Seriöser Journalismus : 'Da dürfen wir nicht ...
 
Seriöser Journalismus

'Da dürfen wir nicht einknicken'

Jürgen Bauern
Franziska Augstein wird bei den Österreichischen Medientagen 2020 unter dem Titel „Die Verantwortung der Medien: Journalismus zwischen Morgen und Grauen“ einen kritischen Blick auf die eigene Zunft und deren Zukunft werfen.
Franziska Augstein wird bei den Österreichischen Medientagen 2020 unter dem Titel „Die Verantwortung der Medien: Journalismus zwischen Morgen und Grauen“ einen kritischen Blick auf die eigene Zunft und deren Zukunft werfen.

Journalistin Franziska Augstein warnt vor journalistischer Effekt­hascherei und Substanzlosigkeit. Ein Interview über Qualitäts­ansprüche, ,Spiegel‘-Erbe, Corona-Berichterstattung und Österreich.

HORIZONT: Sie sprechen bei den Österreichischen Medientagen über die Verantwortung der Medien mit dem durchaus provokanten Titel „Journalismus zwischen Morgen und Grauen“. Wie sehr am Ende ist denn der Journalismus aus Ihrer Sicht?
Franziska Augstein: Das hängt von uns allen als Journalisten ab. Entscheidend ist, dass wir es in den vergangenen 15 und mehr Jahren mit einer gewaltigen Umstellung in der Medienlandschaft zu tun gehabt haben und soziale Medien, die ich eher als asoziale Medien ansehe, zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. Das hat bei vielen Redaktionen dazu geführt, dass man dachte, man müsse jetzt dem Publikum nach dem Mund reden und schreiben. Man dachte, das Publikum – Leute, die sich auf Facebook, Twitter und Instagram äußern – sei von solcher Bedeutung, dass man denen überlassen solle, welche Themen aufgebracht und wie sie behandelt werden. Das sollten wir nicht tun, denn wir haben einen Beruf. Wir haben etwas gelernt, um diesen Beruf auszuüben. Wir haben etwas zu sagen, das wir ordentlich und tiefgründig recherchiert haben. Und nun – wenn irgendjemand irgendeine Meinung hat – sollten wir nicht so tun, als ob diese konstitutiv für unsere Arbeit sein müsse. Das darf Frau Merkel im Kanzleramt der Bundesrepublik Deutschland gern so halten, die seit Jahren ihre Detailpolitik auf Meinungsumfragen stützt. Aber wir Journalisten sind unabhängig, wir sollten das nicht tun.


Haben wir uns als Journalisten zu sehr diesem Wind der sozialen Medien hingegeben und von Strömungen leiten lassen, oder haben wir auch in gewissen Aspekten keine richtige Antwort?
Wir haben in vielen Aspekten noch keine guten Antworten gefunden, das ist richtig, weil das Phänomen der sozialen Medien, geschichtlich betrachtet, noch relativ jung ist. Darauf müssen wir uns erst einschwingen. Wenn ein bekannter Politiker Quark twittert, ist das eine Meldung wert, aber darin kann sich unsere Erzählung nicht erschöpfen. Das ist der Punkt, wo unsere Arbeit erst anfängt. Meinung genügt nicht, Recherche ist nötig. Und das können wir Journalisten – auch, weil wir uns mehr Zeit nehmen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Ein Beitrag im Radio, und sei er bloß fünf Minuten lang, der sich differenziert mit einem Thema, zum Beispiel dem Inhalt eines Tweets von Präsident Trump, auseinandersetzt, ist wertvoller als ein ganzer Sack von „Likes“. Und bloß, weil etwas geliked wird – seltsame Eindeutschung übrigens –, ist es deshalb noch nicht relevant.
„Bloß, weil etwas geliked wird, ist es deshalb noch nicht relevant.“
Franziska Augstein
Hat die skizzierte Entwicklung vielleicht auch etwas damit zu tun, dass Journalisten mit dem Verlust der Deutungshoheit oft nicht klargekommen sind?
Das hat meiner Meinung nach andere Gründe. Im Jahr 2000 war das Anzeigenaufkommen zumindest in der Bundesrepublik Deutschland höher als je zuvor. Daraufhin haben Verlage enorme Summen investiert, in ihre Lokalredaktionen und Ableger in den Regionen. Im Jahr 2001 sah die finanzielle Situation schon wieder ganz anders aus, daraufhin packte alle die Panik und man begann zu sparen. So wie zuvor ohne Ende Geld ausgegeben wurde, wurde nun ohne Ende gespart. Das hatte zur Folge, dass Journalisten und Freie seither in steter Angst gehalten werden, ob sie im kommenden Jahr überhaupt noch Beschäftigung haben. Hinzu kommt, dass die Ausdünnung der Redaktionen alle Bleibenden zunehmend unter Zeitdruck setzt. Die Arbeit ist mehr geworden. Der Ich-Journalismus wird angeblich vom Publikum geschätzt. Darauf lassen sich viele Journalisten gern ein. Motto: Alle im Netz reden von sich selbst, das kann ich auch. Der Dichter Peter Rühmkorf hat gesagt: „Ein Ich hat irgendwie jeder.“ Nun – ich wechsele jetzt sachte das Thema – eine Meinung hat auch irgendwie jeder. Meinungsjournalismus ist wichtig, sofern er von Recherche unterfüttert ist. Ist er das aber nicht, ist er im doppelten Sinn des Wortes billiger als recherchierte Beiträge. Meinungen kann man im Bett haben. Recherche kostet: Spesen für eine Reise nach, sagen wir, Zürich oder gar Zimbabwe.

