Reportage: Ein Tag im Leben der Familie Putz
 

Reportage: Ein Tag im Leben der Familie Putz

XXXLutz

Sie sind die bekannteste Werbefamilie Österreichs. bestseller hat einen Tag mit den XXXLutz-Testimonials, der Familie Putz, verbracht. Von persönlichen Highlights, Karrierefluch und gewollter Polarisierung.

Die Reportage ist zuerst im Bestseller Nr. 1/2018 erschienen. Noch kein Abo? Hier klicken.

Hier geht es weiter zum bestseller-Interview mit Thomas Saliger, Marketingleiter und Unternehmenssprecher der XXXLutz-Gruppe.

"Quiet please. And action!" Jedes Mal, wenn der Auf­nahmeleiter seine Machtworte spricht, wird es für ein paar Sekunden still im Lloyd Studio in Budapest. Dann blicken die Kameras und ein Großteil des 50-köpfigen Produktionsteams auf ­Cécile Nordegg, Hubert Wolf, Zdenka Hartmann-Procházková, Stephan Bauer und Chiara Pisati, wie sie zum geschätzt zwölften Mal auf einem nachgebauten Dachsims vor einem riesigen Green Screen ­balancieren, mit geschlossenen Augen und im Pyjama.

Auch wenn die Namen nicht gleich ­einen Aha-Effekt auslösen, ihre Gesichter kennt man. Ziemlich sicher. Die fünf sind besser ­bekannt als Familie Putz, die ­bekannteste Marken- und Marketingfamilie Österreichs. Seit 18 Jahren ist sie das Aushängeschild des oberösterreichischen Möbelriesen XXXLutz. 1999 fiel das erste Mal die Filmklappe. Seitdem treffen sich Darsteller, Marketingabteilung, die Werbeagentur Demner, ­Merlicek & Bergmann sowie das Produktionsteam zweimal pro Jahr (meist im Jänner und Juli) für jeweils drei Tage. „Dann produzieren wir, so wie jetzt in Budapest, die TV-Spots und Werbefotos für das kommende halbe Jahr. In den drei Tagen drehen wir meist acht bis elf Spots“, verrät Produzent Thomas Andreasch von der Werbefilm-Produktionsfirma Film Factory gegenüber bestseller, während im Hintergrund die Techniker das Set erneut umbauen. „Mit den Vorbereitungen für die Aufnahmen Ende ­Jänner starten wir aber schon im November, und die Nachbe­reitung dauert meist sechs bis acht Wochen.“ 

Im Hintergrund hört man geschäftiges deutsches, ungarisches und englisches Gemurmel, während der Kamerakran nach oben schwenkt, die Schauspieler nachgeschminkt werden und an der Beleuchtung gedreht wird, welche übrigens für angenehm warme Studiotemperaturen an diesem sonst so kalten Jännertag sorgt. Acht Lkws mit XXXLutz-Möbeln und Bauteilen werden für den Dreh nach Ungarn gekarrt. Budapest ist meistens der Schauplatz der XXXLutz-Spots, so Andreasch, der seit Tag eins mit dabei ist: „Das liegt einfach daran, dass es in Wien keine guten Filmstudios mehr gibt und dass Ungarn über perfekt ausgebildete Filmcrews verfügt.“ Tatsächlich ist Ungarn beliebter Treffpunkt für die Filmindustrie: So wurden etwa „Der Marsianer“ mit Matt Damon, das Sequel von „Blade Runner“ oder „Evita“ hier gedreht, um nur einige zu nennen. Ob auch ein paar Filmtechniker beim XXXLutz-Dreh ­dabei sind, die schon Matt Damon ausgeleuchtet ­haben? „Das kann gut sein“, meint Andreasch. 


Putz-Rolle: Karrierefluch und -segen

„So, es geht bitte weiter. Everyone ready?“, ruft der Aufnahmeleiter erneut in seinem freundlichen, aber bestimmten Ton durch das Studio. Und ­wieder machen Nordegg (als Mama Linda Putz), Wolf (als Papa Max Putz), Hartmann-Procházková (Oma Putz), Bauer (Sohn Putzi Putz) und Pisati (als Putzis Freundin Ixi) ihre Schritte auf dem Dach. Gedreht wird der „Schlafwandler-Spot“, eine Adaption des vor zehn Jahren ausgestrahlten Schlafwandler-Films, der schließlich zu Nordeggs Lieblingsspot avancierte. In der ­damaligen Endfassung wankte die Familie Putz über Dächer und einen an einem Kran baumelnden Balken bis ins Lutz-Möbelhaus, um sich dort schließlich ins Bett zu legen. 

