,Alles was wir machen, wird kritisiert!‘
 

,Alles was wir machen, wird kritisiert!‘

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Georg Spatt, Senderchef des Radiomarktführers Hitradio Ö3, zum Radiotest, Hörminuten, der Ö3-DNA und das „Gasthaus“ Ö3 – und warum der Newsroom wichtig ist und warum Facebook „wie eine Telefonleitung“ behandelt wird.

Langfassung aus HORIZONT 35-2012 vom 31. August 2012.

HORIZONT: Wie interpretieren Sie nun die Ergebnisse von Ö3 im aktuellen Radiotest - allemal ein auch statistisch signifikanter Reichweitenverlust in der Zielgruppe 14-49 Jahre von 48,0 auf 46,1 Prozent (Montag bis Sonntag, Radiotest 1. Halbjahr 2012, Anm.hs)?

Georg Spatt:
Wie interpretiere ich den Radiotest? Unser Ehrgeiz ist es immer, möglichst große Reichweiten und möglichst gute Marktanteile zu haben. Daher ist es nicht so, dass ich sag´: Alles wurscht, dass wir Reichweite im Vergleich verloren habe. Wenn ich mir die nationalen Reichweiten im erste Halbjahr in einem längeren Zusammenhang zurück anschaue, so kann mir das mit einem professionellen Blick nicht wurscht sein. Aber es darf mir auch nicht den Blick so verstellen, dass ich auf die falschen Prioritäten schaue, die mich bei meinem Ziel, Marktanteile, also Stammkunden, zu pflegen, ablenkt. Natürlich ist mir nicht wurscht, wenn wir in einem Bundesland (Vorarlberg, Anm.hs) überdurchschnittlich Hörer verlieren. So wie es mir nicht wurscht ist, wenn wir überdurchschnittlich Hörer gewinnen.

Aber ich darf mich nicht zuviel darum kümmern: Ich muss es wissen, ich muss gemeinsam Antworten finden. Zum Beispiel: Ö3 hat seit zwei, drei Jahren in Wien eine irrsinnig gute Performance, die aber als Erkenntnis nur wenig Rückschlüsse für den Restmarkt gibt. Was hätte ich von Erfolgen in Wien, wenn die Performance im restlichen Markt verhagelt wäre? Das allein zu betrachten wäre ein Fehler. Deshalb muss ich sagen: Mein Ziel kann es natürlich nicht sein, 1,9 Prozentpunkte Reichweite innerhalb eines Jahres zu verlieren, das ist mir persönlich zuviel.

Aber dieses Ergebnis hat unsere Stimmung hier nicht gedämpft, weil wir sehr optimistisch sind, dass dieses Ergebnis nur eine spezielle Auswirkung war und wir etliche Themen setzen werden, die uns in den nächsten ein, zwei Jahren eine schöne Prognose erwarten lassen. Wir sind sehr aufgeladen und optimistisch.

HORIZONT: Im Halbjahresvergleich ist die Hördauer, also die täglichen Durchschnittsminuten, von 206 auf 187 Minunten in der Zielgruppe 14-49 gesunken - mit ein Grund?

Spatt: Also da stehe ich Schulter an Schulter mit Ernst Swoboda (Geschäftsführer des nationalen Privatradio Kronehit, siehe Interview hier, Anm.hs), wenn ich erstens darauf hinweise, dass Radio ungebrochen irrsinnige Reichweiten und die absolut höchste Nutzungsdauer hat. Aber, als Anteilseigner von über 40 Prozent dieser Nutzungsdauer (14-49 Jahre, Anm.hs), trifft mich das am meisten. Es gibt darauf keine Antwort, die schlüssig ist - außer dem Hinweis, dass auch im internationalen Vergleich, nach wie vor bei Reichweite und Nutzungsdauer Radio in Österreich absolute Spitzenwerte hat und wir als Marktführer alles tun werden, dass das so bleibt.

