‚Der stationäre Handel muss innovativer sein‘
 

‚Der stationäre Handel muss innovativer sein‘

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HORIZONT sprach mit David Bosshart, Trendforscher und Geschäftsführer des GDI Gottlieb Duttweiler Instituts, über Unternehmensführung und den stationären Handel

HORIZONT: Herr Bosshart, Sie sind Trendforscher, Geschäftsführer des GDI Gottlieb Duttweiler Institute for Economic and Social Studies und Autor zahlreicher Bücher. Womit beschäftigen Sie sich aktuell besonders intensiv?
 
David Bosshart: Wohin geht die Digitalisierung und welche Geschäftsmodelle stecken dahinter? Das ist eine Frage, mit der ich mich derzeit intensiv auseinandersetze. Ein zweites Thema ist die Polarisierung, denn wir leben in einer polarisierten Welt: Das Globale trifft auf das Nationale, Alte auf Junge, Osten auf Westen, Arme auf Reiche, ­Religionskonflikte nehmen zu. Hinzu kommt das Reale, die Finanzwirtschaft, die eine riesige Rolle spielt. Wenn man sich mit gesellschaftlichen Themen beschäftigt, fällt auf, dass die gut Ausgebildeten immer mächtiger werden – ihnen steht allerdings eine wachsende Anzahl an Personen gegenüber, die mit den Mächtigen kaum mehr Schritt ­halten kann.

HORIZONT: Wie kann man sich auf die Zukunft und die von Ihnen genannten Entwicklungen vorbereiten?

Bosshart: Wir wissen aus der Verhaltensforschung, dass Menschen relativ träge sind. Wir überschätzen die Macht über unser Verhalten massiv, haben viel weniger Selbstdisziplin und Selbstkontrolle, als wir es uns selbst zuschreiben. Das sehen wir beim Essen, beim Thema Schlaf oder wenn es darum geht, ob wir uns genug bewegen. Marketingschaffende können sich diese Selbstüberschätzung natürlich zunutze machen, indem sie Menschen an ihren schwachen Punkten treffen. Für Unternehmen wie Google und Amazon, die als Datensammler ein immenses Wissen über ihre Kunden haben, ist die Schwäche der Menschen ein Spielfeld – wohin das führen wird, steht in den Sternen. 

HORIZONT: In Ihrem Vortrag im Zuge des Versandhandelstags in Wien vergangenen Juni haben Sie erwähnt, dass Unternehmen auf Trends nicht zu früh und nicht zu spät aufspringen sollen. Wie erkennt man, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist?

Bosshart: Das ist eine Führungsaufgabe. Die Komplexität steigt vor allem aufgrund der Tatsache, dass wir mit Smartphones und Tablets in einer Echtzeit-Welt ohne Verzögerungen ­leben. Das bringt dem Einzelnen natürlich auch eine Fülle von wertvollen Informationen und Möglichkeiten, geht aber auch mit der Gefahr einher, dass man sich verzettelt. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Für ein Unternehmen ist es eine der wichtigsten Aufgaben, sich in immer kürzeren Zyklen zu fragen, ob man die richtige Strategie verfolgt. Ich erschrecke immer wieder, wenn ich sehe, dass manche Unternehmen keine Vorstellung davon haben, wie ihr Kunde und ihr Geschäftsmodell in fünf Jahren aussehen werden. Sie leben alle vom so genannten Status quo Bias.  

HORIZONT: Was genau kann man sich unter dem Status quo Bias vorstellen?

Bosshart: Die Illusion, dass es schon irgendwie immer so weitergehen werde wie bisher. Das ist eine große Gefahr. In einer so schnelllebigen, dynamischen, komplexen Welt muss ich mir einfach Gedanken darüber machen, wie mein Unternehmensmodell in Zukunft aussehen soll. Dabei muss man Trends erkennen, analysieren und wissen, welche man für sich umsetzt. Die Führung darf sich dann aber nicht nur fragen, wann der richtige Zeitpunkt ist, sondern muss auch berücksichtigen, wie man die Integration der Kanäle besser bewerkstelligen kann. All das sind sehr komplexe Fragen.

HORIZONT: Ist Unternehmensführung somit heute schwieriger als früher? 

Bosshart: Ja, Führung heute ist anspruchsvoller als noch vor 20 oder 30 Jahren, aber auch der Wettbewerb ist es. Wir leben in einem globalen Umfeld, nicht mehr in einem regionalen, um nur eine der bekannten Veränderungen zu nennen. Wer Ambitionen hat und in einem für ihn tollen Unternehmen arbeiten möchte, hat automatisch einen viel breiteren Wettbewerber-Anteil, als es früher der Fall war. Man ist plötzlich mit einem Inder, einem Chinesen oder einem Südamerikaner im Wettbewerb. Ich sage nicht, es ist besser und ich sage nicht, es ist schlechter als früher. Aber ja, es ist anspruchsvoller geworden.