„Cut! 15 Minuten Pause, bis wir umgebaut haben!“ Die erste Gelegenheit, um mit den „Putzis“ zu ­plaudern. „Den Tag der Anreise nutzen wir gerne für Proben und zum Durchgehen der Storys. Vor dem Dreh finden nur die Fittings statt. Dann weiß man zwar, welche Kostüme man trägt, aber nicht, was die finale Idee dahinter ist. Erst vor Ort, wie jetzt in Budapest, wissen wir, was gedreht wird“, erzählt Bauer, der seit Kindestagen Familienmitglied ist. Dreh­aufnahmen sind für ihn jedoch die Ausnahme: „Ich habe mit neun Jahren zwar im Kindertheater mitgespielt, arbeite aber in der ­IT-Branche.“ Auch Pisati ist derzeit noch vor allem mit ihrem FH-Studium der Kommunikationswirtschaft beschäftigt, wobei sie sich nach dem Abschluss eine Karriere als Schauspielerin gut vorstellen kann: „Allerdings eher in Deutschland. In Österreich stelle ich mir eine Karriere schwerer vor, weil ich hier zu stark als Werbe­figur eingeprägt bin. Dann müsste mich ein Drehbuchautor so ­inszenieren, dass ich mich auch von einer anderen Seite zeigen kann. In Deutschland kennt mich keiner, dort könnte ich neu ­beginnen.“

Die Putz-Rolle als Karrierefluch oder -segen? „Die ­einen werden dich nicht nehmen, weil du diese Kampagne machst. Die anderen finden vielleicht eine andere Ausrede dafür, dich abzulehnen“, ergänzt Nordegg. Da sie in erster Linie Sängerin sei und in Frankreich lebe, hätte sie es „ein bisschen leichter, da ich mich in einem anderen Metier bewege, in dem es egal ist, was du sonst machst“. Auch bei Wolf, der hauptberuflich in der Schauspielerei tätig ist, halten sich der Karrierefluch und das Sprungbrett die Waage: „Auf der einen Seite hat es mich sicher einiges an Möglichkeiten gekostet, auf der anderen Seite hat es mir aber einiges ermöglicht.“

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„Ich bin froh, wenn ich in meinem Alter noch arbeiten kann“

Eine, deren Lebenswerk auf Schauspielerei fußt, ist die gebürtige Tschechin Hartmann-Procházková, die in ihren 91 Jahren schon einiges mehr gemacht hat, als die Oma zu sein. Sie spielte auf und in internationalen Bühnen und Filmen, unter anderem am Burgtheater. „Dann ist mein Vater verstorben und ich bin zu meiner Mutter nach Prag gezogen“, wie sie erzählt. Das Schauspielern hat sie nie aufgegeben: Im Moment ist sie für den tschechischen Filmpreis Böhmischer Löwe nominiert. Zur Putz-Familie ist sie 2010 gestoßen. Damals noch als Double für die damalige Oma Trude Fukar, übernahm sie nach deren Tod die Rolle. Die XXXLutz-Drehs machen ihr nach wie vor große Freude. „Aber ich werde jetzt 92 Jahre alt, da gibt es beim Drehen schon Dinge, die ich nicht mehr so machen kann wie früher.“

Ans Aufhören denke sie jedoch nicht: „Ich lebe alleine und habe keine Kinder. Ich bin froh, wenn ich in meinem Alter noch arbeiten kann.“ Dass XXXLutz vergangenen Oktober den „10 Angebote“-Spot wegen ­zahlreicher Beschwerden beim Werberat aufgrund vermeintlicher Altersdiskriminierung neu synchronisierte, hat Hartmann-­Procházková gar nicht mitbekommen: „Ich bin ja immer in Prag, davon weiß ich ja nichts.“ Die Make-up-Artistin schnappt sich ­einen der Stühle, setzt sich neben Hartmann-Procházková und reicht ihr einen roséfarbenen Lippenstift: „Sie besteht darauf, sich selbst zu schminken.“ 



Vom Kindheitstraum zum Agenturbriefing

Während die nächsten Takes gedreht werden, stecken im Nebenraum des Studios die Kreativverantwortlichen hinter der XXXLutz-Kampagne, versammelt um eine schwarze Ledercouch, ihre Köpfe zusammen. Von den Catering-Mitarbeitern, die die Teller vom Mittagessen abräumen, lassen sie sich nicht stören. „Wir haben zwar alle zwei Wochen ein Meeting mit der Agentur, aber die Drehs nutzen wir auch, um langfristige Projekte zu besprechen“, erläutert Thomas Saliger, Marketingleiter und Unternehmenssprecher der XXXLutz-Gruppe in Österreich, und versucht sich indes für eine Farbe der Kaffeekapseln zu entscheiden. Nach ­seiner Gesellenprüfung als Tischler startete Saliger als Filialleiter bei XXXLutz, 2001 folgte unter anderem der Aufstieg in die ­Geschäftsleitung und 2009 die Auszeichnung zum Marketer des Jahres. „Die Idee der Familie Putz ist aus meinem Wunsch entstanden, einmal eine Nacht in einem Möbelhaus zu verbringen. Als damaliger Filialleiter habe ich mir diesen Wunsch dann sogar mal erfüllt. So kam später das Briefing an die Agentur zustande. Demner, Merlicek & Bergmann hat daraufhin eine Familie ins ­Leben gerufen, die in das Möbelhaus einzieht“, so Saliger, der ­dabei auf die sechs Mitarbeiter der Agentur zeigt, die gerade mit ihm und zwei Marketingmitarbeiterinnen Drehabläufe, die ­nächsten Printinserate und Flyer-Sujets besprechen. 