Auch wenn stärker werdende Marktbegleiter uns als Marktführer den einen oder anderen Punkt kosten, es geht auch um die Attraktivität des Mediums im intermedialen Wettbewerb. Vielleicht noch als Anmerkung: Im Gegensatz zu Ö3 ist der technische Roll-out der Privaten ja nicht abgeschlossen, es kommen dauernd weitere Frequenzen und damit technische Reichweite dazu; in Wien wird gleich eine neue Frequenz für ein möglicherweise neues Format ausgeschrieben. Auch das spüren wir als Marktführer.

HORIZONT: Wie entwickelt sich das Werbejahr?


Spatt: Zu den klassischen Spots beziehungsweise der Werbezeitenvermarktung müssen Sie die Enterprise fragen, die ist da zuständig - soweit ich das mitverfolge - und wir arbeiten natürlich zusammen -, ist die Kurzfristigkeit bei Planung und Buchung ein heuer ein großes Thema. Wenn ich an die Werbeblöcke als Programmacher denke: Das funktioniert sehr gut, vielleicht sogar zu gut. Ich sehen bei uns vor allem die Sonderformen und Kooperationen, und da haben wir eine gute bis sehr gute kontinuierliche Entwicklung und sind auch bei der Entwicklung von Kooperationen hier mit unserem Team sehr gut aufgestellt.

Wir hatten jetzt im Frühjahr beispielsweise eine sehr umfassende Kooperation mit Hofer-Reisen, solche Kooperationen funktionieren heuer sehr gut - wir sind aber auch, was unsere Kreativleistung für Radio angeht, sehr gut aufgestellt. Das wird sehr gerne im Markt abgerufen.

HORIZONT: Ihre Position zu den Standortüberlegungen - zuletzt kursierte auch die Überlegung, Ö3 aus Heiligenstadt wenn schon nicht an einen komplett neuen Standort für den ganzen ORF - Stichwort St. Marx -, so doch in die Argentinierstrasse sozusagen zu re-integrieren?

Spatt: In eigener Sache, was Ö3 betrifft, haben wir mit Übersiedlung, neuem Standort und der damit verbundener Reorganisation schon einmal sehr gute Erfahrungen gemacht. Insoferne stehe ich wie viele bei uns dem extrem positiv gegenüber. Dass die eine oder andere Variante, nach dem, was derzeit in der Diskussion bekannt ist, uns besser gefallen würde und andere Varianten uns nicht so oder gar nicht gefallen würden, ist auch naheliegend. Ich kann dazu nur eine Gedankenanregung geben: Nur weil wir über dieselben Distributionswege Radio aussenden, ist es nicht wahnsinnig logisch, dass Radiosender gemeinsam in einem Haus sitzen im Jahr 2014 und folgende. Wir als Ö3 haben mit anderen Bereichen des Hauses wesentlich mehr zu tun - so wie Ö1 mit anderen wesentlich mehr zu tun hat - als Ö1 mit Ö3 und umgekehrt. Wir schätzen uns sehr und haben ein gutes Miteinander, aber viel zu tun miteinander haben wir nicht. Daher ist es für mich nicht wahnsinnig prickelnd zu überlegen, wie man Ö3 aus einem funktionierenden Standort ins Funkhaus reintegrieren wollte, ohne dass es einen für mich erkennbaren Vorteil für irgendjemanden geben würde.

HORIZONT: Mit welchen anderen Abteilungen hat Ö3 nun mehr zu tun als etwa mit Ö1?

Spatt: Naja, ich bin ein Verfechter der Organisationstheorie, nach der man Workflows innerhalb von Organisationen so aufsetzt, wiesie für den Kunden, den Konsumenten, den Rezipienten logisch erscheinen und nicht nach einer gewachsenen, historisch bedingten Struktur. Nur weil wir auch Hörfunk machen, haben wir etwa mit Ö1 nicht viel mehr zu tun - wobei das bitte keine Ablehnung des Funkhauses sein soll. Wir als Ö3 haben mit der dortigen Struktur nur relativ wenig zu tun. Wohingegen wir sehr viel zu tun haben, ist etwa ein allfälliger zentraler Newsroom, der für uns so etwas wie Herz und Lunge darstellt. Ö3 ist ein tagesaktuell gesteuertes Medium, daher müssen wir möglichst nahe am Newsroom dran sein. Wir sind aus der Sicht des Konsumenten wahrscheinlich ein tendenziell unterhaltungsorientiertes Brand, aber topaktuelle News sind ein zentrales Merkmal von Ö3 - so wie die Verkehrsmeldungen.

