Corinna Milborn: "Während des Moderierens ist...
 

Corinna Milborn: "Während des Moderierens ist das Verifizieren nicht möglich"

Lisa-Maria Trauer
Corinna Milborn und ihr Team haben nach den Anschlägen in Brüssel stundenlang live gesendet.
Corinna Milborn und ihr Team haben nach den Anschlägen in Brüssel stundenlang live gesendet.

Die Infochefin von Puls 4 über die Sondersendungen nach den Anschlägen in Brüssel und das oft schwierige Verifizieren von Infos, die aus dem Netz kommen.

Über dieses Thema berichten wir auch in der HORIZONT-Ausgabe 13/2016, die am 1. April erscheint. Dies ist die vollständige Version des Interviews mit Puls-4-Infochefin Corinna Milborn. Hier geht's zum Abo

HORIZONT: Frau Milborn. Nach den Anschlägen in Brüssel hat Puls 4 sehr schnell reagiert und lange live gesendet. Ganz grundsätzlich: Wie sind bei Ihnen im Sender die Informationsketten bei solchen Ereignissen?
Corinna Milborn
: Es entscheidet zunächst der jeweils gerade Zuständige – in diesem Fall der Sendungsverantwortliche von "Café Puls". Ich entscheide dann, wie es weiter geht und hole mir, wenn notwendig, die Freigabe von Senderchef und Geschäftsführung für Sondersendungen. In diesem konkreten Fall war es sogar so, dass Geschäftsführer Markus Breitenecker und Senderchef Johannes Kampel um 9 Uhr bei uns im Studio waren und sofort grünes Licht für eine permanente Sondersendung für den ganzen Tag gegeben haben und dabei sogar kurzfristig auf die Ausstrahlung der Werbespots verzichtet wurde. Das Team agiert dann sehr selbständig – es weiß jeder von Redaktion bis Regie und Studiomannschaft, was seine Aufgabe ist und was am Dringendsten zu tun ist. Auf diesen Teamgeist und diese Professionalität bin ich sehr stolz.

Gegen 9 Uhr hat sich der Anschlag ereignet, wie ging es dann konkret bei Ihnen weiter?
"Café Puls" hat das Programm sofort auf eine monothematische Sendung umgestellt: Wenn so etwas geschieht, schalten die Leute den Fernseher ein, um mehr zu erfahren. Gerade angesichts der vielen Halbwahrheiten und Spekulationen im Internet sehen wir es als unsere Aufgabe, an solchen Tagen für unsere Seher da zu sein und gesicherte Information sowie Analysen und Reaktionen zu bieten. Deshalb haben wir uns auch für insgesamt über sieben Stunden live-berichterstattung mit zahlreichen Gästen und Interviews entschieden. Qualitäts-Information ist unser Job, und an Tagen mit so hohem Informationsbedürfnis müssen wir für unsere Seher präsent sein.

Wie gehen Sie mit Bild- und Videomaterial um, das nicht eindeutig zu verifizieren ist?
Wir senden es nicht oder sagen dazu, dass es gefälscht oder noch nicht verifiziert ist. Am Dienstagmorgen kursierte etwa ein angebliches Video aus einer Überwachungskamera auf allen sozialen Medien. Das haben wir gezeigt, um unsere Seher zu warnen, dass es ein Fake ist. Beim schnellen Verifizieren verlassen wir uns auch auf die Kollegen vor Ort und die Agenturen.

Würden Sie beim nächsten Mal wieder genau so berichten?
Das entscheidet sich ja immer aus der jeweiligen Lage. Wir würden auf jeden Fall wieder sofort Sondersendungen starten und das gesamte Team dafür abstellen, Informationen zu sichern und gute Gesprächspartner zu finden.

