,Wir sehen uns als Partner für Marken‘
 

,Wir sehen uns als Partner für Marken‘

Philip Ginthör ist CEO von Sony Music Entertainment in Deutschland, Österreich und der Schweiz – Im HORIZONT-Interview spricht er über die blühende Zusammenarbeit mit der werbetreibenden Wirtschaft, die Gefahr von Google und das Potenzial von Conchita Wurst

HORIZONT: Sie haben im März in ­einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung YouTube beziehungsweise Google massiv kritisiert, was den Umgang mit urheberrechtlich geschützten Inhalten angeht. Seitdem haben Sie viele Mitstreiter, unter anderem Springer-Chef Mathias Döpfner …

Philip Ginthör: Als Inhalte-Industrie müssen wir klarmachen, dass es gewisse Grenzen geben muss. Google ist ein sehr willkommener Partner, mit dem wir hoffen, weiter wachsen zu können. Eine Partnerschaft impliziert, dass beide Seiten mit ihrem Geschäftsmodell erfolgreich sein können. Unser Geschäftsmodell setzt voraus, dass wir Künstler und Kreative für ihre Leistung fair bezahlen können. Wenn Google sagt, dass ihnen Copyrights wichtig sind, ist es für mich schwer verständlich, warum bei einer Google-Suche noch immer illegale vor legalen Links gelistet werden.

HORIZONT: In Deutschland verhandeln YouTube und GEMA immer noch über faire Anteile der Künstler an den Werbeeinahmen von YouTube. Wie ist der Stand?

Ginthör: Wir sitzen nicht am Verhandlungstisch, aber wissen, dass beide Seiten um eine Lösung bemüht sind. Ich hoffe im Interesse der Künstler, dass es bald zu einer Lösung kommt, denn dass es in Deutschland kein sinnvolles Geschäftsmodell für eine Partnerschaft zwischen Musikverklagen und YouTube gibt, schadet allen. Inzwischen hat das Thema rund um Google eine politische Dimension erreicht und dem wird sich auf anderen Ebenen der europäischen Politik angenommen.

HORIZONT: Abseits dieser Front – was liegt derzeit ganz oben auf Ihrem Schreibtisch?

Ginthör: Das sind wie immer: Demos von neuen Künstlern und die neuesten Alben im Markt. Denn es ist und bleibt unser Kerngeschäft und  unsere Hauptaufgabe, immer auf der Suche nach dem nächsten Talent, nach dem nächsten Hit zu sein.

HORIZONT: Man hat den Eindruck: Auch im Mainstream ist mehr Platz für anspruchsvollere Lieder. Täuscht das?

Ginthör: Wir erleben eine neue Vielfalt im Radio und im Fernsehen – und vor allem im Netz. Heutzutage sind Qualität und Reichweite alles andere als ein Widerspruch.

HORIZONT: Ist das der Niedergang des Mainstreams und kommt die totale Fragmentierung?

Ginthör: Die Vielfalt – auch im Mainstream – nimmt zu. Nischen werden ­relevanter. Spezielle Subgenres sprießen … Früher waren Menschen viel mehr darauf fokussiert, was ihnen vorgeschlagen wurde. Der Mainstream ist letztlich ein Ergebnis der Angebotskultur. Wir leben aber in einer Zeit, in der sich der Musikmarkt von einem Angebots- zu einem Nachfragemarkt bewegt.

HORIZONT: Künstler verdienen vor ­allem am Geschäft mit Live-Auftritten. Ist das bei den Labels mittlerweile auch der Fall?

Ginthör: Sony ist 2006 als eines der ersten großen Musiklabels ins Live-Geschäft eingestiegen. Das gehört mittlerweile längst zu unserem Kerngeschäft als breit aufgestelltes Entertainment-Unternehmen. Was wir zuletzt ausgebaut haben, ist die gezielte Kooperation mit Marken.

HORIZONT: Wie funktioniert das denn genau?

