"Der Handel muss provozieren"
 

"Der Handel muss provozieren"

#

Christian Mikunda, Guru der Ladendramaturgie im Interview mit HORIZONT.

Christian Mikunda ist Entertainmentexperte, Guru der Ladendramaturgie, Erzähler und Forscher. Er jettet mit seinem Wissen und seinen Kunden um die Welt, den neuesten Trends auf der Spur, um sie in ihrer dramaturgischen und psychologischen Tiefe zu erfassen.

HORIZONT: Herr Mikunda, sie kommen gerade aus Barcelona, sind morgen in Schladming und nächste Woche in Singapur - welchen Trends begegnen sie gerade?

Christian Mikunda: Ein faszinierender Trend ist Destabilisation. Es ist eine Technik aus der Hypnotherapie von Milton Erickson, sie basiert auf Halbtranceerfahrungen. Verblüffenderweise findet man diese Technik im Handel als Inszenierungstool. Ein Hintergrund ist wohl, dass der stationäre Handel im Kampf gegen den Onlinehandel um den Zacken provokanter sein muss. Worum geht es? Diese Trends beginnen immer in großen Concept Stores wie dem Maxfield in Los Angeles. Der Store ist ein bunkerähnliches Gebäude mit großen steinernen Figuren davor. Betritt man ihn wird einemästhetische Intervention. Das destabilisiert und öffnet und aktiviert den Besucher. Diese Provokation setzt sich im Inneren in höchst ungewöhnliche Inszenierungen fort. Da hängen ausgestopfte Hühner in den Schaufenstern, Puppen im Abendkleid tragen verstörende Hirschköpfe, echte Schrumpfköpfe aus Borneo werden um 5.000 Dollar feilgeboten. Aber auch in Wien ist dieser Trend auszumachen: Bei Zara finden sie Schaufensterpuppen bei denen eine Wimper auf die Wange gerutscht ist. Das irritert. Ein anderes Beispiel ist Kastner & Öhler in Graz, eines der außergewöhnlichsten Kaufhäuser des Landes. Da gab es eine Eventinszenierung mit riesigen Cocoons aus Fiberglas an der Decke, darin waren Kleidungsstücke verborgen. Im Die Cocoons wurden jeden Tag etwas mehr geöffnet bis sich die Kleider darin ganz entpuppten. Destabilisation sperrt den Menschen für kurze Zeit extrem auf. All das sind erregende aufmerksamkeitsstarke provozierende Elemente. Und sie wandern von den Concept Stores in die Retailszene weiter. YMC Store in Shoreditch in East London liegen in der Auslage Holzprothesen aus dem Ersten Weltkrieg.

HORIZONT: Gelten ihre Dramaturgien und ihre Hochgefühl-Theorie auch hier?

Mikunda: Die Hochgefühle liegen in der Ebene darunter. Destabilisation ist eine Desire-Methode und erzeugt das Hochgefühl Begehren. Diese Begehren wollen Concept Stores erzeugen, das ist wieder eine Ebene darunter. Wie tun sie das? Indem sie Aufmerksamkeit erzeugen und Dinge präsentieren, die von der Normalität abweichen und bewegen.

HORIZONT: Gibt es andere Strategien, die ihnen aufgefallen sind?

Mikunda:
Zur Einstimmung des Konsumenten am POS wird Priming, die Prägung verwendet. Eine Variante ist Retailpoethik an Kaufhauswänden. Bei Kastner & Öhler sind hochwertige schwarze Monolithe aufgestellt in die Zitate berühmter Menschen eingelassen sind. Da steht etwa von Marcello Mastroiani: Modeschöpfer tun das zweitschönste auf der Welt, Frauen anziehen. Dabei geht es um Kultur, um Lifestyle. Bei Ralph Lauren aber auch Sagmeister in Vorarlberg werden künstlerische Objekte von höchster Qualität neben die Ware platziert. Das gibt der Ware einen höheren Wert, eine Prägung. Im Lebensmittelbereich präsentiert die Kette Eataly neben der Pasta die berührende Lebensgeschichten der Produzenten. So entsteht das Gefühl, dass man in Italien ist, dabei ist Eatly eine große Franchise-Kette. Priming kann auch gnädig stimmen, wie bei Ralph Lauren in L.A., wo man den Store durch einen wunderschönen Garten betritt - emotional gechillt und quasi weichgespült und somit eingestimmt auf Genuß. Durch Nähe zu Kunst, Kultur, Geschichte, Ästhetik verschwindet der Verkaufsmaschinerie-Aspekt.

