Anpacken im Kleinen statt gesellschaftlicher Aufbruchstimmung - das rheingold Institut untersuchte, welchen Corona-bedingten Veränderungen die Gesellschaft unterliegt und was der Rückzug ins 'Schneckenhaus' auslöst.
Das Frühjahr 2020 sollte unsere Gesellschaft verändern, die Nachwehen der Corona-Pandemie sind nach wie vor massiv spürbar. Auch die Menschen in Deutschland erleben virusbedingte Veränderungen aus dem Inneren der Gesellschaft heraus. So befürchten fast 90 Prozent der Befragten einer Zukunftsstudie des deutschen rheingold instituts in Kooperation mit der Identity Foundation "drastische Veränderungen" (Sample: 1.000 Online-Befragungen).
Auswirkungen auf und Szenarien für die Zukunft präsentierten am Donnerstag dieser Woche Ismene Poulakos, Head of Corporate Communications, Nadja Rosmann, Leiterin der wissenschaftlichen Projekte und Kommunikation bei Identity Foundation, Stephan Grünewald, Gründer des rheingold instituts und Simon Birgel, Projektleiter der Zukunftsstudie.
Zu den Ergebnissen: Auf der einen Seite stehen mangelndes Vertrauen in Staat und Politik und die Angst vor gesellschaftlicher Spaltung. Auf der anderen Seite sehen die Studienmacher die wachsende Bereitschaft, alleine oder mit Gleichgesinnten für eine lebenswerte Zukunft tätig zu werden.
Konkret: Nur 26 Prozent stimmt das Wirken von Politik und Parteien optimistisch für die Zukunft. Die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Mehrheit lässt sich herunterbrechen auf: "Deutschland steht vor einem Niedergang", (das sagen 61 Prozent) und "durch Krisen wie Corona und den Klimawandel stehen uns drastische Veränderungen bevor" (88 Prozent).
Eigene Fertigkeiten rücken in den Fokus
Viele Menschen befänden sich in einem "Machbarkeits-Dilemma", so die Studienerkenntnis. "Die Menschen verschanzen sich in kleinen Wirkungskreisen mit Gleichgesinnten und versuchen in ihren persönlichen Umfeldern zu retten, was noch zu retten ist", sagt etwa Stephan Grünewald, Psychologe und Gründer des auf tiefenpsychologische Forschung spezialisierten rheingold instituts. Die Folge: private Projekte, Familie, der eigene private Bereich rücken in den persönlichen Fokus. Dabei zahlt der Glauben an sich selbst in den Optimismus bezüglich Zukunft ein; die eigenen Fähigkeiten (79 Prozent), die eigene Familie (79 Prozent) und das persönliche Umfeld (81 Prozent) stehen an vorderster Stelle.
Nadja Rosman von Identity sieht zwei Zuspitzungen innerhalb der Studie: Einerseits werde die "Desillusionierung in der Gesellschaft größer", andererseits haben die "Lebensverhältnisse von einem Viertel der Befragten 'dramatische' Züge angenommen". Um diese gesellschaftlichen Hürden zu überwinden, "arbeiten Menschen durchaus an ihrer Resilienz". Probanten, egal ob alt und jung berichteten beispielsweise davon, dass Meditation ihnen helfe, mit mehr Lebensmut den aktuellen Herausforderungen entgegenzutreten.
Rückzug oder Trendwende?
"Wir erleben eine Zeiten-Wende“, bekräftigt Grünewald. "Diese Studie beschreibt den Geist, die Unsicherheiten, die Regressions- und Progressions-Kräfte einer Übergangszeit, in der sich unsere Gesellschaft massiv verändern wird." Dabei sei noch offen, ob die Tendenzen zu Rückzug und weiterer Parzellierung gestärkt werden oder die Kräfte des gesellschaftlichen Zusammen-Wachsens und der Überwindung von Trennlinien durch das Aufgreifen gemeinsamer Herausforderungen nur noch verstärkt werden. Alles in allem werden die Krisen aber auch als Chance wahrgenommen. Denn Corona und die Lockdown-Erfahrungen haben zu einer "neuen Form der Selbst-Wirksamkeit" geführt.