Ist Journalismus im Kontext der sozialen Medien zu sehr der Effekthascherei erlegen und wie lässt sich dem mit Substanz entgegnen?
Schnuckelige Überschriften – „Mann beißt Hund“ –, die die Leute anregen, hat es immer gegeben. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Im Übrigen wären Souveränität und Gelassenheit angesagt. Sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Sich zu verdeutlichen, dass unsere Aufgabe darin besteht, Fragen zu finden – zu erkennen, was merkwürdig läuft, was schiefläuft. Probleme müssen wir auf einzelne Fragen herunterbrechen und per Recherche beantworten. Das ist die Gelassenheit, die ich meine, auch wenn die Recherche selbst aufregend sein sollte.
„Wir können nicht jeden davon überzeugen, dass sich seriöser Journalismus lohnt.“
Franziska Augstein
Andererseits ist jeder zum Medienproduzent geworden oder kann es potenziell sein. Es gibt YouTube-Kanäle und Blogs mit hoher Aufmerksamkeit, die die Rolle von Medien übernehmen, ohne dass sie wie Journalisten agieren und arbeiten. Mit diesem Umstand gilt es sich zu arrangieren. Aber was ist die Antwort darauf, wenn ein YouTube-Kanal der FPÖ mehr Menschen erreicht als manch eine österreichische Tageszeitung?
Das ist ein Problem. Das meine ich auch damit, wenn ich sage, wir müssen Gelassenheit bewahren. Wir können nicht jeden überzeugen davon, dass sich seriöser Journalismus lohnt. Es gibt viele Leute, die diese Kanäle nutzen – das ist mitunter auch hübsch und gut produziert, die Sprecher dort ziehen vom Leder, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, und das findet sein Publikum. Wir müssen zumindest bei Zeitungen damit rechnen, dass wir weniger Leser haben werden als bisher. Man kann trotzdem überleben. Es geht den Zeitungen nicht so schlecht, wie oft geredet wird. Wir müssen daraufsetzen, dass wir uns selbstverständlich auch auf Internetplattformen engagieren und das mit Verstand. Es gibt viele Millionen Menschen, die informiert werden wollen.

Sie haben die Stimmung in der Medienlandschaft angesprochen, die durchaus pessimistisch scheint. Hat sich die Branche zu Tode gejammert?
Ich jammere nicht.

Aber die Nachrichten von positiven Geschäftsjahren, ­Personalzuwächsen und ähnlichem sind eher rar gesät.
Das Problem in der Printmedienlandschaft ist, dass man das Gedruckte und Online viel zu lange gegeneinander ausgespielt hat. Das war ein Fehler, das hätte man nicht tun sollen. Es ist nach wie vor so, dass die gedruckten Zeitungen und Magazine mehr Geld einspielen als Internetportale. Das wurde kleingeredet und hat mich Jahre lang sehr gewundert. Nachdem man nun aber inzwischen auf die gute Idee gekommen ist, beide Seiten zu vereinen und an einem Strang zu ziehen, hat diese Jammerei abgenommen.

