30 Jahre HORIZONT: It’s the human, stupid!
 
30 Jahre HORIZONT

It’s the human, stupid!

Ian Ehm
Katharina Schell ist Mitglied der Chef­redaktion, Newsroom Innovation, bei der Austria Presse Agentur (APA).
Katharina Schell ist Mitglied der Chef­redaktion, Newsroom Innovation, bei der Austria Presse Agentur (APA).

Innovations-Expertin Katharina Schell über die Frage, wie KI-getrieben die Zukunft des Journalismus sein wird.

Als vor 30 Jahre der HORIZONT das Licht der Welt erblickte, waren viele von uns noch nicht „im Internet“. Boris Becker schaffte es ja auch erst 1999, dank AOL, „hinein“. Okay: Boomer, wer sich an den Spot erinnert.


Nicht online zu sein, ist für Journalistinnen und Journalisten heute undenkbar. Rund um die Uhr machen wir Nachrichten für User, die das erwarten: Wann immer sie sich informieren wollen, muss es frische Informationen geben. Die Taktung unseres Tuns hat in meinen über 20 Berufsjahren erheblich zugenommen. Dass Technologie den Journalismus treibt, ist nicht neu. Telegraph, Radio, Fernsehen. Das Internet, dann Mobile, Social Media. Podcasts, kluge Lautsprecher, virtuelle Welten. Immer mehr Plattformen, Kanäle, Formate mit und auf denen wir unser Publikum mit unseren Storys erreichen können. Denn das wird sich nie ändern: Geschichten zu erzählen, ist unser Job. Zu einer informierten Öffentlichkeit und Teilhabe am demokratischen Geschehen beizutragen, ist unser Job.

Viel ist in den vergangenen Jahren über „Textroboter“ geschrieben worden. Leider auch, man muss es so deutlich sagen, viel Unsinn. „Werden Menschen im Newsroom bald überflüssig sein?“, rätselt man, illustriert mit den obligatorischen Stock-Fotos (Roboter-Finger an Tastatur). „Wird der Roboterjournalist bald zur Pressekonferenz des Bundeskanzlers gehen?“ wurde ich einmal gefragt. Die Antwort: Nein, aus mehreren Gründen. Erstens, weil „der Roboter“ keine Beine hat. Zweitens, weil der Bundeskanzler üblicherweise keine JSON-Files ausspuckt. Etwas anderes versteht aber eine Maschine vom Zuschnitt eines regelbasierten Algorithmus nicht. Nun ja, nicht einmal die Daten „versteht“ sie. Maschinen wissen üblicherweise wenig von der Welt. Journalisten hoffentlich viel.

Zeitgemäßer Journalismus ist stets gefordert, die Wahl seiner Werkzeuge zu hinterfragen. Wo sind meine Userinnen und User, und wie erreiche ich sie dort mit meinen Storys? Kann ich ihr Informationsbedürfnis mit den bestehenden Tools überhaupt noch stillen? Und wenn das nicht mehr so ganz der Fall ist, müssen eben neue Werkzeuge ran. Etwa ein Algorithmus, mit dem wir zahlreiche neue Geschichten schreiben können, die wir ohne ihn nie gefunden hätten. Ein pragmatischer Zugang, gewiss, der wenig Sensationspotenzial versprüht. Aber der uns die Möglichkeit gibt, den Spieß umzudrehen: Guter digitaler Journalismus steuert Technologie, die ihn dabei unterstützt, gut zu bleiben und besser zu werden.

Naive Technik-Begeisterung ist allerdings fehl am Platz. Der Medienwandel ist kein neues Phänomen. Er begleitet unsere Branche seit Jahrzehnten, und wir können ihn nach Kräften „gestalten“ und „bewältigen“, aber wir werden ihn nicht los. Das ist natürlich auch etwas unheimlich. Was bringt uns die digitale Medienzukunft? Ein altes Trekkie-Bonmot sagt: einfach „Star Trek“ schauen – alles, was dort vorkommt, wird früher oder später wahr.

'Digital' ist so viel mehr als 'Technik'

Albern? Dann stellen Sie ihren Smart Speaker doch mal auf das Rufwort „Computer“ um und lassen sich die Nachrichten vorlesen. Schließen Sie die Augen und träumen Sie sich zu Kapitän Picard auf die Brücke. Wenn „Computer“ dann alle News deklamiert hat, überlegen Sie bitte, welche Medien Ihnen diese Nachrichten gerade geliefert haben und wer sie geschrieben hat. Ob Sie genau wissen, wie „Computer“ an diese Informationen gekommen ist. Nach welchen Kriterien die Nachrichten für Sie ausgewählt wurden. Was der Konzern, bei dem Sie den Lautsprecher gekauft haben, für diese Nachrichten bezahlt. Ob überhaupt jemand dafür bezahlt. Und sollten Sie die Antwort auf einige oder alle Fragen nicht kennen, keine Sorge: Sie denken gerade über unsere nahe Medienzukunft nach. „Digital“ ist so viel mehr als „Technik“.

Ich würde ja gern 30 Jahre in die Zukunft reisen und einen Kommentar wie diesen hier lesen. Der darauf zurückblickt, was es damals, als der HORIZONT seinen 30er gefeiert hat, noch nicht gegeben hat („undenkbar!“). Ich habe keine Ahnung, was genau in diesem Text stehen wird. Nur zwei Dinge glaube ich fix: Dass ihn ein Mensch geschrieben hat. Und dass es um irgendwas mit Medienwandel geht.

Dieser Kommentar erschien in der Jubiläumsausgabe zu 30 Jahre HORIZONT. Noch kein Abo? Hier klicken.




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