so erfolgreich wie erträumt. Mit engagierten News-Sendungen können beide Sender aufwarten. Auch im Sport versuchen die starken Privaten dem ORF ein Scheibchen abzuschneiden; das ist teuer, aufwendig und manchmal bleibt nur ein kurzfristiges Highlight. Aber die Investitionen der Sender in den Medienstandort ­Österreich zahlen sich aus. Sie bedeuten nicht nur Geld für den Markt, sondern fördern den Knowhow-Aufbau und generieren Aufmerksamkeit. Immer mehr Leuchttürme erhellen die mediale Landschaft. Noch ist Österreich eine Insel der Seligen, Veränderungen passieren langsam, Krisen wie Hochphasen bekommen wir nicht so stark mit, doch dabei muss es nicht bleiben.

Ob Soaps oder Musikshows trivial sind oder nicht, darüber lässt sich streiten. Wie meinte Gastinger im Interview auf Seite 8? „Unser Auftrag ist, zu unterhalten, nicht, geschmackssicher zu sein.“ Gut jedenfalls, wenn es mutige Medienmacher gibt, die ihr Produkt stärken, das macht nicht nur ihnen und ihrem Publikum Freude, sondern hält den Markt vital. Starke Schlüsselspieler wirken wie ein Schutzschild gegen Globalisierung, drohende Vereinheitlichung und Vereinnahmungstendenzen von internationaler Seite. Fazit: Wir freuen uns über jedes sprühende Lebenszeichen in Österreichs Medienszene, und das nicht nur, weil es dann was zu erzählen gibt.



stats