Coronapandemie: Und welche Rolle spielen die ...
 
Coronapandemie

Und welche Rolle spielen die Medien?

Ramstorfer, Starz, Corn

Coronapandemie: False Balancing und medial verzerrte Darstellung, der Umgang mit Kanaldeckelimpfung-Verschwörungstheoretikern und potenzielle Verantwortung bei der Impfquote – Chefredakteure über ihre Ansichten und Ansätze.

Matthias Schrom, ORF: 'Nicht Ignorieren, sondern als das darstellen, was es ist: Humbug'

Matthias Schrom ist seit 2018 Chefredakteur von ORF 2 und verantwortet die gewichtigen Nachrichtenformate.
ORF/Thomas Ramstorfer
Matthias Schrom ist seit 2018 Chefredakteur von ORF 2 und verantwortet die gewichtigen Nachrichtenformate.
HORIZONT: Falsche Ausgewogenheit oder legitimes (Agenda-) Setting: Wurde Coronaleugnern und Wissenschaftsverweigerern im Kontext der Pandemie in Medien und in der Debatte zu viel Platz eingeräumt?
Matthias Schrom: Nein, ich glaube, dass wir im öffentlich-rechtlichen ORF den angemessenen Raum gegeben haben. Es ist wichtig, keine Gleichmäßigkeit zwischen ­Fakten und Meinungen aufkommen zu lassen. Ein Beispiel: Man kann der Meinung sein, ein Lockdown ist sinnvoll oder sinnlos. Man kann aber nicht behaupten, Corona sei eine Grippe, weil das eben schlicht faktisch falsch ist. Wo immer es geht, versuchen wir Fakten darzustellen und Meinungen zu Maßnahmen im Sinne eines Diskurses darzustellen. In Diskussionen ist es oft besonders schwierig, diese Trennung sichtbar zu machen – es gelingt uns in den allermeisten Fällen sehr gut.

Wo sollte in der medialen Darstellung respektive Beachtung von Positionen die Grenze gezogen werden zwischen Bedenken der Bevölkerung (‚Impfung schadet bei Schwangerschaften‘) und Ängsten der Bevölkerung (‚Impfung erfolgt durch Kanaldeckel‘)?
Schrom: Es geht um Redundanz in der Darlegung von Fakten. Um bei Ihren Beispielen zu bleiben: Das ist einfach falsch. Also ich bin dagegen das zu ignorieren, sondern dafür es aufzugreifen und als das darzustellen, was es ist: Humbug.

Ist im Bereich der kruden Verschwörungstheorien ein neues Level erreicht worden oder gab es diese aus Ihrer Sicht immer schon in der Intensität?
Schrom: Ich glaube, Verschwörungstheorien sind so alt wie die Menschheit. Die Verbreitung dieser Theorien ist aber sehr viel einfacher. Der Filter von journalistischer Recherche war noch nie so leicht zu umgehen dank Social Media. Unser Job ist es dennoch, keine false Balance entstehen zu lassen. Es wird Menschen geben, die uns etablierten Medien nicht einmal glauben, dass eine reife Erdbeere rot ist, dennoch können wir nicht berichten, dass sie violett ist.

Tragen Medien (Mit-)Schuld an der niedrigen Impfquote in Österreich?
Schrom: Ich denke in dem Fall kaum, wenn ich mir so die Medien anschaue. Manche Medien vielleicht mehr als der ORF. Aber es ist wohl eine Mischung aus anthroposophischer Tradition, Homöopathie, Esoterik, Libertarismus und Ablehnung staatlicher Institutionen. Parteien wie die MFG OÖ oder die FPÖ können damit nur politisch erfolgreich sein, wenn es diese Grundhaltungen in der Gesellschaft bereits gibt.

Christian Rainer, profil: 'Heilige Dreifaltigkeit ist auch keine lupenreine wissenschaftliche Erkenntnis'

Christian Rainer ist Herausgeber und Chefredakteur des Nachrichtenmagazins ‚profil‘.
Stefanie Starz
Christian Rainer ist Herausgeber und Chefredakteur des Nachrichtenmagazins ‚profil‘.
HORIZONT: Falsche Ausgewogenheit oder legitimes (Agenda-) Setting: Wurde Coronaleugnern und Wissenschaftsverweigerern im Kontext der Pandemie in Medien und in der Debatte zu viel Platz eingeräumt?
Christian Rainer: Ein Drittel der Bevölkerung hat zwei Drittel in Geiselhaft. Es geht also ums Ganze. Sollen wir das Ganze wider unsere Pflicht zur Wahrhaftigkeit behandeln, als würde es nicht existieren? Das hat die Politik gemacht – mit dem bekannten Ergebnis.