Das ist übrigens eine interessante Beobachtung aus den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren: Trotz Neuer Medien hat die Verkehrsinformation via Ö3-Radio einen ungebrochen hohen Stellenwert beim Radiohörer. Verkehrsinformation wird stark mit Radio und in Österreich extrem stark mit Ö3 verbunden. Das ist nach wie vor ein großer USP von Ö3. Wird natürlich auch, wie alles bei einem so großen Sender, ständig kritisiert, kriegt aber in der qualitativen Marktforschung immer die besten Noten.

HORIZONT: Was heißt kritisiert?

Spatt (schnell): Alles was wir machen wird kritisiert! Wer 2,8 Millionen tägliche Hörer hat, hat den Luxus, zu viele Hörer zu haben - wir freuen uns natürlich darüber und werden alles tun, weiterhin zu viele Hörer zu haben! Was ich meine: Damit ziehen wir - ob bei der Musik, der Information, bei der Comedy, bei den Inhalten, bei den Moderatoren auch ständig die Kritiker an.

Es 2,8 Millionen Menschen recht zu machen ist ein ziemlicher Spagat, den wir aber gottseidank ganz gut hinbringen. Ich würde mir Sorgen machen, wenn wir nicht kritisiert würden für Verkehrsinformationen, die nicht noch schneller sind, für Musik, die nicht noch mehr auf den individuellen Musikgeschmack ausgerichtet ist, für Moderatoren, die nicht noch sympathischer oder witziger oder spitzer oder aber braver sind ... das sind nämlich die Hauptkritikpunkte: Ein Moderator ist entweder zu spitz oder zu fad. Er redet zuviel Lustiges, was mich gerade nicht interessiert - Zitat vieler Hörer - oder aber der Moderator hat nichts zu sagen. Das ist so in etwa die Palette.

Aber wir werden nicht aufhören, uns um die Kritik zu kümmern und um die ständige Verbesserung zu bemühen: Wir haben den Ehrgeiz, diesen Spagat zu schaffen!

HORIZONT: Bei Ihrer Analyse zu Radiotest 1. Halbjahr in der Printausgabe HORIZONT 31-2012 haben Sie ein interessantes Bild gemalt: Wenn ich ein Gasthaus habe, versuche ich ja auch nicht, soviele Menschen wie möglich in das Lokal zu stopfen, sondern achte auf meine Stammkunden ... Wer ist denn dieser Stammkunde - der junge Erwachsene, der junggebliebene Erwachse, bis 30 Jahre oder doch schon auch mehrheitlich deutlich darüber?

Spatt: Mir ist die Beschreibung der junge Erwachsene lieber als der junggebliebene Erwachsene, wobei das auch ein Definitionssache ist, wie ich ja auch von mir selber weiß: Wann ist man ein Junger, ein jung Gebliebener und wann ein Berufsjugendlicher? Aber zum Gasthaus-Bild: Das Stammpublikum im Ö3-Lokal ist ein am Leben interessierter, grundsätzlich zum Leben hoffentlich positiv eingestellter, am Leben aktiv teilhabender Mensch. Der sich für die Dinge um ihn herum interessiert. Sowohl um ihn herum unmittelbar, wo er sich auch einbringen kann, bis hin zu den amerikanischen Wahlen.

