Marktforschung steht mitten im Umbruch
 

Marktforschung steht mitten im Umbruch

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Der Verband der Marktforscher Österreichs ist 50. HORIZONT lud Marktforscher von Instituts- und Unternehmensseite zum Roundtable über Status quo und Zukunft

Horizont: Hat die Marktforschung in Österreich den Stellenwert, den sie verdient?  Welche sind die neuen Herausforderungen?

Ulrike Kittinger: Die Marktforschung wurde aus Sicht des Unternehmens, für das ich arbeite, sicher aufgewertet. Sie ist nun als Stabsstelle auf Vorstands­ebene angesiedelt. Es gibt eine ganze Menge neuer Felder und Herausforderungen für Data Miner. Etwa die Kombination analytischer CRM-Daten mit  Marktdaten, das hat noch Potenzial. Der Trend geht weg von großen klassischen Studien, etwa zum Image, in Richtung Ad-hoc-Marktforschung.

Sabine Zotter: Bei uns ist die Marktforschung im Marketing angesiedelt und dient vor allem in Zeiten, in denen Kosten ein großes Thema sind, immer öfter auch zur Erfolgskontrolle im Sinne von Zielerreichung für fast alle Marketing­aktivitäten. Marktforschung muss einen Nutzen bieten und am Ende des Tages muss datenbasiert nachweisbar sein, was mit den einzelnen Marketing-Maßnahmen erreicht wurde und welchen Beitrag sie zur Erreichung der Unternehmensziele leisten. Die Kombination Research und CRM sehe ich auch sehr spannend: CRM liefert das, was wichtig ist, aber auch das Wissen um das Warum. Die Verknüpfung von CRM-Markt- und Research-Daten wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Robert  Sobotka: Wir haben eine Studie über den Stellenwert gemacht, deren genaue Ergebnisse bei der 50-Jahr-Feier des VMÖ präsentiert werden. Jedenfalls wollen wir ihn bei den KMU heben, bei großen Firmen ist dieser ohnehin hoch, und es kommen immer neue Felder dazu.

Rudolf Bretschneider: Der Stellenwert hat sich spürbar gewandelt. Dass sich die Marktforscher über den geringen Stellenwert beklagen, blieb gleich, wenn auch die Gründe für diese Klagen jetzt andere sind. Bei der GfK gibt es mehr ­Internationalität, dazu eine breitere Nutzung in unterschiedlichen Feldern wie Handel, Medienforschung, Industrie und Dienstleister, sowie auch verstärkte Nutzung für unternehmerische Planung und Entscheidungen. Die ­Methoden gehen Richtung Messung und Verknüpfung von Daten. Die Rolle für KMU sehe ich insbesondere bei Exportmärkten wichtig, ansonsten kennen KMU ihre Kunden im Allgemeinen gut.

Herbert Kling: Der Stellenwert steigt wohl mit der Nähe zur Vorstandsebene an. Je weiter unten sie angesiedelt ist, deso mehr ist sie bloßer Zahlenlieferant. Wir hören manchmal: „Liefert ihr die Daten, die Interpretation machen wir eh selbst.“ Oder: „Wir wollen eine bestimmte Anzahl Interviews, was ist euer Preis?“ Druck wird auch über Convenience Sampling ausgeübt, zum Beispiel Befragung via Newsletter-Verteiler. Der Stellenwert wird oft auch gecruncht durch Zeitungsabo-Verkauf, der als Marktforschung getarnt wird. Das tut der Branche nicht gut.

HORIZONT: Wie steht es um die Innovationskraft der heimischen Marktforschung?

Felix Josef: Die geringen Erlöse in ­Österreich, etwa im Vergleich zu Dänemark, minimieren die Investition in ­Innovationen. Dänemark hat rund 20 große Brands, die Auftraggeber sind, ­Österreich nur eine Handvoll. Bei uns verschenken auch einige marktrelevante Teilnehmer ihre Interviews. Aber unter schwierigen Bedingungen entstehen oft die besseren Ideen, ob sie sich in Österreich durchsetzen, ist eine andere Frage. Höhere Erträge wären wünschenswert, um autochthone technologische Innovation zu ermöglichen.

