Experten aus Vergaberecht als auch Pitchberatung kritisieren die Ausschreibung des Werbeetats der Bundesregierung gegenüber HORIZONT harsch. Die Kritik reicht von "fachlichen Merkwürdigkeiten" über "Anfängerfehler" bis eben "vergaberechtlich zumindest grenzwertig".
Die Ausschreibung des Werbe- und Mediaetats der Bundesregierung sorgte diese Woche für einiges an Aufregung – sowohl auf politischer Ebene, als auch in der Agenturbranche. Dabei wurden aber nicht nur die im Spiel befindlichen Summen (30 Millionen Euro für den Werbeetat sowie 180 Millionen Euro für den Mediaetat für vier Jahre) heiß debattiert, sondern auch die Ausschreibung an sich. Experten für Vergaberecht sowie Pitchberatung schlagen nun – von HORIZONT darauf angesprochen – Alarm.
"Das ist vergaberechtlich zu hinterfragen und zumindest grenzwertig", meint etwa Martin Schiefer von der gleichnamigen Kanzlei, renommierter Rechtsanwalt und Experte für Vergaberecht. Worauf er sich bezieht? "Die Ausschreibung sieht fünf Agenturen für die zweite Stufe vor, das Auswahlkriterium ist eine Präsentation der zukünftigen Strategie. Strategieüberlegungen schon in der Präquali zu verlangen ist definitiv unüblich", so Schiefer. In der ersten Phase gehe es um die Eignung der Agentur mit unternehmensbezogenen Kriterien. "Die Entwicklung einer Strategie ist üblicherweise ein angebotsbezogenes Kriterium und findet erst in der zweiten Stufe statt."
'Das passt nicht zusammen'
Es wirke als wolle man, dass möglichste viele Agenturen schon in der ersten Phase ihr Know-How offenlegen und dieses präsentieren, so Schiefer. Auch sonst findet der Anwalt Kritik: "Die Ausschreibung wirkt so als wäre sie für kleinere Agenturen geschrieben, weil nur sechs Mitarbeiter verlangt werden. Gleichzeitig muss eine Agentur drei Millionen Euro Agenturhonorar pro Jahr vorweisen. Das passt nicht zusammen." Schiefer begleitet laufend Ausschreibungen, kennt Prozesse wie diese und warnt daher auch vor falschen Erwartungshaltungen: "Ich bin gespannt, wie der Markt auf die Ausschreibung reagiert, da es sich um eine Rahmenvereinbarung ohne Abnahmeverpflichtung handelt. Für Agenturen besteht keine Garantie, dass sie auch Aufträge erhalten. Dass man mit dem Pitch-Gewinn ausgesorgt habe, ist definitiv falsch."
Kein Anspruch auf Auftrag
Diesen Aspekt konkretisiert auch Pitchberater Martin Weinand: "Eine Rahmenvereinbarung gibt dem Auftraggeber zwar alle Rechte, verpflichtet ihn aber zu nichts. Wenn der Auftraggeber nicht will, hat die Agentur – obwohl sie nach dem Pitch den Zuschlag erhalten hat – keinen Anspruch auf einen wie immer gearteten Abruf. Das klingt zwar seltsam, ist aber so und hat in dieser Republik auch schon stattgefunden." Neben den von Schiefer angesprochenen vergaberechtlichen Aspekten ortet Weinand aber auch "einiges an fachlichen Merkwürdigkeiten."
'Befremdliche Anfängerfehler'
Sowohl juridisch als auch fachlich seien "Anfängerfehler" gemacht worden, die der bekannte Pitchexperte als "sehr befremdlich" einstuft. "Es wundert mich wirklich, dass die Bundesbeschaffungs GmbH – deren Sinnhaftigkeit überhaupt nicht zur Diskussion steht – bei diesem so wichtigen Ausschreibungsprojekt in dieser Form agiert." Weinand sieht Ärgernisse im Detail der Ausschreibung: "Realitätsfern erscheint beispielsweise, dass in dieser Ausschreibung drei Bestbieter als Auftragnehmer gesucht werden." Es ist davon auszugehen, dass diese mit drei jeweils unterschiedlichen Konzepten und Ansätzen angetreten sind und für diese Leistungen den Zuschlag erhalten haben. "Wie soll das dann in der Praxis funktionieren? Greift der Auftraggeber dann bei Bedarf auf die übergeordnete Leistung nur einer der drei Agenturen zurück? Alles andere wäre ja absurd und würde der Zielsetzung der Ausschreibung auch widersprechen. Und wenn ja, würde das dann bedeuten, dass zwei Agenturen in das Basiskonzept einer dritten Agentur hineinarbeiten müssten, was in der Praxis – ich sag's mal zurückhaltend – recht problematisch werden kann."
Pitchberater Martin Weinand: "Fachlich wurden Anfängerfehler gemacht, die sehr befremdlich sind."
Weinand attestiert jenen, die das verfasst haben, eine Unkenntnis der Materie - etwa auch beim erforderlichen Personal. Hier werden als Mindestausstattung jeweils zwei Mitarbeiter im Bereich "Beratung", im Bereich "Strategie" sowie im Bereich "Kreativ" mit mindestens einem Jahr Berufserfahrung gefordert. Dazu kommen als Schlüsselpersonal zwei Projektleiter mit jeweils zehn Jahren berufsrelevanter Erfahrung. "Abgesehen davon, dass sich kaum eine Agentur zwei Vollzeit angestellte Strategen leistet, sind diese Personalerfordernisse überhaupt nicht an die Projektdimension angepasst. Das liest sich schon ziemlich absurd. Oder anders gesagt: Da hätte man auch gleich gar nichts fordern müssen", so Weinand.
Gleichberechtigung?
Er kritisiert auch die Entscheidungskriterien bei Punktegleichstand im Verfahren. Hier gibt es bei Gleichstand beispielsweise einen Zusatzpunkt für jeden Bewerber, der ein KMU ist. Weiters gibt es dann einen Zusatzpunkt für den Bewerber mit ausgeglichenerer Geschlechterquote in der Geschäftsführung – wobei in der Ausschreibung "50 Prozent optimal" steht. Weinand: "Jeder, der mich kennt, weiß wie wichtig mir grundsätzlich solche ‚Unternehmens-Merkmale‘ sind. Und ich war schon immer ein glühender Befürworter von Gleichberechtigung und Gleichbehandlung, aber das stellt doch per se keine fachliche Qualifikation des Bieters dar. Außerdem
– und auch darüber dürfte nicht nachgedacht worden sein
– würde demnach eine Agentur mit mehrheitlich Frauen in der Geschäftsführung schlechter gestellt werden."
Weinand betont, kein Jurist, sondern eben Pitchberater und langjähriger Kenner der Branche zu sein; angebotsbezogene Auswahlkriterien zu formulieren erscheint ihm aber vergaberechtlich als "äußerst problematisch". "Das ist – soweit ich Vergaberecht verstanden habe – ein eklatanter Verstoß gegen das Bundesvergabegesetz und macht die Ausschreibung insgesamt in höchstem Ausmaß angreifbar. Mit anderen Worten: Würde ein Bieter aus diesem Titel heraus einen Einspruch erheben, kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass dieser Einspruch Erfolg haben wird", so Weinand. Selbst wenn man die Vorgangsweise rein fachlich betrachten würde, würde das bedeuten, dass der Auftraggeber von allen interessierten Agenturen "eine erhebliche Gratis-Vorleistung" fordert, kritisiert Weinand.