30 Jahre HORIZONT: Identitätsstifter und Reib...
 
30 Jahre HORIZONT

Identitätsstifter und Reibebaum

Sabine Klimpt

Der ORF bewegt das Land und die Gemüter. Aber wie lange noch? Das hängt von der (Medien-)Politik und seiner nächsten Führung ab.

Drei Jahrzehnte Medienberichterstattung, das sind auch 30 Jahre ORF-Berichterstattung. Und seien wir uns ehrlich: Ohne die Dauerdiskussionen über Struktur, Finanzierung, Personalia und Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wäre das Leben eines Medienjournalisten nur halb so spannend und unterhaltsam: Die „Anstalt“ am Küniglberg war immer für alle Spielarten von Geschichten gut: profunde Analysen, Skurriles, Programmkritik, wilde Spekulationen über anstehende Politbesetzungen und Interviews, die nach dem „Gegenlesen“ oft an Verlautbarungen des Obersten Sowjets erinnerten. Die Persönlichkeiten an der Spitze von Österreichs größtem Medienunternehmen boten ebenfalls alle Charakter-Schattierungen: von despotisch-jähzornig über intellektuell-weise bis engagiert-leidenschaftlich und vorsichtig-diplomatisch.

Was alle einte: Sie führten und führen ein Unternehmen, das dem Land breite Identifikationsfläche bietet, steter (finanzieller) Reibebaum ist und von dem – Stichwort acht Millionen Teamchefs – jeder genau zu wissen glaubt, was der ORF zu tun oder zu lassen hat. Über Kleidung der Wettermoderatorin, die Frisur des einen Anchorman und die (über-)kritischen Fragen des anderen bis hin zum schlechten Hauptabendkrimi lässt sich trefflich streiten. In weiten Teilen erfüllt der ORF – jedenfalls in der Altersgruppe Babyboomer und älter – noch die Funktion des Lagerfeuers, um das sich allabendlich die TV-Gemeinde versammelt. In Zeiten der Krise umso mehr, wie die vergangenen 15 Monate bewiesen haben.

Inwieweit dieses Modell zukunftstauglich ist und im besten Fall auf jüngere Generationen übertragbar, wird nicht allein von der im August anstehenden Entscheidung über den nächsten Generaldirektor abhängen, sondern vor allem von hoffentlich ebenso zukunftsweisenden Vorgaben der Medienpolitik. Was darf der ORF leisten im digitalen Zeitalter, welche Möglichkeiten hat er in Contentproduktion und dessen Verbreitung?

Die vergangenen 30 Jahre lassen hier das Schlimmste befürchten. Österreichische Medienpolitik, das war fast auschließlich Machtpolitik. Das Wort Gerd Bachers, nach dem die Politiker nicht interessiere, wie es dem ORF geht, sondern nur, wie es ihnen im ORF gehe, hat unverändert Bestand. Der mediale Leitbetrieb des Landes darf aber nicht nur Abspielfläche für PR-Politik sein. Er muss mehr leisten können: als Technologieführer, Demokratieförderer und Identitätsstifter. Und das in aller Demut gegenüber seinen Finanziers: den Bürgern.



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