Sie haben schon vor 15 Jahren am ‚Spiegel‘ stark kritisiert, dass journalistische Standards verflacht seien und man zu sehr auf weiche Themen setze. Gefühlt begleitet uns diese Debatte schon immer. Ist hier zu wenig passiert?
Da ist schon etwas passiert, aber manche haben die Kurve besser gekriegt als andere. Manche setzen bewusst auf Verflachung, andere haben die Zügel angezogen und bieten gut Recherchiertes. Da gilt es, genau zu differenzieren.

Wie sehen Sie es denn für den ‚Spiegel‘, dessen Auflage ja auch stetig zurückgegangen ist?
Der Spiegel rechnet damit, dass man sich bei einer Auflage, die deutlich unter dem liegt, was im Jahr 2000 verbucht wurde, einpendeln kann. Der Spiegel ist derzeit gut geführt. Ich habe das jüngste Heft – wie eigentlich fast alle – komplett gelesen, da folgt eine gute Geschichte auf die andere. Was wir alle gemeinsam, und ich meine nicht den Spiegel, vermeiden sollten, sind die ewigen Ich-Geschichten. Das ist etwas für YouTube-Kanäle, bei denen eine ­Influencerin erzählt, wie sie mit ­ihrer Tochter am Strand war, vor dem ein Hai auftauchte – wie sie den aber mit dem Duft ihrer tollen neuen wasserfesten Sonnencreme vertrieben habe. Naja, ich mache Spaß. Das brauchen wir im seriösen Journalismus nicht.

Wie stark sind Sie denn beim ‚Spiegel‘ involviert?
Ich habe dort nichts zu sagen, aber ich bin dem Blatt mit ganzem Herzen verbunden.

Ich frage auch – und Sie haben die Frage wohl schon dutzendfach gestellt bekommen – wegen des von Ihrem Vater formulierten Grundprinzips „Schreiben, was ist“. Hält das noch?
Was den Spiegel anbelangt? Definitiv. Wir haben in Europa sehr gute Zeitungen, in Großbritannien und Deutschland, dazu in Frankreich und Österreich. Von anderen Ländern kann ich nicht reden, weil ich die Sprachen nicht verstehe. Insofern sehe ich das Prinzip keinesfalls gefährdet.
„Das Problem ist eher, dass man die Arbeit, die der Journalismus zu vollführen hat, nicht an Facebook oder andere Plattformen delegieren darf.“
Franziska Augstein
Auf Konferenzen, auch den Medientagen, werden immer wieder verschiedenste Ansätze versucht und erörtert, wie Journalismus auszusehen hat – mit sehr unterschiedlichen Meinungen. Ist es in Ordnung, dass Journalismus verschieden ausgestaltet daherkommt?
Natürlich ist das okay. Es hat auch immer Frauenzeitschriften gegeben, in denen steht, wie man sich am besten eine schicke Frisur zurechtflickt. Und Männerzeitschriften erschöpfen sich ja nicht in der Abbildung halbnackter Models. Das ist doch völlig in Ordnung, ja nützlich! Das Problem ist eher, dass man die Arbeit, die der Journalismus zu vollführen hat, nicht an Facebook oder andere Plattformen delegieren darf. Da dürfen wir nicht einknicken. Es ist nicht unsere Aufgabe, immer locker und flockig zu sein. Um die 2000er-Jahre wurde oft moniert, wo das Positive bleibe, warum immerzu über Skandale und Kriege berichtet werde. Natürlich müssen wir auch über Positives berichten. Wenn ich lese, wie ein Asylant aus einem brennenden Haus ein Baby gerettet hat, ist für mich die Welt für einen kurzen Moment in Ordnung. Das wird auch berichtet – man muss es aber nicht übertreiben.

