Handelsmarketing: Neue Blickwinkel, neue Stra...
 

Handelsmarketing: Neue Blickwinkel, neue Strategien

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Die Digitalisierung verändert auch den Handel nachhaltig. Das erfordert neue strategische Ansätze.

Ab 7.5. berichtet HORIZONT online im Rahmen eines Schwerpunkts verstärkt über das Thema Handelsmarketing. Mehr zum Thema lesen Sie regelmäßig auf horizont.at

Dieser Artikel ist zuerst in Ausgabe 2/2018 des bestseller erschienen. Sie können den bestseller im HUB-Abo unter diesem Link erwerben.

Handel ist ein menschliches Grundbedürfnis. Um es zu befriedigen, legt der Homo sapiens seit jeher große Anpassungsfähigkeit an den Tag. Als Käufer, um das vermeintlich beste Angebot zu ergattern. Als Händler, um das Publikum genau dort und genau dann zu erwischen, wenn es sich in der besten Kauflaune befindet. Es ist also nicht ganz zufällig, dass sich Handel auf Wandel reimt. So tief greifende Veränderungen wie aktuell hat es aber bis dato noch nicht gegeben – denn sie betreffen sowohl den kleinen Händler ums Eck als auch die ganz großen Ketten. Verantwortlich für den Paradigmenwechsel ist das Web. „Der Informationsvorsprung des Handels hat sich verringert. Die Kunden wissen heute oft mehr über die Produkte als die Verkäufer“, betont Peter Schnedlitz, Vorstand des Institut für Handel & Marketing an der WU Wien. Zumindest bei wichtigen und teuren Sortimenten hätte sich das Web als fixer Bestandteil der Kaufvorbereitung etabliert, erläutert der Wissenschaftler und ergänzt: „ROPO, also Research online, Purchase offline, bleibt die dominierende Customer Journey.“

Allerdings: Ein respektabler Anteil am gesamten Einzelhandelsvolumen wird bereits ausschließlich digital abgewickelt. So betrugen die Ausgaben im Internethandel laut der von KMU Forschung Austria durchgeführten E-Commerce-Studie 2017 etwa 6,8 Milliarden Euro. Laut der aktuellen Konjunkturentwicklung im Einzelhandel 2017, die ebenfalls die KMU Forschung erhoben hat, erwirtschaftet der stationäre Einzelhandel in Österreich 70,6 Milliarden Euro Umsatz brutto inklusive Umsatzsteuer. Der Anteil des E-Commerce am gesamten Umsatzkuchen beträgt also über alle Branchen hinweg um die zehn Prozent – Tendenz steigend. Ob ein Großteil der Handelsumsätze ins Internet abwandern wird, ist dennoch ungewiss. Denn ein realer Shop hat Stärken, die ihm keine digitale Technologie streitig machen kann. „Das Erlebnis in einem gut funktionierenden Geschäft ist durch einen kalten Bildschirm nicht zu ersetzen“, meint Schnedlitz und betont: „Dazu kommt, dass man spontan etwas kaufen kann und nicht auf die Zustellung warten muss.“

Digital im Fokus

E-Commerce boomt zwar, repräsentiert in Österreich aber erst ein Zehntel des gesamten Handelsumsatzes. Die stationären Händler setzen deshalb verstärkt auf Erlebnismarketing, Beratung und eine Omnichannel-Strategie auch in der Kommunikation, die beide Welten vereint. Die großen stationären Händler rüsten kräftig auf. Norbert W. Scheele, Director of Country C&A Austria & CEE, erläutert beispielhaft: „Wir verfolgen eine Omnichannel-Strategie.“ C&A bietet etwa Click and Collect: Hier können Kunden von zu Hause aus online bestellen und die Ware im Store kostenlos abholen. Diese neue Art des Warenverkaufs werde sehr positiv von den Kunden angenommen und nehme auch stetig zu. Der Händlerverbund Intersport, mit einem Marktanteil von 33 Prozent der größte Sporthändler des Landes, hat kürzlich eine eigene Studie durchgeführt. „Wir wissen, dass 78 Prozent der Kunden hauptsächlich im stationären Handel kaufen und 27 Prozent informieren sich dabei vorher im Internet“, zitiert Mathias Boenke, Geschäftsführer von Intersport Österreich, ein Ergebnis aus dem eigenen Sportreport. Auf die durch das Web nun besser informierten Kunden war Intersport aber schon vorbereitet. „Nicht erst mit der zunehmenden Digitalisierung des Einkaufsverhaltens, sondern seit jeher sind unsere Verkäufer auf gut informierte Kunden eingestellt. Die Beratung ist ja auch genau das, was uns vom Mitbewerb unterscheidet.“