Ja, begründet in unserem Auftrag und so wie wir das Programm machen und glauben, dass das für Ö3 auch grundsätzlich richtig ist, muss man schon grundsätzlich interessiert sein an Dingen, die passieren. Wenn man daran nicht interessiert ist - wobei mir es nicht zusteht zu bewerten, ob das gut oder schlecht ist - wird man bei Ö3 sicher immer zu viel bekommen und sich möglicherweise Alternativen suchen. Das geht vom Programm, wo wir relativ infolastig und servicelastig sind, bis hin zu Reportagen und Unterhaltung mit viel Comedy viel an Inhalten bieten, bis zu Aktionen, wo wir oft das Engagement der Hörer direkt ansprechen und abrufen: Ob das die Ö3ver im Verkehrsservice sind oder Aktionen im sozialen Bereich wie das Team Österreich oder die Ö3-Wundertüte - das sind alles sogenannte Nachbarschaftsaktionen, die über die physische Nachbarschaft hinausgehen und den Kernanspruch von Ö3 ansprechen, die Lebensfreude.

Das ist ein zentrales Element der Marke Ö3. Am Leben interessiert, aktiv am Leben teilhabend - wobei mir und uns schon klar ist, dass wir keine Religionsgemeinschaft oder Partei, sondern bloß ein Radiosender sind. Das ist uns schon klar, auch wenn wir manchmal mit unserer Mission über das Ziel hinausschießen. Wir bieten manchmal zu viel an und bekommen das Feedback ,Seid doch bitte ein Radiosender!' Das ist ein Appell, den wir sehr ernst nehmen. Wir müssen uns auch gelegentlich zurücknehmen, weil wir eben sehr begeistert sind von dem, was wir da machen. Wir bekommen auch oft sehr begeisterte Reaktionen, und da beginnt sich dann eine Spirale zu drehen, die man dann wieder etwas bremsen muss und sagen muss: Das ist sehr schön und wunderbar, aber vergessen wir nicht, dass wir auch morgen noch ein Radiosender sind.

Ein Radiosender, der viel von der richtigen Musik spielt, der sagt, was der Hörer wissen muss, um seinen Tag vom Weg ins Büro - Stichwort Verkehr - über die richtige Kleidung - Stichwort Wetter - bewältigen zu können und ihm sagt, was sich in der Welt in den letzten Stunden getan hat, damit er mitreden kann. Das ist sicher die Hauptfunktion von Ö3.

HORIZONT: Haben diese Merkmale - engagiert, interessiert -eine Alterseinschränkung?

Spatt:
Das lässt sich auch am Alter festmachen, trifft es aber nur bedingt: Ö3 hat neben der Lebensfreude sicherlich die Pop & Rock-Attitude in seiner Marken-DNA. Das ist seit den Gründungsjahren in unserer Marken-DNA und heißt Pop und Rock- wobei die Musik in den letzten 40 Jahren einen ganz ganz großen Wandel durchgemacht hat, vor allem das Rezipieren von Musik und der Vertrieb von Musik, das Kernelement für uns Radiomacher, hat sich stark verändert.

Bei all dieser Veränderung: Ö3 steht für aktuellen Pop und Rock, wobei Ö3 auch diesbezüglich einen ziemlichen Spagat macht. Aus meiner Sicht fühlt sich Ö3 sicher beim aktuellen Pop und Rock und dem Sound dieser Lebenswelt und Lebenseinstellung zu Hause. Das ergibt dann eine Zielgruppe, die zwischen den berühmten 14 bis 49jährigen ist oder im Kern von 20 bis 45 Jahre geht - wobei mit dieser Zielgruppe allein wir nicht unsere Reichweiten erzielen würden.

HORIZONT: Was ist der aktuelle Sound?


Spatt:
Ich beziehe den Sound über die Musik hinweg in die gesamte Soundwelt von Ö3 mit ein, die ja auch ganz stark über die Sprache definiert ist. Sprache als ganz wesentliches Identifikationsmerkmal von Generationen. Wir alle haben gelernt, dass man mit der Sprache beginnt, sich von den Eltern zu unterscheiden, genauso wie es mit Mode ist oder mit Frisuren oder eben dem Musikgeschmack - alles Identifikationsmerkmale. Der Sound von Ö3 ist in den letzten Jahren stark von strengen Ohren kontrolliert worden, nämlich jenen unserer Hörer. Musikalisch hat sich in den letzten zwei, drei Jahren viel verändert. Möglicherweise auf den ersten Blick nicht zu erkennen, aber aus meiner Sicht sogar Gottseidank sind sehr aktuelle Soundwelten, sehr aktuelle Musikgenres wesentlich näher zusammengerückt mit älteren oder gewohnteren Welten.
Das hat auch mit konkurrenzierendenRadiostationen zu tun, die einzelne Genres sozusagen in den Mainstream hinaufgespielt haben. Damit hat sich die Angebotspalette wesentlich verbreitert, mehr Vielfalt ist entstanden... .

