Bilder, die die Welt verändern
 

Bilder, die die Welt verändern

Editorial von Birgit Schaller, Chefredakteurin (HORIZONT 37/2015)

Flüchtlinge, ihr Leben, ihr Leid, ihre Hoffnung bestimmen, ja, vielmehr verändern, gerade unsere Welt. Sei es, weil die eigenen Kinder plötzlich bis vier Uhr morgens am Hauptbahnhof Freiwilligendienst leisten und dabei Menschen umarmen, ihnen berührt zuhören oder Pez-Zuckerl verteilen für einen sanften Kinderkuss auf die Wange. Sei es, weil über Fotos, jenes toter Flüchtlinge auf der A4 bei Parndorf und jenes des toten Aylan, der in vielfältiger Weise verpixelt und unverpixelt abgebildet wurde, in der Medienwelt hochemotional diskutiert werden. Sei es, weil die Bild-Zeitung, das Boulevardmedium im deutschen Sprachraum mit einer Ausgabe in Print wie online (bis 12 Uhr) ohne Bilder reagiert. Wegschauen hilft nicht, denn Bilder sprechen zu uns, emotionalisieren. Genau das will der Bild-lose Vorreiter zeigen. „Erst wenn man sie nicht sieht, begreift man ihre Magie“, steht auf der grau illustrierten Website. Vielleicht wird aber auch bewusst, wie dominant Bilder sind und wie oft sie Gedanken und auch ­Gefühle beeinflussen. Da findet eine Auseinandersetzung statt. Das ist – inmitten der ­Bilderflut – doch bemerkenswert.

Noch bemerkenswerter ist, dass Medienmarken, ob der Qualität oder dem Boulevard verschrieben, ob in Print, digital, im Hörfunk oder Fernsehen, ihre Berichterstattung verändern, Reportagen über Nächstenliebe bringen und neuerdings um die Seligkeit des Gebens wissen. Es ist eine Ausnahmesituation, die als Chance wahrgenommen wird. ÖBB-Chef Christian Kern sagt es treffend: „Dies ist nicht die Zeit für Dienst nach Vorschrift“ und „aus Österreich werden Bilder der Hilfsbereitschaft in die Welt gehen“. Es scheint, dass die Vernunft wirklich Raum erhält. „Refugees are welcome“ ist in. Menschlichkeit, Selbstlosigkeit und Toleranz sind Werte, die es gerade in die Schlagzeilen schaffen. Nicht das Radikale, Verrückte, beifallheischende oberflächliche Geplänkel erhält eine Stimme und ein Bild. Mitgefühl und Empathie, im Grunde weit verbreitete menschliche ­Eigenschaften, finden endlich Raum in der medialen Welt. Sensationsgier und Quote werden, selbst im Boulevard, an den Rand gedrängt. Journalismus, der gut recherchiert ist, Rücksicht nimmt und objektiv erzählt, findet statt. Ein Land wie Österreich, das im Ausland oft mit einer Tradition der Fremdenfeindlichkeit über sich reden machte, darf die Tatsache, dass sich plötzlich alle, selbst Medien, für die Flüchtlinge verantwortlich fühlen, als Sensation gewertet werden. Und das tut gut!
stats