Diese Woche geht's bei Walter's Weekly um die Reaktionen des traditionellen Handels auf den anhaltenden Zugewinn von E-Commerce und was sich die Verbraucher erwarten
In der vergangenen Woche ging es um den Zangenangriff von Diskontern und digitalen Plattformen, die kleineren Händlern in den großen Einkaufsstraßen die Geschäftsgrundlage rauben. In der Tat sind alle Geschäftsgrößen bedroht.
Im Februar dieses Jahres resümierte Edward Lampert, Vorstandsvorsitzender von Sears Holdings (Eigentümer der beiden Handelsketten Sears und Kmart), in einem Brief an die Aktionäre: „2015 hat sich als ein Jahr herausgestellt, in dem der (digitale) Wandel sich weiter ausgedehnt hat, bis zu Handelsunternehmen, die sich bisher als immun gegenüber diesen Veränderungen gezeigt hatten.“
Es sind nicht nur völlig neue Wettbewerber auf den Plan getreten; mit ihnen haben auch neue Geschäftsmodelle Einzug gehalten. Zu den typischen strategischen Reaktionen gehörten bisher Mergers/Joint Ventures, Abverkäufe von Unternehmensteilen, Ausgliederung von Assets, Rückzug aus unprofitablen Marktsegmenten.
Wie es den Anschein hat, genügen diese Taktiken nicht. Finanztricks können die Liquidität über eine gewisse Strecke retten, aber einen Geschäftsverfall nicht aufhalten, wenn der Umsatz über Jahre hinweg stagniert.
Handel muss sich neu orientierenEine Schlussfolgerung aus dem anhaltenden Zugewinn von E-Commerce wäre, dass der traditionelle Handel nicht länger bevorzugt in gemauerte Geschäfte investieren kann. Da die digitale Konkurrenz viel weniger Kapital in Anlagen gebunden hat, müssen Ressourcen künftig anders verteilt werden. In der Tat, selbst die allergrößten und finanziell bestausgestatteten Handelsunternehmen reduzieren jetzt ihre Verkaufsflächen.
Wal-Mart hat zu Jahresbeginn eine massive Umorientierung angekündigt: Weltweit sollen
knapp 270 Geschäfte geschlossen werden, wovon rund 16.000 Angestellte betroffen sind. Stattdessen fokussieren sie ihre Investitionen in eine neue Website, eigene Software, ein neues Datenzentrum, neue Cloud-Infrastruktur, eine eigene Suchmaschine. Das hat bereits Milliarden Dollar verschlungen.
Im Grunde eine Neuausausrichtung des Geschäfts, bei dem Digital den Ton angibt. Es geht hier um eine völlig neue Denke, in der ein extrem mobiler Verbraucher im Mittelpunkt steht. Was bedeutet, dass es
nicht länger ein Vorteil, sondern eine Belastung ist, an einem Ort festgenagelt zu sein.
Auf zwei Hochzeiten tanzenAus Sicht der Verbraucher war das Leben noch nie so gut: Endlose Auswahl, stabile (oder gar fallende) Preise, extreme Bequemlichkeit wie Bestellen auf Knopfdruck. Dermaßen umfassende Veränderungen verursachen naturgemäß Kosten, und die muss jemand tragen. Und dieser Jemand ist die Profitspanne im traditionellen Handel.
Eine Zahl mag die enorme Verschiebung verdeutlichen: Bis Ende des Jahres wird der globale Umsatz von Internet-Werbung den bisher größten Werbeträger, das Fernsehen, überholen; im Jahr 2020 könnte dieser
Markt 260 Milliarden Dollar schwer sein. Künftig wird also Digital der primäre Platz sein, auf dem die Wirtschaft aufbaut.
Natürlich wird es auch weiterhin handfeste Einkaufshäuser geben – die Geschäftsausrichtung wird aber von der Digitalstrategie getrieben, und nicht wie bisher von existierenden Geschäftsflächen, die Umsatzeinbußen notdürftig online nachbessern.
Eine
aktuelle britische Umfrage war für den Handel zugleich ermutigend und ermüdend. Knapp 60 Prozent der Befragten gaben an, dass sie von Kaufläden eine Online-Präsenz erwarten und dass sie preislich mit den Digitalanbietern mithalten können. Andererseits betonten fast 80 Prozent, dass sie sowohl in Geschäften als auch online einkaufen – nur 6 Prozent(!) sind pure Internet-Einkäufer.
Was tun?Der Schlüssel ist Mobilwerbung: Den Geschäften muss es gelingen, Einkäufer, die
physisch in der Nähe sind, auf sich aufmerksam zu machen. Noch etwas müssen örtlich gebundene Geschäfte nutzen: Die Themen und Interessen der Anwohner im Umfeld.
Es ist schlicht und ergreifend nicht realistisch, zu erwarten, jeder Laden
könne eine volle Digitalpräsenz anstreben. Es gibt aber eine Alternative: Ganze Straßenzüge, die zusammenarbeiten. Besonders kleinere Städte, die nicht von sich aus großes Publikum anziehen,
müssen etwas unternehmen, um die Besucherfrequenz (in der Stadt) zu erhöhen.
Am weitesten fortgeschritten sind kleine Geschäft in ihrer Digitalfähigkeit in London, wo bei einer
eben veröffentlichten Umfrage 95(!) Prozent der Händler angaben, sie würden bereits in Digitaltechniken investieren. Ein jüngst forciertes Zusatzangebot wäre, Kaufinteressierte online Waren bestellen zu lassen, die sie dann selber im Geschäft abholen.
Die Jungen halten sich nicht prinzipiell aus Geschäften fern, bloß weil sie unentwegt in ihr Schlaufon starren. Aber Stadtbewohner von heute sind psychologisch dünnhäutig: Sie sind nervös, ungeduldig und unkonzentriert und dabei anspruchsvoll wie gelangweilte Adelige; das muss vom Handel
mit einkalkuliert werden.
[Walter Braun]