In Deutschland haben sich die Sender der ProSiebenSat.1-Gruppe mit der (Live-)Berichterstattung zurückgehalten - wie immer eigentlich. Wieso fährt die Sendergruppe in Österreich mit Puls 4 eine andere Strategie?
Wir sind ein österreichisches Vollprogramm und sehen es als eine unserer wichtigsten Aufgaben, gute, unabhängige Information zu liefern. Auf ProSieben Austria und Sat.1 Österreich liefern wir die News zu festen Zeiten – auf Puls 4 sind wir für alle Seher da, die mehr wissen wollen.

Wie sah die Strategie für Social Media aus?
Wir haben Informationen und Videos auf Facebook gestellt und auch Twitter geteilt und die Interviews nach und nach rausgespielt. Außerdem nützen wir Twitter, um die nächsten Gäste anzukündigen und mit den Sehern im Gespräch zu bleiben – so erfährt man auch, welche Fragen gerade am meisten interessieren.

Bei Facebook hat Puls 4 Sendungen teilweise lange live gestreamt - allerdings von abgefilmten Monitoren im Regieraum. Was stand hinter dieser Idee?
Viele sind am Vormittag nicht vor einem TV-Gerät, können aber am Handy zuschauen. Da wir derzeit keinen durchgehenden mobile-Live-Stream des Programms haben, war das die einfachste Möglichkeit, die Sendung am Handy verfügbar zu machen – und die wurde sehr gut angenommen.

Wird das nun regelmäßig bei "Breaking News" gemacht?
Ja - bis wir streamen können. Das ist schon in Arbeit.

Warum wurden die Sendungen aus der Regie "abgefilmt"? Gibt es keine anderen Möglichkeiten?
Es gäbe andere Möglichkeiten, die uns aber zu dem Zeitpunkt nicht zur Verfügung standen. Das Streamen aus der Regie kommt bei unseren Facebook-Usern auch bei normalen Sendungen immer sehr gut an, weil es Backstage-Feeling vermittelt – also fiel die Entscheidung leicht, die Sendung auf diese simple Art live am Handy verfügbar zu machen.

Wie erleben Sie grundsätzlich die Geschehnisse auf Twitter während solchen Ereignissen?
Twitter bietet unglaublich genaue Einblicke, Fotos aus verschiedensten Perspektiven, schnelle Augenzeugen-Kontakte. Es ist aus der Recherche nicht mehr wegzudenken. Wenn ich gerade eine Live-Sendung moderiere halte ich mich aber doch auch an die Agenturen und lokalen Medien, um keine Falschmeldungen zu verbreiten – während des Moderierens ist das Verifizieren nicht möglich.

Grundsätzlich und vielleicht mit etwas Abstand betrachtet: Wie zufrieden sind Sie mit der Berichterstattung von Puls 4 zu den Anschlägen in Brüssel? Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial?
Ich bin sehr zufrieden mit der Flexibilität und Professionalität des Teams, das innerhalb von Minuten reagiert hat, 45 Minuten nach dem Anschlag die erste zweistündige Sondersendung on air hatte und am Nachmittag sogar eine 4,5-stündige Live-Strecke ohne eine einzige Pause geliefert hat. Wir hatten alle gesicherten Neuigkeiten immer sofort on air und - dank des Einsatzes der Redaktion - sehr gute Analysten wie Peter Gridling (Verfassungssschutz), Terrorismusexperten Prof. Steinhäusler, Autorin Petra Ramsauer und den Kriminalsoziologen Reinhard Kreissl im Interview; außerdem ein ausführliches Studiogespräch mit Europa-Abgeordneten und IS-Kenner Michel Reimon, dessen Flugzeug umgeleitet worden war, und einen Call mit Spitzenpolitikern von Bundespräsident Fischer über Vizekanzler Mitterlehner und Verteidigungsminister Doskozil bis zu FP-Chef Strache. Dazu natürlich Augenzeugenberichte aus Brüssel und Berichte unseres N24-Korrespondenten und unsere Reporterin Magdalena Punz. Insgesamt bin ich mit der Performance sehr zufrieden. In Zukunft werden wir aber bei Breaking News noch wesentlich stärker auf mobile Videos und Online-Berichterstattung setzen – die Infrastruktur dazu ist gerade am Entstehen.
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