Bei der Genossenschaft Sport 2000, mit einem Marktanteil von 31 Prozent zweitgrößter Akteur, setzt man auf das Wissen und die Erfahrung der eigenen Händler. Denn diese würden zu einem Großteil selbst aus dem Sport kommen und über ein dementsprechendes Know-how verfügen, wie Holger Schwarting, Vorstand von Sport 2000, kürzlich bei einem Hintergrundgespräch vor Journalisten betonte. Dennoch wird digital aufgerüstet: „Wir haben bereits mit dem Ausrollen unseres digitalen Ladentisches begonnen“, verrät Schwarting. Damit könne man das Sortiment der mit einer Durchschnittsfläche von 500 Quadratmeter ausgestatteten Geschäfte theoretisch bis ins Unendliche erweitern. „Wenn ein Produkt nicht im Geschäft ist, bekommt es der Kunde am nächsten Tag entweder nach Hause geliefert oder kann es im Geschäft abholen“, erläutert Schwarting.

Österreicher kaufen Lebensmittel stationär

Im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) spielt E-Commerce derzeit so gut wie keine Rolle. „Bei frischen Lebensmitteln ist der Online-Marktanteil nach wie vor unter einem Prozent, also unter 200 Millionen Euro Umsatz“, skizziert Schnedlitz. Ob sich dieser je zu einer nennenswerten Größe entwickeln wird, ist ungewiss. Andererseits hätte wohl niemand vor einigen Jahren gedacht, dass 15 Prozent der Ausgaben, die die Österreicher für Schuhe aufwenden, online getätigt werden. Laut KMU Forschung Austria war das 2017 aber der Fall. Ungeachtet dieser Unsicherheit investieren sowohl Rewe als auch Spar kräftig in den E-Commerce. Paul Pöttschacher, Pressesprecher der Rewe International AG (Billa, Merkur, Penny, Bipa, Adeg), betont: „Unsere Online-Märkte entwickeln sich sowohl bei Billa als auch bei Merkur sehr erfreulich. Billa Online erzielte 2017 ein Umsatzwachstum von 40 Prozent.“

Dabei wäre die Online-Vertriebsschiene gerade im LEH alles andere als leicht abzubilden. Pöttschacher: „E-Commerce mit Lebensmitteln stellt die Königsdisziplin des Onlineshoppings dar, denn Lebensmittel können nicht einfach wie Bücher oder Kleidung in einen Karton gepackt und versandt werden.“ Vielmehr müssten sie sorgsam ausgewählt, verpackt und transportiert werden und all diese Abläufe würden reibungslos funktionieren müssen, damit Qualitäts- und Hygienevorschriften eingehalten werden würden. Nicole Berkmann, Konzernsprecherin der Spar-Österreich-Gruppe, verweist auf den Interspar-Onlineshop: „Mit über 20.000 bestellbaren Artikeln ist es der größte Lebensmittel-Onlineshop Österreichs und der einzige, in dem neben Tiefkühlprodukten und Artikeln aus der Feinkost-Bedienung auch Artikel in umweltfreundlichen Mehrweggebinden angeboten werden.“ Die bestellten Produkte werden dabei innerhalb eines vereinbarten Zeitfensters an die Haustüre oder an Abholboxen – in Wien und Umgebung sowie Salzburg und Umgebung – geliefert. Berkmann ergänzt: „Der Umsatz ist steigend, aber er befindet sich bei allen Anbietern noch immer auf niedrigem Niveau.

Kundenansprache verändert sich weiter

Bei der Art und Weise, wie Kunden angesprochen werden, wird der Wandel weitergehen. Davon ist Harald Gutschi, Geschäftsführer der Unito-Gruppe (unter anderem Universal, Otto, Quelle) überzeugt: „Die größte Veränderung in den Kommunikations- und Medienkanälen wird sich über Voice Commerce in den nächsten Jahren vollziehen“, betont der Manager und verweist auf Amazons Alexa oder Googles Home Assistant. Für Möbel und technische Produkte werde das Thema Augmented Reality – konkret das elektronische In-einen-Raum-Stellen von Möbeln oder hochwertigen TV-Geräten – eine essenzielle Rolle spielen, ergänzt Gutschi und betont: „Kunden werden dieses Thema aktiv betreiben und befeuern und es wird Teil des digitalen Handelsmarketings werden.“ So wie Chats und automatisierte Chatbots auch. Laut Gutschi werde die Kommunikation in der Zukunft noch viel datengetriebener, über künstliche Intelligenz automatisierter und somit aus Kundensicht deutlich relevanter werden. „Das Verknüpfen der Social-Media-Kanäle mit Shoppingkanälen, siehe WeChat in China, ist ebenfalls ein Trend, der in den nächsten Jahren erfolgen könnte“, ergänzt der Unito-Chef. Kritischer sieht indes WU-Professor Schnedlitz die Relevanz von neuen Kanälen à la Messenger, Chatbots, Virtual Reality und Co.: „Es wird viel gegackert, doch in der Realität bleibt wenig hängen. Die Kunden suchen Convenience und eine einfache Abwicklung.“

[Rainer Seebacher]

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