Christian Nusser führt Österreichs größte Gratis-Tageszeitung mit Gespür für Geschichten und Humor. Und: Seit Kurzem verteilt der "Heute"-Chefredakteur seine "Kopfnüsse" an die Politik – sehr zum Gaudium der Kollegenschaft. Das Interview über seine Kolumne, Fellner und den Journalismus in Österreich.
Horizont: Mit Ihrer satirischen Politkolumne "Kopfnüsse" sind Sie das neue Liebkind der Branche. Wann hat der voll im Tagesgeschäft stehende "Heute"-Chefredakteur Zeit, sich noch so "liebevoll" mit Politikern auseinanderzusetzen?
Christian Nusser: Das geschieht in mehreren Schritten. Untertags notiere ich mir Stichworte, es entstehen erste Fragmente. Nach und nach wird dann klar, was daraus werden könnte. Der Rest übersiedelt in den Abend. Da kann es auch einmal 1:00 Uhr in der Nacht werden.
Ihr Arbeitstag dauert also manchmal zwölf Stunden und mehr.
Zwischen Privat und Arbeit ist alles im Fluss, das sind durchlässige Gefäße. Aber das bin ich gewohnt. Und meine Kinder sind in einem Alter, in dem man sie nicht mehr wickeln muss …
Sie sind seit 35 Jahren Journalist. Machen Sie sich noch Illusionen über Ihren Beruf?
Ich hatte nie ein negatives Berufsbild und nie die Ansicht, dass sich Journalismus in eine falsche Richtung entwickelt. Im Gegenteil: Ich finde den Journalismus aktuell um vieles besser als in der Zeit, in der ich begonnen habe. Illusion ist falsch, Vision ist besser. Es gibt so viele Gestaltungsmöglichkeiten wie noch nie zuvor. Die Möglichkeiten auch für junge Journalisten sind enorm. Und ich hänge nicht der Angst an, dass uns die Arbeit ausgehen wird.
Mit Blick auf den Politbetrieb: Haben die "Kopfnüsse" therapeutische Wirkung für Sie oder sollen sie – umgekehrt – eine solche für die Politik haben?
Für mich ist das auch Teil eines Hobbys. Ich habe im Vorjahr, das war mein Projekt 2019, meinen Roman geschrieben, was damit zu tun hat, dass ich beruflich naturgemäß mit ganz kurzen Texten zu tun habe. Bei "Heute" sind mehr als die Hälfte der Texte Fünf- bis Achtzeiler. Sehr knapp, sehr gerafft mit kurzen Titeln. Therapeutisch also insofern, als ich in der Kolumne längere Texte schreiben kann.
Kopfnüsse galten ja früher einmal als erzieherisches Mittel. Schwingt das mit?
Der Begriff ist doppeldeutig. An sich war die Kopfnuss eine Bestrafungsmaßnahme, aber sie steht auch für Rätsel und Denkaufgaben. Letzteres liegt der Kolumne näher.
Also eine Entschlüsselung der österreichischen Politik?
Entschlüsseln wird man die österreichische Politik nie. Dafür ist sie zu operetten- und anekdotenhaft. Aber ist denke, dass es für Leser interessant sein kann, die Politik aus einer anderen Perspektive zu erleben.
Wie reagieren die Dargestellten?
Sehr unterschiedlich. Es gibt welche, denen es gefällt. Und es gibt welche, die meinen, es sei nicht wertschätzend. Und natürlich hängt es davon ab, wer betroffen ist, ich oder der andere. Das Florianiprinzip gilt auch hier. Jedenfalls werde ich nicht so unter Druck gesetzt, dass ich ein Buch über die Regierung schreiben müsste, um mich selbst zu therapieren.
Ist Satire das letzte verbliebene Mittel, um der Politik auf Augenhöhe zu begegnen?
Humor generell ist eine scharfe Waffe. Wenn man dem etwas entgegensetzt, ist man eben schnell humorlos oder verbiestert. Satire in der Form, wie ich sie mache, funktioniert meiner Meinung nach nur in Österreich. In Deutschland würde das nicht möglich sein. Die Nähe, die man hier als Journalist zu Politikern hat, gibt es dort nicht. Es geht aber nicht um Augenhöhe, sondern um die Entlarvung von Inszenierungen, die in Österreich derzeit eine große Blüte erleben.
Sie haben mehrere Jahre für verschiedene Titel von Wolfgang Fellner gearbeitet. Wäre dort Ähnliches möglich gewesen?
Das sind unterschiedliche Planeten. Ich genieße hier bei "Heute" journalistische Freiheiten wie noch nie in meinem Leben. "Heute" ist kein Produkt, das die Menschen fernsteuert. Und der Zugang zum Leser, den wir im Printprodukt pflegen, ist ein lockerer und fröhlicher. Wir sind das Gegenteil von Brachial-Boulevard. Wir sind anders und wissen, das wird von den Lesern auch so empfunden.
Sie haben sich von Fellner im Streit getrennt, samt arbeitsrechtlicher Auseinandersetzung. Wie ist Ihr Verhältnis heute?
Wenn wir uns sehen, grüßen wir uns. Das war‘s.
Ist es in diesem Zusammenhang eine Genugtuung, dass Heute bei den Reichweiten vor dem Fellner-Printprodukt liegt?
Die Zeiten, in denen sich Printprodukte gegenseitig Leser abgejagt haben, sind vorbei. Unser Gegenüber ist in Wahrheit längst das Digitale, das Mobile. Dort müssen wir erfolgreich sein. Aber: Ich kenne keine Boulevardzeitung in Europa, die im Jahr 2020 genau so viele Leser hat wie 2012 – als ich hier begonnen habe. Damals hatten wir knapp über 900.000 Leser. Und die haben wir heute noch.
Wie gehen Sie eigentlich mit Ihrer überraschend neuen Popularität, speziell auf Twitter, um?
Das verändert mich weder im Inneren noch im Äußeren. Es freut mich, wenn die "Kopfnüsse" gefallen, aber es macht mich nicht überheblich. Mir ist bewusst, dass man auf Twitter vom einen Tag auf den anderen von der Edelfeder zum Outlaw werden kann. Aber das Leben ist nun einmal lebensgefährlich.
Dieses Interview erscheint in der Ausgabe Nr. 5/2020 des HORIZONT. Noch kein Abo? Hier klicken!