Tracking per Sensoren, Besucherstrom-Analysen, Re- Targeting-Maßnahmen: wie sich der Messebesuch durch technologische Veränderungen grundlegend verändert.
Dieser Artikel ist zuerst in Ausgabe Nr. 49 des HORIZONT erschienen. Noch kein Abo? Hier klicken!
Im Fußball ist man derzeit noch ein Stück davon entfernt, doch auf dem Gebiet der Messe-Destinationen spielt Wien international gesehen schon ganz vorne mit – jüngstes Beispiel dafür: Erst vor wenigen Tagen wurde der Vertrag zwischen dem Austria Center Vienna und dem Europäischen Radiologenkongress um weitere fünf Jahre bis 2025 verlängert. Dieser Kongress, der jährlich rund 20.000 Teilnehmer nach Wien holt, gilt als einer der größten medizinischen Kongresse weltweit und bringt damit erhebliche wirtschaftliche Impulse für Wien. Ein einziger ECR würde 330 Arbeitsplätze schaffen, rechnet das ACV vor.
Chips im Badge der Besucher
Um auch in der Zukunft vom Messe- Boom profitieren zu können, bemühen sich Österreichs größte Messe- Player darum, bei Innovationen Vorreiter zu sein. Zuletzt machte etwa der Software-Entwickler Waytation mit seinen Besucherstromanalysen von sich reden. Dabei werden über Chips im Badge anonymisierte Daten gesammelt, von Empfangsboxen aufgezeichnet und an ein zentrales System geliefert. Dabei ist von den Besuchern weiter nichts zu tun – weder müssen sie eine App am Smartphone installieren, noch den Badge scannen lassen. Aus den gesammelten Daten lassen sich Heatmaps errechnen, die etwa zeigen, welche Wege die Besucher durch die Messe genommen haben, oder auch wie lange und an welchen Ständen sie verweilt sind. Im Austria Center Vienna wurde das System erstmals beim ECR 2016 eingesetzt. Die WayTags waren so gefragt, dass am ersten Tag binnen vier Stunden alle 3.500 vorbereiteten Chips verteilt waren. Veranstalter können aus den Daten Erkenntnisse für die Planung von Vorträgen, Catering- und Aufenthaltsbereichen gewinnen. Dabei speichert WayTag „keine personenspezifische Information, sondern seine Aufgabe ist, mit dem Waytation Sensoren in Verbindung zu stehen“, sagt Florian Bräuer, Co-Founder und Geschäftsführer Waytation. So könne man die gesamte Customer Journey des Besuchers nachzeichnen. Noch ein Clou: „Die Lösung ist vollkommen autark und hat keine Abhängigkeiten von Infrastruktur und Besucherinteraktion im Gegensatz zu alternativen Technologien, wie beispielsweise WIFI-Tracking via Smartphone-Applikationen“, sagt er.
Datenschutz hoch im Kurs
Doch in diesen Monaten fällt natürlich bei der Erwähnung von „Daten“ sofort der Zusatz „Schutz“. Kommt der gläserne Messebesucher? Weiß das System jederzeit, wer sich wo befindet? Und kommen nach der Messe individuell abgestimmte Werbemails? Nein, meint Florian Moritz, Director Marketing und Digital Business bei Reed Exhibitions Österreich zu HORIZONT. Da würde man zwei unterschiedliche Dinge vermischen. Mit Waytation habe auch Reed Pilotprojekte gestartet, im Moment befinde man sich gerade in einer Evaluierungsphase. Die hier gesammelten Daten seien jedenfalls nicht auf einzelne Personen heruntergebrochen. Außerdem arbeite man bei Waytation längst „im Einklang mit der DSGVO beziehungsweise der General Data Protection Regulation (GDPR)“, so Bräuer.
Ein zweiter Ansatz, den Reed derzeit verfolgt, ist Lead Scanning. Dabei bekommen Fachmessenbesucher auf freiwilliger Basis einen Badge mit einem 2D-Datamatrix-Code, das heißt, die Daten können nur mit dem System von Reed Exhibitions gelesen werden. Aussteller können diesen Code dann scannen und erhalten die Daten des interessierten Besuchers für ihr CRM aufbereitet. Die Daten lassen sich zudem gleich mit Fotos von Skizzen oder Gesprächsnotizen anreichern. Das erleichtert beiden Seiten die Nachbearbeitung.
Leads vor Ort generieren
Im Bereich Programmatic Marketing setzt Reed auf Retargeting. „Wir als Veranstalter stellen Zielgruppen zur Verfügung.“ Auf einer herkömmlichen Messe funktioniere das Matchmaking im Sinne von „Schauen Sie sich diesen Stand an“, dann könne man so den Lead vermitteln. Digital funktioniere das zum einen fast schon klassisch, etwa über Werben in Form von Display oder Native Werbung auf den Messewebseiten. Darüber hinaus können Aussteller aber auch Retargeting- Kampagnen auf Besucher buchen und so die spezifische Messebesucher- Zielgruppe 365 Tage im Jahr auch über andere Ad-Networks erreichen.
Die Vorteile sind, dass man eine scharf definierte Zielgruppe fassen könne, die sonst schwer zu erreichen sei. Der „deutlich über den Benchmarks“ liegende CTR sei ein Indikator für den Erfolg. Die Vorteile der kohärenten Zielgruppe verfolge man auch via Newsletter-Marketing mit zielgruppenspezifischen Newslettern und Matchmaking über Newsletter oder das Webseiten-Portal. Dabei werden Interessen der Messebesucher abgefragt und dann à la Amazon Hinweise mit „Das sind Aussteller, die sie interessieren könnten“, zur Verfügung gestellt.
Neue Aufgaben für Agenturen
Die Digitalisierung bringt auch für die Agenturen neue Aufgaben im Bereich der Messearbeit: „Die Produktionsplanung für Messen hat sich vor allem strategisch betrachtet verändert. Der vormals repräsentative Messestand ist mittlerweile ein Teil eines integrativen Gesamts der konsequenten Markenführung und geht Hand in Hand mit einer 360°-Marktkommunikation. Jedes Werbemittel am Messestand und jedes Kommunikationstool auf diesem POS für Spezialisten und Stakeholder müssen heute auf die gesamtheitliche Kommunikation des Unternehmens einzahlen“, meint Harald Knoll, Geschäftsführer der Stargate Group.
Bei der Full-Service-Agentur ist man etwa stolz auf individuelle Lösungen: „Für unseren Kunden Samsung haben wir zum Beispiel eine mobile Messestand-Lösung kreiert, die wiederholt an jeglichem Standort einsetzbar ist“, meint Knoll. Diese Kombination von Messebau und Roadshow-Konzept könne dank ihrer Qualität langfristig für verschiedenste Produktpräsentationen adaptiert werden und so für ein attraktives Kosten-Nutzen-Verhältnis sorgen. Auf jeden Fall müsse man über festgefahrene Kommunikationskanäle hinausgehen. „Für das Messestandbauwesen selbst bedeutet das, nicht nur konzeptionell, sondern strategisch zu arbeiten: das Verhalten von Messebesuchern in- und auswendig zu kennen, um Interaktionsbereiche und Verkaufsbereiche voneinander trennen und optimal kontrollieren zu können“, sagt Florian Halder, Geschäftsführer, Stargate Group.