Wo sollte in der medialen Darstellung respektive Beachtung von Positionen die Grenze gezogen werden zwischen Bedenken der Bevölkerung (‚Impfung schadet bei Schwangerschaften‘) und Ängsten der Bevölkerung (‚Impfung erfolgt durch Kanaldeckel‘)?
Rainer: Ich fürchte, die Bevölkerung differenziert nicht zwischen Wahrscheinlichkeiten und Wahnsinn. Daher kann man immer nur mit Popperschem Falsifikationismus arbeiten: Wir müssen jede noch so dumme Hypothese widerlegen.

Ist im Bereich der kruden Verschwörungstheorien ein neues Level erreicht worden oder gab es diese aus Ihrer Sicht immer schon in der Intensität
Rainer: Ehrlich gesagt erscheinen mir Heilige Dreifaltigkeit, Jungfrauengeburt und Wiederauferstehung auch nicht als lupenreine wissenschaftliche Erkenntnisse.

Tragen Medien (Mit-)Schuld an der niedrigen Impfquote in Österreich?
Rainer: Die Medien haben ein gefühltes Jahrzehnt früher als Politiker Lockdowns für Ungeimpfte und eine Impfpflicht für notwendig befunden. Die meisten Medien wollten dafür nicht einmal Inserate.

Martin Kotynek, Standard: 'Teil der Bevölkerung scheint in einer post­­faktischen Blase zu leben'

Martin Kotynek ist seit dem Jahr 2017 Chefredakteur der Tageszeitung ‚Der Standard‘.
Heribert Corn für DER STANDARD
Martin Kotynek ist seit dem Jahr 2017 Chefredakteur der Tageszeitung ‚Der Standard‘.
HORIZONT: Falsche Ausgewogenheit oder legitimes (Agenda-) Setting: Wurde Coronaleugnern und Wissenschaftsverweigerern im Kontext der Pandemie in Medien und in der Debatte zu viel Platz eingeräumt?
Martin Kotynek: Über Kritik an den Coronamaßnahmen der Regierung zu berichten, ist eine wichtige Aufgabe von Medien, damit sich die Leser:innen selbst eine Meinung bilden können. Dabei gilt es, sehr genau zu trennen zwischen klar argumentierter, fachlich kompetenter Kritik einerseits und faktenwidriger Wissenschaftsverweigerung andererseits. Beides gleichermaßen in seiner Berichterstattung zu gewichten hieße, den Fehler von „False Balance“ zu begehen. Über Coronaleugner berichten wir vor allem im Zusammenhang mit Demonstrationen und in Faktenchecks ihrer Aussagen.

Wo sollte in der medialen Darstellung respektive Beachtung von Positionen die Grenze gezogen werden zwischen Bedenken der Bevölkerung (‚Impfung schadet bei Schwangerschaften‘) und Ängsten der Bevölkerung (‚Impfung erfolgt durch Kanaldeckel‘)?
Kotynek: Rund um das Coronavirus gibt es auch nach eineinhalb Jahren ein enormes Informationsbedürfnis. Wir berichten täglich über die neuesten Erkenntnisse, bitten unseren Corona-Fachrat, Fragen von Leser:innen zu beantworten und recherchieren bei Fachleuten unermüdlich Faktenchecks, sobald Gerüchte oder Ängste entstehen. Solche Sorgen muss man als Medium ernst nehmen. Aber auch hier gilt es, eine Grenze zu absurden Behauptungen („Impfung durch den Kanal“) zu ziehen.

Ist im Bereich der kruden Verschwörungstheorien ein neues Level erreicht worden oder gab es diese aus Ihrer Sicht immer schon in der Intensität?
Kotynek: Wir haben es beim Brexit in Großbritannien und während Trumps Regierungszeit in den USA gesehen, nun erleben wir es rund um Corona auch hier: Ein Teil der Bevölkerung scheint in einer postfaktischen Blase zu leben, die für Fake News empfänglich ist. Mich beschäftigt, wie aufklärerische Medien diese Menschen mit fachlich fundierter Information erreichen können. Denn die niedrige Impfquote zeigt, dass am Schluss die gesamte Gesellschaft die Konsequenzen zu tragen hat.

Tragen Medien (Mit-)Schuld an der niedrigen Impfquote in Österreich?
Kotynek: (Für uns gesprochen:) Regelmäßige Umfragen von Gallup/Medienhaus Wien bescheinigen dem Standard seit Beginn der Pandemie – gemeinsam mit dem ORF – die höchste Glaubwürdigkeit und Relevanz bei der Coronaberichterstattung aller Medien.

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