Interview: Michael Nitsche übernimmt 85 Prozent an Karmasin.Motivforschung und dem Österreichischen Gallup Institut – Gemeinsam mit Minderheitseigner Matthias Karmasin spricht er über seine Pläne
Michael Nitsche: Ich bin überzeugt, dass intelligente Marktforschung in Zukunft einen noch bedeutenderen Stellenwert in Österreich bekommen wird und habe deswegen die einmalige Gelegenheit wahrgenommen, zwei der renommiertesten Institute im Land zu kaufen. Ich komme ja ursprünglich aus dieser Branche und bin dann erst später in die Werbung gewechselt. Nun „back to the roots“ zu gehen und neue Ideen einzubringen, ist für mich eben sehr reizvoll.
Matthias Karmasin: Nachdem Anfang des Jahres die Geschäftsführung rasch interimsmäßig besetzt worden war, haben wir intensiv nach einer langfristig stabilen Lösung für das Unternehmen gesucht und so kam im Frühsommer Michael ins Spiel, der alle wesentlichen Voraussetzungen in einer Person vereint, um dieses etablierte Familienunternehmen weiterzuführen: Er hat viele Jahre bewiesen, dass er erfolgreich unternehmerisch agieren kann, kennt das Institut und die Kultur und hat, was das Wichtigste ist, den notwendigen marktforscherischen Background, akademisch wie auch in der Praxis.
Nitsche: Es ist ja kein Geheimnis, dass ich mit Matthias seit meiner Jugend sehr verbunden bin. Wir gingen zusammen zur Schule, haben gemeinsam studiert und auch als Assistenten gemeinsam am selben Institut an der Wirtschaftsuniversität Wien gearbeitet. Dort waren wir dafür bekannt, dass wir, obwohl wir beste Freunde sind, manchmal auch ordentlich streiten konnten, wie ein altes Ehepaar. (lacht) Aber im Lauf der Jahre haben wir beide gelernt, dass sich unsere unterschiedlichen Talente nicht konkurrenzieren, sondern perfekt ergänzen. Und ich habe sieben Jahre lang für das Marktforschungsinstitut gearbeitet und dieses Metier von Fritz Karmasin von der Pike auf gelernt.
Karmasin: Nachdem wir beide als Studenten auch auf der Baustelle beim Umbau hier in der Anastasius-Grün-Gasse mitgearbeitet haben, kann Michael sogar mit Fug und Recht sagen, er hat dieses Haus mit aufgebaut! Wenn auch nur als 20-jähriger Ziegelschupfer …
Nitsche: Jedenfalls liegt mir dieses Unternehmen und seine langfristige Zukunft sehr am Herzen, und es war allen Beteiligten bald klar, dass es dafür auch eine sehr klare Führungsstruktur auf Gesellschafterebene geben muss. Und so wurde mir angeboten, die Mehrheitsanteile zu kaufen, was ich dann letztlich vor wenigen Tagen auch getan habe. Ich muss zugeben, dass ich stolz bin, dieses renommierte Unternehmen, das viele Jahre sehr erfolgreich von Sophie Karmasin geführt wurde, zu übernehmen.
HORIZONT: Was wird Ihre Rolle sein?Nitsche: Ich werde gemeinsam mit Matthias, der ja seinen klaren Fokus bei seinen Aufgaben als Direktor an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und bei seinem Lehrstuhl an der Alpen-Adria-Universität hat, die Rolle eines strategischen Investors und Gesellschafters einnehmen, werde aber nicht operativ im Tagesgeschäft mitwirken. Wir haben mit Andreas Büchelhofer seit fünf Monaten einen großartigen Geschäftsführer und ein Team von hervorragenden Fachexperten. Wir werden uns aber um die strategische Weiterentwicklung kümmern. Bei der Werbeagentur habe ich mir schon vor geraumer Zeit die operative Führung mit Niklas Duffek geteilt (siehe HORIZONT 37/2014, Seite 14). Ursprünglich aus dem Grund, um einerseits die Agentur auszubauen, und andererseits, um meine Dissertation zu schreiben: Nun kam es anders und ich werde mich eben strategisch um beide Bereiche, Marktforschung und Werbung, kümmern.
HORIZONT: Könnte man nicht aus Ihrem Naheverhältnis konstruieren, dass Sie hier bloß ein Strohmann auf Zeit sind?Nitsche: Das glaube ich nicht, denn dazu müsste man alle Beteiligten ein ungeheures Maß an Blauäugigkeit unterstellen. Es gibt keinen Side-Letter, der eine Rückabwicklung zulässt, und es gibt definitiv keine wie immer gearteten Treuhandvereinbarungen. Wir würden doch alle unsere Glaubwürdigkeit verlieren, und die ist in einem Dienstleistungsgeschäft wie Werbung oder Marktforschung bekanntlich sehr viel wert. Ich nehme diese Aufgabe sehr ernst und sehe mein Engagement hier langfristig.