„Dass die Werbung polarisiert, ist ja der Hintergrund der Geschichte“

Neben dem „Schlafwandler“-Spot stehen in diesen drei Tagen ­unter anderem noch eine Jubiläums-, eine Küchen- sowie eine „Wohngefühl“-Kampagne auf dem Drehplan, „plus ein Spot zum Sommer-Räumungsverkauf“, fügt David Duong, Leiter der ­Kundenberatung bei D,M&B, hinzu. Und Duong ist überzeugt: „Generell kann man sich sicher sein, dass die Arbeit, die wir hier leisten, ganz Österreich sehen wird.“ 

„Jeder Dreh ist einmalig. Man vergisst, wie viel dahintersteckt. Die Zuschauer denken sich vielleicht: Die tänzeln halt ein ­bisschen herum. Dabei ist es technisch sehr aufwendig“, betont ­Pisati, die sich die kurzen Drehpausen gerne mit Tablet und Kopfhörern vertreibt. Daheim auf der Couch die eigene Werbung wegzuschalten, bringe sie nicht übers Herz, „außerdem sehen wir erst im Tonstudio oder im TV die komplett fertige Werbung das erste Mal.“ Da die Sequenzen meist nicht chronologisch gedreht würden, sei es oft schwer, den fertigen Spot bei den Aufnahmen vor Augen zu haben, stimmt Bauer zu. 

In 18 Jahren habe sich bei den Produktionen auch die Art der Werbung verändert, wie Wolf analysiert: „Wenn man ­mittendrin steckt, kriegt man die Übergänge gar nicht so leicht mit. Aber zu Beginn waren die Spots eher etwas trashig konzipiert, während sie jetzt wesentlich schöner und glamou­röser ausfallen.“ Sein Lieblingsspot der letzten 18 Jahre läuft noch immer – jedes Jahr zu Silvester: „Der ‚Dinner for ­One‘-Spot mit Trude ist eine wirklich schöne Erinnerung.“ 

Für Nordegg hätten die Lutz-Werbefilme am Anfang einen ­Sitcom-Style verfolgt: „Dann sind wir braver geworden und mehr in die klassische Werbung hineingerutscht. Jetzt kehren wir wieder ein wenig zur Sitcom zurück, aber mit den Einflüssen der Vergangenheit.“

Die Familie Putz fällt auf, dessen sind sich alle Darsteller ­bewusst. „Dass die Werbung polarisiert, ist ja der Hintergrund der Geschichte. Wir wollen, dass die Menschen reagieren“, gibt Nordegg zu. Und dass in gefühlt jedem zweiten TV-Werbeblock die Familie in die Kamera lacht, kommt nicht von irgendwo her. Den aktuellen Focus-Zahlen zufolge liegt XXXLutz in puncto Bruttowerbespendings heimischer Unternehmen auf Platz zwei. 2017 investierte die Gruppe 46,4 Millionen Euro in TV-Werbung. Nur P&G und Ferrero gaben fürs Fernsehen mehr aus. Obwohl die meisten Österreicher ihre Gesichter kennen, würden sie nicht allzu oft auf der Straße angesprochen, wie alle fünf „Putzis“ ­unisono resümieren. Und wenn, seien es meist positive Re­aktionen. Getuschel und Blicke kriege man aber des Öfteren mit, „ob in der U-Bahn oder in einer Bar“, so Bauer. 

„Sehe keinen Grund, jetzt damit aufzuhören“

Am Set des XXXLutz-Drehs hat man das Gefühl, dass alle ­Zahnräder der Produktion ineinandergreifen. Es herrscht keine aufgeregte Hektik, weder vor noch hinter den Kulissen, weil die Abläufe strukturiert sind und die Konzentration auf Abruf sowie das österreichisch-ungarische Team funktionieren. Eingespielte Scheinwerfer-Atmosphäre, sozusagen. Familiär? Ja. „Ich liebe es“, so Nordeggs Fazit: „Das Set, das Ensemble, die Familie. Das sind Schätze. Und zweimal im Jahr zur Familie zurückzukommen, ist sehr schön.“ Auch Wolf will, so wie die anderen, der Familie treu bleiben: „Wir gehen in das 19. Jahr. Ich sehe keinen Grund, jetzt damit aufzuhören.“

Dass es einmal ein 19. Jahr der Familie Putz geben würde, sei laut Saliger gar nicht der Plan gewesen: „Ursprünglich haben wir in Halbjahres- oder Jahresschritten gedacht. Das hat sich dann ­geändert: Heute haben wir eine Konstante, und die halten wir derzeit lebendig.“ Und bleibt die Familie Putz dem Werbepublikum noch länger erhalten? Saliger, der sich schlussendlich für eine Kapsel entschieden hat, trinkt noch einen Schluck Kaffee und ­lächelt: „Ja, unbedingt.“ 




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