HORIZONT: Die wegweisenden Unternehmen, die Sie im Zuge ihrer Keynote hervorgehoben haben, an denen man sich orientieren soll, sind Google, Amazon und Facebook. Was machen diese Konzerne richtig?

Bosshart: In der westlichen Welt, ja. Diese Unternehmen sind starke globale Marktmächte, die in den letzten zehn Jahren kontinuierlich nach oben gestiegen sind. Sie haben als Marken im Bewusstsein der Verbraucher eine sehr starke Stellung eingenommen. Wenn man heute an Versandhandel oder an Einzelhandel denkt, kommen einem zuerst Google oder Amazon in den Sinn und nicht etwa ein österreichischer oder ein deutscher Händler. Das ist ein großer Wandel, der den Händlern zu denken geben sollte.

HORIZONT: Was ist Ihrer Ansicht nach die größte Herausforderung für Unternehmen, gegenüber Big Playern wie Amazon nicht vollkommen in den ­Hintergrund zu rücken? 

Bosshart: Das Problem ist vielschichtig, es geht genauso sehr um Software und Mentalitäten wie um Logistik und Prozesse. Eine Rolle spielen natürlich auch die Themen Steueroptimierung und Steuervermeidung. Heute haben global operierende Unternehmen, egal woher sie kommen, die Möglichkeit, Steueroptimierung zu betreiben. Damit hängt aber auch das regulatorische Umfeld zusammen. Denn: ein großer Player hat viel mehr Machtmöglich­keiten, auch unterstützt durch Top-­Juristen. 

HORIZONT: Jede Bewegung hat zumeist auch eine Gegenbewegung. Wenn Sie an Onlinehandel denken, dann denken Sie vor allem an Amazon. Wie relevant sind jene Menschen, die sich bewusst gegen die Nutzung solcher globalen Player entscheiden und stattdessen etwa beim Buchhändler nebenan einkaufen? Oder jene, die darauf verzichten, ein Smartphone zu nutzen?
Bosshart: Wenn Sie sich mit Techno­logie auseinandersetzen, hat es immer zwei, drei Prozent gegeben, die vehement dagegen waren, trotzdem ist sie nicht aufzuhalten. Was viel wichtiger ist, ist dass Technologie nicht zum Selbstzweck wird und man sich fragt, wie man Technologie sinnvoll für sich selbst nutzen kann. Ein alter Freund von mir, Douglas Rushkoff, hat ein wunderbares Buch geschrieben: ‚Program or Be Programmed‘. Das heißt, es gibt zwei Sorten von Menschen: jene, die programmieren und jene, die programmiert werden. Hier spielen Wissen und Bildung eine tragende Rolle. Ich glaube natürlich auch, dass es sehr viele gute Gründe gibt, Amazon oder Apple kritisch zu hinterfragen – aber trotzdem: Wenn wir den guten Gebrauch der Technologie fördern, können wir sehr viel mit ihr anfangen. Denken Sie an die Google-Brille, die zum Beispiel für Menschen mit Alzheimer ein Segen sein kann, indem sie ihnen hilft, sich an Personen zu erinnern.  

HORIZONT: Im Zuge des Versandhandelstags war E-Commerce ein großes Thema. Was kann der stationäre Handel tun, um sich Kunden, die immer mehr häufiger online einkaufen, zurückzuholen?

Bosshart: Der stationäre Handel muss seine Innovationskraft stärken, unter anderem die Ladengestaltung, das Merchandising verbessern und erneuern. Für den Lebensmittelhandel wäre Urban Farming eine Möglichkeit – das bedeutet zum Beispiel, dass der Salat direkt im Laden wächst, die Frische noch viel frischer wird. 

HORIZONT: Gibt es konkrete Unternehmen, die das besonders gut und vorbildlich umsetzen?

Bosshart: Wenn Sie an Kosmetik denken, war die Marke Lush, die schon vor 20 Jahren frische Kosmetik in ihren Stores angeboten hat, ein Vorreiter. Die haben sich den Hygienefreaks, für die alles möglichst steril sein soll, entgegengesetzt und es sich zunutze gemacht, dass man bei frischen Produkten mit dem Geruch spielen kann. Die Sache mit dem Geruch kann aber auch irgendwann nervig werden, das haben wir bei Abercrombie & Fitch gesehen. Dieser süßliche Geruch – dem entkommt man nicht.

HORIZONT: Selbst dann, wenn man mehrere Meter vom Geschäft entfernt ist.
Bosshart: Genau. Aber stellen Sie sich vor, sie könnten den Kunden im Netz den Geruch österreichischer Weine vermitteln.

HORIZONT: Das wäre dann die nächste Stufe.

Bosshart: Das wäre dann schon wirklich eine Revolution.

Interview: Gerlinde Giesinger, Simon Schütt



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