Ginthör: Nichts hat so eine kommunikative Kraft wie Musik. Das ist natürlich eine riesige Chance für Marken, die nach sehr starken individuellen Plattformen für ihre Kommunikation suchen. Da gibt es ein enormes Potenzial für unsere Künstler und uns. Wir sehen uns hier als auf Musik spezialisierter Dienstleister für Marken. Wir haben Marketingspezialisten an Bord, die die kommunikativen Bedürfnisse von Marken analysieren und ihnen maß­geschneiderte Kooperationen vor­schlagen. Wir suchen also nicht eine Partner-Brand für Pharrell Williams, sondern gehen umgekehrt vor. Wir schauen uns ein Unternehmen an, und analysieren anhand von detaillierter Marktforschung, welcher Künstler zu dieser Marke passt.

HORIZONT: Und die Künstler spielen da mit? Ich erinnere mich an den Protestbrief von Wir-sind-Helden-Sängerin Judith Holofernes, als sie von Jung von Matt eingeladen wurde, für die Bild-Zeitung Werbung zu machen …

Ginthör: Jedem Künstler steht es vollkommen frei, ob er mit einer Marke zusammenarbeiten möchte oder nicht. Es gibt welche, die das generell ablehnen und solche, die ganz genau wissen, was sie machen würden und was nicht. Das reicht von der Verwendung eines Musiktitels für einen Werbespot bis zu einem kompletten Endorsement-Programm samt Privatgig. Auf die Wünsche des Künstlers nehmen wir absolute Rücksicht, weil sich nur so ein authentisches Testimonial entwickelt. Wir haben zum Beispiel in Österreich mit den Seern für die Lidl-Kampagne ein viel beachtetes Beispiel vorgelegt. Und Pharrell Williams macht mit der O2-Kampagne vor, dass der Künstler nicht an Credibility einbüßt, wenn es von beiden Seiten her passt. Für die weltweite Kampagne der neuen C-Klasse von Mercedes-Benz haben wir aktuell den Song „Changes“ von Faul lizenziert. Unser Portfolio ist groß: Von den Fantastischen Vier zu den Wiener Philarmonikern, von Andrea Berg bis Beyoncé.

HORIZONT: Arbeiten Sie hier vor allem mit Agenturen oder direkt mit den ­Unternehmen?

Ginthör: Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben einen eigenen Bereich der mit Unternehmen und Marken genau dies macht. Eine symbiotische Zusammenarbeit ist der beste Weg, denn ­Musik kann das zentrale Element einer Kampagne sein, ist aber eben nicht das einzige.

HORIZONT: In Österreich wurde ­zuletzt wieder die Frage einer verpflichtenden Quote für heimische Musik auf Ö3 diskutiert. Wie stehen Sie dazu?

Ginthör: Ein Sender wie Ö3 ist auch dafür zuständig, dass es in Österreich eine lokale Vielfalt an Künstlern gibt. Eine gesetzliche Quote würde das Pferd aber von hinten aufzäumen und wäre nicht sinnvoll. Schauen Sie sich die Playlist von Ö3 an: Die österreichischen Künstler, die ein für den Mainstream relevantes Repertoire haben,  und davon gibt es heute deutlich mehr als vor fünf Jahren, finden ohnehin auf Ö3 statt.

HORIZONT: Wie erleben Sie Conchita Wurst?

Ginthör: Man muss einfach stolz sein auf Conchita Wurst. Nicht nur als Österreicher, sondern als Musikschaffender und Teil der Kreativwirtschaft. Da ist ein weiter Wurf gelungen, und die nächsten Monate werden zeigen, als was sich dieses Phänomen mit diesem ungeheuren Potenzial tatsächlich etablieren wird. In dieser Rolle als globale Ikone für Gleichberechtigung liegt eine unglaubliche Kraft.

HORIZONT: Was haben Sie selbst schon unternommen, um sie unter Vertrag zu bekommen?

Ginthör: (lacht) Über Vertragsverhandlungen reden wir nicht, aber ich glaube, jeder, der im Entertainmentbusiness ist, würde sich freuen, mit ihr zusammenzuarbeiten. Sie ist im ­Moment auf dem Erdball Österreichs Topstar Nummer eins.

Dieses Interview erschien bereits am 20. Juni in der HORIZONT-Printausgabe 25/2014. Hier geht's zur Abo-Bestellung.



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