Sie persönlich scheuen sich nicht, öffentlich Ihre Meinung zu äußern, wie zuletzt im Kontext der Corona-Beschränkungen, als Sie übertriebene Maßnahmen als überflüssig erachteten. Wie viel Meinung darf es denn sein?
Meinung ja, aber bitte ordentlich unterfüttert. Um es krass zu sagen: Ich lese Leitartikel nicht, wenn ich bloß Meinung lese. Ich lese sie dann, wenn die Autorin oder der Autor es versteht, mir etwas Neues mitzuteilen; ein Argument, das ich bis dahin nicht kannte, womit die Meinung unterfüttert wird. Aber dafür braucht es Raum und Zeit. Raum in der Publikation, sei es Radio, Zeitung oder Fernsehen. Und Zeit, die nötig ist für die Recherche. Und das ist ja auch das Problem an sozialen Medien wie Twitter, dass auf Grund der Knappheit kaum Möglichkeit zur Argumentation gegeben ist.

Ist das ein Problem unserer Zeit und Gesellschaft, dass Argumentation und Fakten zu kurz kommen?
Nein, das denke ich nicht. Es hängt davon ab, wie und wo man sich informiert.
„Was Corona anbelangt, hat der gesamte Journalismus auf Angstmache und Panikmache gestellt.“
Franziska Augstein

Gerade die letzten Tage und Wochen haben etwa mit den Demos in Berlin gezeigt, dass oftmals Fakten und Tatsachen komplett negiert oder gar ins Umgekehrte gedreht werden.
Das ist in der Tat ein Problem der Berichterstattung. Hier sollte unsere Kritik ansetzen. In Berlin waren 38.000 Demonstranten, gefilmt und fotografiert wurden die Leute mit der Reichskriegsflagge. Es werden aber nicht die Tausenden Menschen gezeigt, die ganz normal und auch mit Maske demonstriert haben, weil sie die Maßnahmen für zu harsch halten. Das führt zu einer Einseitigkeit, die nicht gut ist.

Verleiht Journalismus den Problemen der Gesellschaft zu wenig oder die falsche Stimme?
Wir müssen differenzieren. Was Corona anbelangt, hat der gesamte Journalismus auf Angstmache und Panikmache gestellt. Gleichzeitig wurde etwa Schweden, wo man die Bekämpfung sachter angegangen ist, fast schon hämisch betrachtet, als sich herausstellte, dass es dort mehr Coronatote gab als in den Nachbarländern. Das ist nicht in Ordnung. Ein weiterer Aspekt: Journalisten können es sich leisten, Home-Office zu machen. Handwerker, normale Arbeiter, Leute aus der Industrie können das nicht. Hier scheint mir die Balance bei der Berichterstattung aus dem Gleichgewicht gekommen zu sein. Vielen Journalisten im Home-Office ging es eher darum, wie sie mit den Kindern zu Hause umgehen und wie süß oder nervig diese sind. Dass andere Leute um ihren Arbeitsplatz bangen oder gesund sind und arbeiten wollen, aber nicht dürfen, wird unterbelichtet. Ich könnte hier noch andere Themen aufwerfen wie die Russland-Berichterstattung, aber da kommen wir in ein Feld, in dem Meinungen dermaßen von Bedeutung sind, dass das den Rahmen sprengen würde.

Wenn wir schon einen kritischen Blick auf den Journalismus werfen: Wie ist denn Ihr Blick auf die österreichische Medienlandschaft? Es gab in der Vergangenheit bekanntlich ein ganz spannendes Video, das deutsche Medien aufdecken mussten. Ist das ein für Sie positives oder leicht getrübtes Bild?
Die Leute, die das Video bekannt machten, wollten größte Publizität. Deutschland ist größer als Österreich: voilà. Aber da haben sich Ihre Landsleute doch eingehakt und gut berichtet – also: ein durchweg positives Bild.
Zur Person
Franziska Augstein, die Tochter des legendären Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein, studierte Geschichte, Politologie und Philosophie in Deutschland, Frankreich und England. 1996 wurde sie am University College London mit einer Arbeit über die Anfänge der Ethnologie in Europa promoviert. Von 1997 bis 2001 war sie Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit 2001 schreibt sie für die Süddeutsche Zeitung. Seit 2016 erscheint im Wirtschaftsteil der SZ alle vierzehn Tage ihre Kolumne „Augsteins Welt“. Sie wurde mit dem Theodor-Wolff-Preis in der Kategorie „Essayistik“ ausgezeichnet. Zu ihren Publikationen zählt die Monografie „Von Treue und Verrat. Jorge Semprún und sein Jahrhundert“ (C. H. Beck, 2008).




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