Der Ex-Manager und Keynote-Speaker der Österreichischen Medientage zeichnete ein düsteres Bild von Europa in Sachen Digitalisierung.
Einen "etwas negativeren Anklang, als meine Vorredner verbreitet haben" brachte Thomas Middelhoff zu seiner Rede auf den Österreichischen Medientagen 2021 mit. "Stellen Sie sich vor, die deutsche Nationalmannschaft befindet sich auf den Rückflug von der Europameisterschaft und ist bereits in der Vorrunde ausgeschieden. Der für Sport verantwortliche Minister wäre zurückgetreten, bevor das Flugzeug gelandet wäre. So wäre es beim Fußball", so der Ex-Manager bei seiner Rede. In Der Digitalisierung sei das aber nicht der Fall. Denn Deutschland und Europa befänden sich bestenfalls nur im Mittelfeld. Bereits vor 25 Jahren sei etwa der Ausbau des Breitbandnetzes in Deutschland zugesagt worden: "25 Jahre später kann ich Ihnen sagen: Es ist praktisch nichts passiert."
Politiker 'seltsam entrückt'
Politiker scheinen ihm beim Thema Digitalisierung "seltsam entrückt. Man hat das Gefühl, da spricht jemand über eine technologische Entwicklung, ohne das Verständnis dafür zu haben", konstatierte der Manager. Die Bedeutung der digitalen Revolution werde noch immer nicht richtig eingeschätzt obwohl dieser "Tsunami" künftig alle Bereich umfassen werde: "Alles was digitalisiert werden kann, wird in digitaler Form zum Endverbraucher geliefert." Aber keine der traditionellen Branchen lerne aus dem, was in anderen Branchen in Sachen Digitalisierung bereits passiert sei. Die Einstellung "ich verstecke mich mal, bis alles vorbei ist", herrsche nach wie vor in vielen Bereich vor, führe aber dazu, dass Riesen wie Amazon ungehindert "vorbeiwachsen" können.
Im Jahr 2000 war unter den fünf wertvollsten Unternehmen der Welt noch kein einziges aus dem Digitalbereich. 2019 waren alle Top-5 digital-technologie-getriebenen Unternehmen. "Das ist eine dramatische Verschiebung, die sich auch in den nächsten 20 Firmen fortsetzen wird", sagte Middelhoff. Wir stünden erst am Anfang der Digitalisierung. Auch und gerade in der Medienbranche: "Als ich bei Bertelsmann tätig war, machte Bertelsmann mehr Umsatz als Microsoft. Heute macht Google mehr Gewinn als Bertelsmann Umsatz." Apple sei inzwischen mehr Wert als der gesamte deutsche Dax. "Vor diesem Hintergrund zu sagen, ich habe ganz viel Hoffnung - dazu gehört schon ganz viel Mut eines Politikers."
Die Lösung für die Machtfülle der Tech-Konzerne werden, so ist Middelhoff überzeugt, die Amerikaner bieten. "Die Amerikaner haben klare Gesetzgebung was Anti-Trust angeht und sie haben auch keine Hemmungen, zu zerstören. Es ist aber eine bittere Erkenntnis, dass wir als Europäer darauf angewiesen sind, dass die Amerikaner ihre Hausaufgaben machen."
Streaming-Markt ist aufteilt
Auch der deutschen Medienbranche konstatiert er Rückständigkeit: "RTL oder Pro7 hätten auch auf die Idee kommen, sich für Streaming zu interessieren. Das wäre 2010 nocht gut möglich gewesen. Heute ist das unmöglich", denn der Streaming-Markt sei inzwischen aufgteilt. "Gegen die großen Plattformen wird es ganz schwierig." Hinzu komme, dass neben den USA auch China zunehmend den digitalen Raum dominiert. Europa drohe zwischen den beiden Supermächten zerquetscht zu werden. "Darüber ist man noch nicht völlig im klaren, was das eigentlich bedeutet, dass Europa dazwischen steht."
Warum Europa bei der Digitalisierung versagt habe? "Wir haben viel zu lange an alten Schlüsseltechnologien festgehalten", glaubt Middelhoff. Agrarsubventionen etwa würden wie ein Perpetuum mobile laufen. Darüberhinaus drohen der Ausverkauf deutscher Technologie, mahnte der Redner. Die Verantwortung sieht er einerseits im Hype und Crash des Neuen Markts. Dieser musste zwar korrigiert werden, "aber nicht mit dieser deutschen Gründlichkeit, dass alles was den Namen digital trug, mit der Abrissbirne kaputt gemacht wurde." Den Anschluss in Sachen Digitalisierung habe Europa nämlich zwischen 2000 und 2010 verpasst: "Die Konsequenzen sehen wir erst heute".
'Das Monopoly-Spiel haben wir in Europa verloren'
Neben diesem Phänomen der zeitlichen Entkoppelung konstatierte Middelhoff auch, dass die Managerelite versagt habe: "Das Monopoly-Spiel haben wir in Europa verloren. Was haben denn Medienmanager gekauft: Den Südbahnhof. Jeff Bezos hat hingegen Park Alley gekauft". Es handle sich um ein kollektives Versagen der Politiker und Eliten, es fehle die Einsicht und darüberhinaus finde ein dauerhaftes Schönreden statt. Auch ein Konformitätsphänomen lasse sich in Deutschland festellen, nach dem Motto: "Ich mache genau das, was die anderen machen. Aber Gates, Jobs, Bezos, haben nie das gemacht, was die anderen gemacht haben." Auch die "Gier nach dem schnellen Geld" sei ein Grund. "Das macht mich ärgerlich.“
Einziger Lichtblick sei die New York Times, laut Middelhoff “die einzige Tageszeitung die sich transformiert hat. Wie hat sie das gemacht? Der Times war klar, das kostet wahnsinnig viel Geld”. Das Unternehmen, das früher noch Fernsehsender und Medienbeteiligungen besaß, verkaufte diese. "Das, was an Assets da war, wurde gebraucht, um die Transformation zu finanzieren." Ein langfristiger Weg, der dazu geführt habe, dass die
New York Times heute die “einzige Newsbrand ist, die gegen Google bestehen kann”, sagte Middelhoff.
"Wenn man transformieren will, muss man kreativ zerstören. Das ist nichts für Deutsche", glaubt der Manager. Es dürfe keine Staatsgarantien mehr für Arbeitsplätze geben, die keine Zukunft haben. In der Covid-Krise hätten etwa Tui und Adidas drei Milliarden Euro bekommen, die Lufthansa sogar zwölf - "alles Branchen, die in ihrer Zukunftsfähigkeit begrenzt sind." Die Frage sei, "womit verdienen wir denn in Zukunft unser Geld? Wir profitieren heute von den Technologien, die vor 30,40 Jahren entwickelt wurden. Diese Technologien werden zehn bis 20 Jahre noch tragen. Aber was ist dann?"
Digitalisierung verpasst? "Es ist leider so", schloss Middelhoff seine Rede, gab den anwesenden Medienschaffenden dann aber dennoch einen Lichtblick mit auf den Weg: "Das was sie originär produzieren, das braucht jeder Amerikaner und Chinese: Nämlich Inhalte."