HORIZONT: Können sie das an Titeln, Performern festmachen?

Spatt:
David Guetta, beispielsweise. Guetta wäre ein klassischer Protagonist dieser Entwicklung, aber auch beispielsweise Pitbull oder Jean Paul ... . Das sind alles Musiker und Künstler, die teilweise aus dem DJ-Bereich kommen, teilweise aus dem Hip-Hop-Dance -Bereich kommen und - hier Klammer auf: sicherlich auch ganz stark meinungsforschungsgestützt - versuchen, ihre Zielgruppen zu erweitern. Ein Beispiel wäre Rihanna: Rihanna war vor zwei, drei Jahren mit einzelnen Nummern bis hin in den Mainstream tauglich, hatte aber immer vor allem am europäischen Markt eine sehr schmale, sehr spitze Positionierung. Insofern ist der Sound von Ö3 aktueller geworden in den letzten Jahren.

HORIZONT: Ö3 steht aber nicht unbedingt für firstrotation?


Spatt: Salopp ausgedrückt: In der Branche heißt es ,Den neuesten heißen Scheiß braucht Ö3 nicht sofort'.

HORIZONT: Der wird im Store heruntergealden...

Spatt:
Ja, die Vielfalt an Möglichkeiten, sich musikalisch zu sozialisieren, Sound-Visitenkarten zu erstellen, ist nach der Musikkassette am Schulhof beträchtlich größer geworden - heute geht das eben über Facebook. Aber die Jungen sind grundsätzlich ungebrochen brave Radiohörer. Da bin ich ganz bei Ernst Swoboda, KroneHit, dass Radio bis hin in die ganz jungen Zielgruppen ungebrochen ganz hervorragende Nutzwerte hat. Die Jungen sind aber als Gruppe ganz schwer anzusprechen - wechseln sehr viel und sind kurze Radiohörer, weil sie ein sehr vielfältiges Medienbudget haben. Ist aber auch nichts Neues, dass Junge in ihren Tagesabläufen inhomogener sind als Erwachsene, deren Ablauf strukturierter ist.

HORIZONT: Was ist die Antwort des linear strukturierten Senders?


Spatt: Naja, vor gut zehn Jahren wurde uns Radiomachern erklärt, dass es nurmehr Menschen mit weißen Kopfhörern gibt, die ihr eigenes Programm hören, kein Radio mehr. Dann haben die Radios alle wie wild begonnen, Podcasts zu machen - und was ist heute damit? Wobei ich nach wie vor stolz bin, dass Ö3 als sehr großer Sender- -dem ja manchmal auch zu Recht vorgeworfen wird, langsam und überheblich zu sein - zum Beispiel bei den Podcast-Angeboten sehr schnell und ganz vorn dabei war. Rückblickend betrachtet hätten wir nicht so schnell sein müssen, es wäre egal gewesen - das Format reißt heute niemanden mehr vom Sessel. Geholfen hat aber, die Innovationskraft unter Beweis zu stellen - das ist auch unternehmenskulturell intern sehr wichtig. Wir als engagierte Radiomacher haben uns nicht von irgendwelchen schicken social-media Buden oder Internet-Garagen überholen lassen. Wir sind genauso flott, genauso sexy. Das ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Unterehmenskultur von Ö3, da immer dabei zu sein! Wettbewerb ist ein zentrales Element.