Alexander Zeh: Ich sage provokant, dass wir den Stellenwert haben, den wir verdienen, daher setze ich große Hoffnungen in die neue Struktur des VMÖ. Der Standort Österreich wird ja leider immer unbedeutender. Die eigentliche Marktforschung macht weniger als jene oft genannten 120 bis 130 Millionen Euro Umsatz. Wir machen etwa 30 Millionen, was etwa 30 Prozent Marktanteil entspricht. Daneben gibt es eine Vielzahl von kleineren Teilnehmern, die scheinbar ein spezielles Unternehmensziel verfolgen.

HORIZONT: Wie erklären Sie sich den rückläufigen Response?

Bretschneider: Früher gab es natürlich viel mehr Face-to-Face-Befragungen. Aber wenn einmal in Simmering ein Mord passiert ist, öffnete halb Wien die Tür nicht mehr. In den USA ist Social Research praktisch nur mehr bei den Universitäten möglich. Das hängt mit der Wohnsituation, der Sicherheit und den als Marketing getarnten Verkaufsaktivitäten zusammen. In Social Media öffnen sich die Leute, das ist ein internationales Phänomen. Der Response hängt heute mehr vom Thema ab, Befragungen werden kürzer, gehen mehr in Online, es gibt Incentivierung. Es ist immer wieder erstaunlich, dass Daten sehr oft gut überprüfbar sind. Was die Kollegen hier Convenience Sampling genannt haben, nenne ich: Jeder, der will, der darf. Das ist bei Online oft wirklich Schrott. Manche Dinge gehen einfach nicht online oder per Telefon.

Kling: Man darf auf Kundenseite nicht glauben, dass alles online funktioniert. Wir hatten die Anfrage von einem großen Drogisten und mussten ihm sagen, dass das, was er will, online nicht geht.  Multi Mode oder Mixed Mode ist auch bei uns auf der Tagesordnung. Bei Befragungen unter Menschen mit Migrationshintergrund geht es zum Beispiel nur so.

Sobotka: Zeit ist ein knappes Gut geworden, wir haben die Leute lange mit viel zu langen Befragungen vergrämt. Anwälte oder Ärzte antworten oft verständlicherweise: Bei mir kostet die Stunde xy Euro, warum soll ich jetzt zehn Minuten antworten?

HORIZONT: Kann mobiles Internet ­einen Schub bedeuten?

Kling: Zweifellos. Geobasierte Befragungen werden wichtiger, Apps sind eine gute Einfallspforte. Derzeit ist die große Fantasie von Mobile noch nicht umgesetzt, sie hat aber viel Potenzial. Nicht zuletzt werden rund zehn bis 15 Prozent unserer Umfragen am Handy oder Tablet ausgefüllt.

Zeh: Mobile ist nicht mehr wegzu­denken, wir sind ja schon in der Omniscreen-Gegenwart, wo die Befragung am Handy beginnt, am Tablet, am Notebook und dann am Standgerät weitergehen kann.

HORIZONT: Immer mehr Befragungen bewegen sich in Panels. Besteht ­damit nicht die Gefahr, dass man in Parallelwelten forscht?

Zeh: Ja, aber es war auch zuvor so, dass nur ein Teil der Bevölkerung mitmachte. Ist es besser, die Panels selbst zu schaffen, oder das den Interviewern zu überlassen?

Kittinger: Wir haben 7.800 Kunden im Panel, die laufend befragt werden. Das ist ein genaues Abbild der Kunden, eine schnelle und kostengünstige Methode, die Kundenmeinung zu erfahren, und es dient auch zur Kundenbindung.

HORIZONT: Welche Rolle hat die politische Marktforschung?