HORIZONT: Das Unternehmen hat turbulente Monate erlebt. Es ist die Rede von einem deutlichen Umsatzrückgang.Nitsche: So eine Umstellung ist natürlich ein harter Brocken. Aber es ist bemerkenswert, wie viele unserer Kunden diesem Haus sehr loyal gegenüber stehen, weil sie eben sehen, dass die Leistung passt.
Karmasin: Ich bin jedenfalls zuversichtlich, dass es Michael Nitsche und Andreas Büchelhofer aufgrund ihrer Kompetenz gelingen wird, das Unternehmen erfolgreich zu entwickeln. Das Geschäft mit österreichischen Unternehmenskunden und auch das internationale Business wie etwa das „Eurobarometer“, das wir für die EU in Österreich erheben, laufen stabil.
HORIZONT: Kommen wir zur Zukunft. Wie legen Sie es strategisch an? Nitsche: Darüber befinden wir zwei uns gerade in sehr intensiver Diskussion. Wir setzen uns mit dem internationalen State of the Art in der Branche auseinander und entwickeln neue Strategien und Produkte. Dieses Unternehmen hat eine historisch gewachsene Struktur. Die quantitativen Methoden und die qualitativen Methoden sind teilweise in getrennten Unternehmen angesiedelt, was historisch-biografisch nachvollziehbar ist, nachdem Fritz Karmasin mit Gallup das quantitative Geschäft aufgebaut hat und Helene Karmasin, die Gründerin des Instituts für Motivforschung, die qualitative Seite. Wir sind sehr froh darüber, in Helene Karmasin, der führenden Expertin für Motivforschung im deutschsprachigen Raum, weiterhin eine starke Persönlichkeit an Bord zu haben. Sie wird als Chairwoman des neu eingerichteten Advisory Board die methodische Weiterentwicklung der Motivforschung federführend begleiten und steht Kunden beider Institute als Expertin und Vortragende unverändert zur Verfügung. Matthias und mir ist aber klar, dass eine Trennung zwischen Methoden heute nicht mehr zeitgemäß ist, und wir arbeiten gerade an den Eckpfeilern einer Weichenstellung, die bis zum Jahresende umgesetzt sein wird und mit der wir 2015 voll durchstarten werden.
HORIZONT: Der Name bleibt?Nitsche: Wir werden bei Karmasin.Motivforschung zu den Wurzeln zurückkehren und dieses Unternehmen wieder Institut für Motivforschung nennen. Und es wird die Marke Österreichisches Gallup Institut wieder stärker in den Vordergrund rücken. Wichtiger ist aber der Inhalt: Wir wollen davon wegkommen, Methoden zu verkaufen, also eine Fokusgruppe hier oder eine 500er-Umfrage dort. Wir werden die Problemstellungen unserer Kunden methodenneutral angehen.
Karmasin: Also: Weg von der Methode, volle Kraft in Richtung Lösung.Nitsche: Genau, denn das, was Entscheider heute mehr denn je brauchen, sind Smart Insights. Die bedingen aber, dass man überhaupt erst einmal die richtigen Fragen in der richtigen Form stellt. Und ein weiterer Punkt ist die Aufbereitung der Ergebnisse. Kein Manager hat die Zeit für dicke Tabellenbände und 60 PowerPoint-Slides. Die Menschen suchen nach ganz klaren und übersichtlichen Grundlagen für Entscheidungen. Ich glaube bei der zeitgemäßen Aufbereitung von Daten gibt es auch einige Synergien mit der Werbeagentur, die übrigens auch in dieses Haus ziehen wird.
HORIZONT: Die enge Verbindung mit der Agentur könnte zu Problemen bei Aufträgen für Werbeforschung führen …Nitsche: Das glaube ich nicht. Agentur und Marktforschung werden, wo es notwendig ist, ganz getrennt agieren. Ich kann mir etwa vorstellen, dass eine andere Agentur Probleme damit hätte, ihre Arbeit für einen Pitch, bei dem sie im Wettbewerb mit Nitsche Werbung steht, von uns hier abtesten zu lasten. Dafür hätte ich auch Verständnis, aber diese Fälle werden sich in Grenzen halten, beziehungsweise werden wir ganz klare Abgrenzungen und interne „Firewalls“ aufstellen. Ich bin seit 20 Jahren in der Branche, die Leute wissen, dass mir Fair Play im Geschäftlichen immer extrem wichtig ist und sie kennen meine Handschlagqualität. Ansonsten gibt es aus der neuen Konstellation für Kunden in Zukunft auch sicherlich eine Menge interessanter Synergien durch die Bündelung von Kompetenzen.
Dieses Interview erschien bereits am 24. Oktober in der HORIZONT-Printausgabe 43/2014. Hier geht's zur Abo-Bestellung.