HORIZONT: Also Podcast und MP3-Player waren es nicht, aber heute florieren auch die legalen Tauschbörsen und diversen Stores mit hundertausenden Titelangeboten zum Musikabrufen via Smartphone...

Spatt: Ja - und trotzdem hören fast unverändert viele Menschen aus fast unverändert vielen Zielgruppen fast unverändert viel Radio! Selbst am Smartphone oder am Computer wird dieselbe Palette an Programmen gehört wie über UKW. Für uns bei Ö3 war ein schöne Nachricht, als Apple vor ein paar Jahren wieder einen UKW-Empfänger in den iPod eingebaut hat oder dass viele Handyhersteller, die ihre eigenen Angebote forciert hatten, wieder UKW-Empfänger ins Handy eingebaut haben, weil die Nachfrage offensichtlich so groß war und das Feature UKW-Empfänger ein Argument pro oder contra Kaufentscheidung für ein Modell ist.

Das sind die kleinen Momente, wo wir Radiomacher uns freuen. Wobei wir schon auch etwas nicht übersehen dürfen: wir Musikgestalter und Musikschaffende diskutieren immer mit großer Leidenschaft und Nähe zu unserem Content.

Das machen Journalisten so, das machen Musikjournalisten so und Musikschaffende. Jedoch, und das kann einem gefallen oder nicht: Wir haben viele Menschen, denen Musik gefällt, die sich aber nicht wahnsinnig für Musik interessieren. Die aber nach der richtigen Art von Musik verlangen, die man eben jetzt so hört. ,Spiel das Richtige, und davon möglichst viel' - und dann gehen beim Radio die Formatunterschiede schon auseinander bis hin zu ,Bitte nur Musik'. Da spielt Ö3 nicht mehr mit, das können und wollen wir nicht bieten. Obwohl viele aus dieser Gruppe dennoch Ö3-Hörer sind, so nach der Erkenntnis ,Gefällt mir zwar nicht hundertprozentig, ist aber um soviel besser als das, was andere machen', das ist unser unfair-share, den ja alle großen Medien auch haben. Da komme ich auf die schon angesprochene Kritik zurück: Das ist natürlich auch ein kritisches Publikum, um das wir aber auch kämpfen. So im Verhältnis zum Stammhörer oder Stammgast, um im Gasthausbild zu bleiben, sind das andere Gäste, wo wir in Gefahr laufen, dass sie uns verloren gehen, aber wir wollen und brauchen sie auch, um Reichweite zu erzielen. Das ist oft eine Gradwanderung, aber der stellen wir uns.

HORIZONT: Einschätzung des Facebook-Erkenntnisses - die Ö3-Site wurde zwischenzeitlich ja stillgelegt?

Spatt: Ich könnte es mir leicht machen und Rückgänge bei den Hörern im Radiotest darauf zurückführen. Facebook ist aber zweifellos ein ordentlicher Kanal - in den August-Wochen haben wir beispielsweise über 800.000 Kontakte, jetzt gerade (schaut auf den Bildschirm, Anm.hs) sprechen rund 40.000 via Facebook über Ö3. Auch hier bin ich der Auffassung von Ernst Swoboda: Was wie ins Gesetz geschrieben wird, darüber kann man diskutieren. Darin steht, dass eine Kooperation mit Facebook untersagt ist, das weiß auch Ernst Swoboda genau. Wir verwenden Facebook so, wie wir Telefonleitungen verwenden. Ob das eine Kooperation ist - so wie wir mit der Post bei Briefzustellungen kooperierenindem wir sie mit Briefsendungen beauftragen, oder mit einem Internetprovider, um e-mails senden und empfangen zu könnenoder mit einem Telefonanbieter kooperieren, um Anrufe entgegennehmen zu können-, scheint aus Sicht der Behörde nicht klar, Medienbehörde und Verwaltungsgericht kommen nicht zum selben Schluss. Klar steht im Gesetz, dass der ORF keine eigene Community betreiben darf, und daran halten wir uns.

HORIZONT: Gibt´s eine Alternative zu Facebook?