HORIZONT: Wie ist es einzuordnen, wenn ich Screens in Geschäften sehe, die verführen?

Mikunda: Da fällt mir Burberry in London ein. Da gibt es einen Megascreen, der Regen mit herab rieselnden Glasperlen und Künstlern, die das Prasseln der Tropfen imitieren. Diese Ästhetik hebt Regen auf eine andere Ebene und erinnert an eine Performance. Viele viele kleinere Screens wiederum pfeifen Kunden mit Burberry-Kleidung hinterher und zeigen das Kleid am Screen getragen von einem Model. Der Verkauf wird kuratiert. Das findet auch im Consumer Bereich statt. Bei Lane Crawford in Hong Kong wurde die neue Kollektion wie in einer Ausstellung erklärt mit Schnittzeichnung und Bildern, Schildern, auf denen Silk steht oder einem Pulli, den ein unkompliziertes Polaroid ziert mit einem Model, das ihn unter einem Mantel trägt. So sieht man die Dinge mit anderen Augen.

HORIZONT: Es braucht also Inspiration für die Käuferin ...

Mikunda: Inspiration aus spektakulären Showrooms etwa. Der interessanteste derzeit ist wahrscheinlich LN-CC, Late Night Chameleon Cafe, in Shoreditch, London. Er ist bei Appointment only, einmal kostenlos online angemeldet, hat man die ganze Ausstellung für sich. Man geht über eine steile Treppe, durch einen verwunschen Wald, einen Zimmer, das einer Raumstation nachempfunden ist mit vielen weiteren Kammern, wo das Sortiment, das im Internet verkauft wird, präsentiert wird. Alles ist sehr außergewöhnlich designt und das interessante: 95 Prozent der Umsätze laufen online. Online- und Offlinewelt verschmelzen. In vielen Shops in Shoreditch gibt es Sitzmöbel mit eingearbeiteten iPads. Der Käufer switcht zwischen der Online-Website und der realen Anprobe im Shop. Die Botschaften sind also: Handel muss provozieren, der POS muss einstimmen, den Genuß, Kunst, Kultur in den Vordergrund rücken und er muss kuratieren, auf coole Art erklären.

HORIZONT: Inwieweit spielt Licht eine Rolle im Shopdesign?

Mikunda: Um Joy, das Hochgefühl Freude, zu erreichen wird mit Licht gearbeitet. Es ist das Licht das A&F und Hollister verwenden, das seinen Siegeszug im Handel feiert, auch wenn diese beiden Marken derzeit mitunter einigen Herausforderungen gegenüber stehen. Es ist das Chiaraoscuro-Licht, das man heute überall, bei H&M, Superdry, Desigual aber auch beim Merkur am Hohen Markt findet. Das Licht kommt eigentlich aus der Malerei von Caravaggio. Er hat eine besonders dramatische Form entwickelt, Tenebrismo genannt, wo er kurz vor 1600 hartes, gerichtetes Licht einsetzte, um Figuren aus der Umgebung herauszuheben und ihre innere Spannung so zum Ausdruck brachte. Das Licht ist ähnlich einem Scheinwerfer, erschafft einen hohen Warendruck ohne eine Gerümpeltotale zu provozieren.

Forschungsreise mit Christian Mikunda:
Barcelona - 4. bis 6. Juni
Singapur - 24. bis 28. September
18-tägige Weltreise - 2015

Dieser Artikel/dieses Interview erschien bereits am 11. April in der HORIZONT-Printausgabe 15/2014. Hier geht’s zur Abo-Bestellung.
stats