Rotes Kreuz: markenstark statt selbstverständ...
 

Rotes Kreuz: markenstark statt selbstverständlich

Gianmaria Gava
Stefan Pagitz (Pagitz Brand Consulting) und Andrea Winter (Rotes Kreuz) sprechen im Interview über Authentizität und „Liebe“.
Stefan Pagitz (Pagitz Brand Consulting) und Andrea Winter (Rotes Kreuz) sprechen im Interview über Authentizität und „Liebe“.

Vor zehn Jahren stellte sich das Rote Kreuz als Marke neu auf, heuer wurde es zur stärksten Brand Österreichs gewählt. HORIZONT hat nachgefragt, wie es zum Erfolg kam und welche Fehler man vermeiden will.

Dieser Artikel ist zuerst in Ausgabe Nr. 33-34/2018 des HORIZONT erschienen. Noch kein Abo? Hier klicken. 

Sie hat Namen wie Google, Wikipedia und Microsoft auf die hinteren Plätze verwiesen: Die Marke Österreichisches Rotes Kreuz erweist sich in der aktuellen Markenstudie Brand­Asset Valuator (BAV) von Young & Rubicam als stärkste heimische Brand, hinsichtlich Differenzierung, Relevanz sowie Vertrautheit. Der Weg dorthin begann vor elf Jahren: 2007 fasste die Hilfsorganisation den Entschluss, in ihrem Auftritt nicht mehr als selbstverständlich gelten zu wollen. 2008 dann der Rollout der ersten Kampagne unter dem bis heute haltenden Claim „Aus Liebe zum Menschen“.

„Wir waren eigentlich damals schon die bekannteste Marke im humanitären Bereich“, blickt Andrea Winter, Leitung Marketing und Kommunikation Österreichisches Rotes Kreuz, im HORIZONT-Gespräch auf den Start der Marken-Neupositionierung zurück. „Man hätte sich damit zufriedengeben können. Uns war aber klar, dass wir sehr stark als Teil der Infrastruktur gesehen werden. Nach dem Motto: ‚Passiert was, kommt eh das Rote Kreuz‘.“ Dies war der Zeitpunkt, als die Agentur Ogilvy ins Boot geholt wurde. Mittels Null-Messung wurde dem damaligen Agentur-Strategiechef Stefan Pagitz (mittlerweile selbständig mit Pagitz Brand Consulting) schnell klar: Das Rote Kreuz wirkte als „Über-Ich-Marke, als eine sehr uniformierte Organisation“. Die Herausforderung lautete: „Wie hebe ich die Marke auf Augenhöhe der Konsumenten? Wir wollten vermitteln, das Rote Kreuz hilft ohne Wenn und Aber“, schildert Pagitz. Der Claim „Aus Liebe zum Menschen“, der bis heute alle Kampagnen unter sich vereint, war geboren.

‚Viele möchten Denkmal setzen‘

Pagitz will sich an dieser Stelle einen Appell an die Welt der Markenkommunikation nicht nehmen lassen: In der Markenbildung sei Österreich sehr weit abgeschlagen (tatsächlich wurde selbst Österreich-Aushängeschild Red Bull in der Markenwert-Studie von Kantar Millward Brown 2018 aus den Top 100 gekickt.) „Menschen folgen keinen Ideen, sondern Idealen“, ergänzt Pagitz im Hinblick auf das Rote Kreuz. Die Haltung einer Marke sei das Entscheidende. Und diese Haltung möchte Winter, die 2012 zur Marketingleiterin aufgestiegen ist, auch fortführen. „Viele möchten in der eigenen Marketing-Ära ein Denkmal setzen. Aber die Marke Nummer eins ist man nicht, weil man alle fünf Jahre einen neuen Slogan positioniert, sondern eine Marke authentisch weiterführt.“

Angepasst habe man hingegen den Media-Mix: Winter zufolge verlagert sich das Budget zunehmend von TV zu Online und Social Media. So holte sich das Österreichische Rote Kreuz für die Online-Strategie vor Kurzem das Campaigning Bureau als Unterstützung. In der D-A-CH-Kampagne 2017 lag TV dennoch an erster Stelle (28 Prozent), gefolgt von Online, Plakaten und Radio zu je 22 Prozent sowie Kino mit sechs Prozent. Anders sieht es bei der Pflegekampagne 2018 aus, die sich an Frauen zwischen 35 und 65 Jahren richtet; hier führen OOH und Radio vor TV und Online.

Kritik am Holzhammer

Dass der Pflegebereich eigens beworben wird, ist überdies eines der Kernelemente des Markenprozesses. Das Rote Kreuz sei in erster Linie bekannt für Hilfe bei Katastrophen, die Rettung und Blutspende. Aspekte wie Gesundheit, Pflege und Betreuung hinter dem Vorhang hervorzuholen, sei gar nicht so einfach gewesen, verrät Winter. Man sei kein Konzern, der Millionen in Kampagnen stecken könne, stattdessen setze man auf 75.000 freiwillige und 8.000 hauptberufliche Helfer, die allesamt Markenbotschafter seien.

Einen Unterschied im Kommunikations-Handwerk zu Profit-Organisationen kann Pagitz keinen erkennen, kritisiert jedoch die „Holzhammer-Methode“, die manche Non-Profit-Organisationen an den Tag legen würden: „Über Angst zu kommunizieren, bewirkt nichts außer kognitive Dissonanz: Die Leute blocken ab. Solche Holzhammer-Kampagnen gewinnen aber oft bei Award-Shows. Angst funktioniert nur in einem Bereich, leider: in der politischen Werbung.“

Auch wenn man die gleichen Werbetools nutze wie eine Profit-Organisation, entscheide man etwa nicht „top-down“, sondern immer im Bewusstsein der föderalen Struktur des Österreichischen Roten Kreuzes – „der Tonalitätsbogen über die Bundesländer muss gespannt bleiben“, so Winter. Zwar sei man zudem von der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften rechtlich unabhängig, man tausche sich aber durchaus international aus. Was dazu führte, dass auch Deutschland „Aus Liebe zum Menschen“ für gewisse Zeit umsetzte. Die Markenzukunft sieht Winter in der Vergangenheit und im Jetzt: „Wir wollen die Marke konsequent so weiterführen.“

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