Spatt:
Ich bin kein Jurist, für Juristen scheint die Definition Social-Media-Plattform nicht ganz klar zu sein: Was ist mit Twitter oder neuen Musikstreamingdiensten wie Spotify - die sind Facebook-gestützt - oder Deezer, die sind nicht Facebook-gebunden? Aber, um das klar zu sagen: Wir machen Facebook nicht, weil wir bösartig oder querulantisch sind oder alles immer bis zum Äußersten ausloten - wir machen das, weil wir Wettbewerber sind! Da verstehe ich manche Argumentation nicht. Wer hat dem ORF verboten, Wettbewerber zu sein? Wenn das so wäre, müsste uns das irgendjemand auch sagen. Ich habe verstanden, dass Ö3 im Auftrag des Gesetzes und seiner Hörer Wettbewerber sein soll. Ich würde den Gebührenzahlern ungern sagen ,Ich habe den Auftrag, nicht erfolgreich zu sein. Ihr zahlt zwar dafür, und der Auftrag ist, für alle Österreicher Programm anzubieten, aber die Wettbewerber haben gerade beschlossen, dass das nicht so sein soll'.

HORIZONT: Ö3 musste von Gesetzes wegen "Instyle" aufgeben - wie groß ist diese Lücke eigentlich?

Spatt: Gar nicht groß. Ich glaube übrigens im Nachhinein, da wurde etwas verwechselt. Ö3-,Instyle' war eine als Rubrik ausgeschilderte begleitende Berichterstattung online zu einer On-Air-Programmrubrik. Ich glaube, dass die deswegen unseren Verhandlungspartnern Sorge gemacht hat, weil ,Instyle' eine ständige Rubrik auf der Homepage war - allerdings nur dann inhaltlich ausgetauscht, wenn wir entsprechendes on air hatten.

An diesen Berichten hat sich auch nichts geändert, wir können allfällige Berichte über Mode nun Online eben nicht unter einer Rubrik auch herzeigen. Intellektuell verstehe ich diese Beschränkung und anerkenne auch die Interessen dahinter, Mode gilt als Print-Domäne. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

HORIZONT: Zu Online beziehungsweise Mobil: Analog zur ORF TVthek gibt´s ja Ö3 auch als App...?


Spatt: Unsere App, die auf allen Systemen zum Download bereitsteht, ist, was die Downloadzahlen angeht, soweit ich informiert bin, in allen Stores unter den meistgeladenen. Das ist sicher auch ein Beitrag zu den Hörerzahlen, aber das ist nicht das Kriterium: Auch hier geht es um Innovationskraft, um Wettbewerbsfähigkeit.

HORIZONT: Sie sind im elften Jahr Ö3-Chef - ist das Ihre Lebensaufgabe?

Spatt: Die Frage könnte ich mir nach zehn Jahren schon stellen. Aber gerade heuer im Frühjahr bin ich einmal mehr zu dem Schluss gekommen: Ich mache das irrsinnig gerne! Mein Job ist zwar anstrengend und extrem herausfordernd - aber ganz und gar nicht fad; und ich wüsste im österreichischen Radio oder beim ORF wirklich keinen Job, wo ich soviele Möglichkeiten habe, sehr autark etwas gestalten zu können, das ich messen kann.

Das entspricht auch sehr meinem Naturell: Ich bin zwar - hoffentlich - sehr entspannt, aber ein sehr wettbewerbsorientierter Mensch. Ich mag eine Mannschaft, die gerne im Wettbewerb steht, die gerne um die Wette läuft. Bei den Olympischen Spielen war es einfach toll, Usain Bolt zuzuschauen: Diese Souveränität und diese gleichzeitige Lockerheit, aber vier Jahre lang mit dem Fokus ,Ich muss dieses Rennen gewinnen - sonst ist es vorbei mit der Lockerheit' - ich finde, dieses Bild passt ganz gut zu Ö3: Wir wollen gewinnen und dabei auch einiges an Show bieten, und das ist für mich auch für die nächsten Jahre ein wirklich schöner Beruf. Nicht Job, sondern wirklich Beruf.
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