Bretschneider: Vorausschicken muss man, dass die Anzahl dieser Kunden überschaubar ist und man immer nur für einen arbeiten kann. Jedenfalls ist das ein Schmerzensthema, denn da wird viel Institut- und Journalisten-produzierter Unsinn wiedergegeben.  Ich habe einmal in einer Veranstaltung versucht, Journalisten den Umgang mit Marktforschung beizubringen, aber leider ohne  Erfolg …

Zeh: Dieses Feld wird gehypt, es macht bei uns nur zwei oder drei Prozent des Umsatzes aus. Felder wie Public und Governmental oder Finanzdienstleistung haben deutlich höhere Anteile.

HORIZONT: Verkauft sich die Marktforschung in der Öffentlichkeit schlecht?

Sobotka: Manche Verbandsmitglieder meinen, dass die Branche zu wenig Öffentlichkeit hat. Ich werfe aber die Frage auf, ob wir als 100-Millionen-Euro-Branche nicht ohnehin mehr Medienpräsenz haben, als uns zusteht.

Bretschneider: Ich will gar nicht mit Marktforschung bekannt sein. Der ­Anspruch, die öffentliche Meinung ­abzubilden, wäre meiner Ansicht nach eine Hybris. Außerdem werden in den Medien oft irrelevante Daten aufgegriffen.

HORIZONT: Wie sehen Sie die Zukunft der Marktforschung in Österreich?

Kling: Datenquellen und Datenma­nagement werden wichtiger, auch Social Media ermöglichen hochspannende Projekte. Die Evaluierung und Verknüpfung der möglichen Datenquellen müssen Institute in ihrem Kernportfolio haben.

Josef: Sicher ist die gemeinsame Nutzung unterschiedlichster Datenquellen die Zukunft. Diese Daten werden aber immer schwieriger nutzbar werden, Österreich und Deutschland sind ja die Avantgarde im Datenschutz.

Kittinger: Ich sehe Social Media als große Chance für die Marktforschung. Dadurch kann man die Kunden noch besser kennenlernen. Auch sind technische Neuerungen wie Tablets und Apps eine Erleichterung für Analytiker, um die Daten sehr schnell und benutzerfreundlich an die jeweilige Zielgruppe im Unternehmen kommunizieren zu können.

Zotter: Die Disziplinen werden sich vernetzen, egal, wie diese in den ­Unternehmen heißen und wo sie ­angesiedelt sind. Und es reicht auch mittel- bis langfristig nicht mehr, sich nur mit der Customer View zu beschäftigen – obwohl das für viele Unternehmen schon eine Herausforderung darstellt. Erfolgsentscheidend wird sein, die Lebenswelt des Konsumenten, egal ob real oder ­virtuell, also die Consumer View, in den Fokus zu stellen, zu analysieren und daraus Schlussfol­gerungen und Handlungen für das ­eigene Produkt abzuleiten.

Zeh: Der Markt wird wohl schrumpfen, etwa durch billigere Erhebungsmethoden und durch Globalisierung, die Österreich voll trifft, durch Offshoring und die Economies of Scale von Auftraggeber- wie auch von Marktforscherseite. Die Rolle der Feldarbeit wird geringer, und auch das Interesse an den Details der Ergebnisse sinkt, ist meist nur mehr im Bereich Medien wichtig. Zum anderen gibt es durch Big-Data-Initiativen eine Riesenmenge an Daten. Diese zu durchforsten, wäre ein wunderschönes Betätigungsfeld. Es wird sich sehr viel in den nächsten Jahren ändern, aber das gilt für fast alle anderen Branchen auch.

Bretschneider: Ich sage, was ich meist vor Wahlen sage: Der erfahrene Prophet wartet die Ereignisse ab. Man spürt aber eine Entwicklung durch die Innovationen am Markt, auch wenn unmöglich zu sagen ist, welche Tools oder welche Umsätze wir in fünf Jahren haben werden. Die besten Zeiten für Marktforscher sind jene des Umbruchs, eine Konstanz der Phänomene ist kein Treiber der Entwicklung. Wir sollten froh sein, dass sich viel ändert.

Dieser Artikel erschien bereits am 25. Juli in der HORIZONT-Printausgabe 30/2014. Hier geht's zur Abo-Bestellung.



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