'Curiosity Director' wäre gefragt
 

'Curiosity Director' wäre gefragt

Werber Michael Nitsche, Mehrheitseigentümer bei Gallup und Karmasin, über den Umbruch in und die Synergien mit der Marktforschung

Die Transaktion war wohl eine einschneidende Zäsur in der heimischen Markt- und Meinungsforschung: Im vergangenen Herbst übernahm Michael Nitsche, jahrelang einer der erfolgreichsten Werber des Landes, 85 Prozent an Karmasin.Motivforschung und dem Österreichischen Gallup Institut. In HORIZONT 43/2014 deutete er im Doppelinterview mit dem ­Minderheitsgesellschafter Matthias Karmasin erstmals an, wohin er die beiden traditionsreichen Unternehmen führen will: Entwicklung von kreativen Insights statt bloßer Methodenzentrierung.

Mittlerweile sind – wie damals angekündigt – die ersten Weichen in den beiden langjährig etablierten Instituten gestellt. Nitsche hat überdies seine „Nitsche Werbung“, die seit Kurzem unter DNS firmiert, in einen eigenen Trakt im umgebauten Haus des Gallup Instituts im 18. Bezirk in Wien, transferiert. Umbenannt wurde auch die Karmasin.Motivforschung, nämlich auf den ursprünglichen Namen „Institut für Motivforschung“. Bleibt für ­Michael Nitsche nun also auch bei der Markt- und Meinungsforschung „alles anders“ wie es auf der DNS-Homepage heißt? Und wie „derhebt“ man drei Schwergewichte in ihren jeweiligen Branchen gleichzeitig? 

„Dass es seit Anfang 2015 einen gemeinsamen Standort gibt, macht mir das Leben natürlich etwas leichter“, erzählt Nitsche HORIZONT am Telefon, in der Mittagspause einer Tagung am international renommierten Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld über innovative Mixed-Methods-Ansätze. Seine Rolle in den Marktforschungsinstituten ist mittlerweile nicht nur die eines strategischen Investors, sondern er agiert hier auch sehr operativ. „Meinem Naturell entspricht eher die Rolle eines Playing Captains. Ich gehe da auch gerne mit einer gewissen Hemdsärmeligkeit an die Aufgaben heran, denn die Institute sind ja in einem Change-Prozess.“

Seiner Meinung nach sollte Kreativität in Zukunft auch in der Marktforschung einen wesentlich höheren Stellenwert einnehmen, etwa bei der ­innovativen Verknüpfung von Methoden und der Entwicklung neuer ­Lösungen für die komplexen Fragestellungen, mit denen Kunden heute mehr denn je konfrontiert sind. „An solchen Dingen arbeiten wir intensiv, vor allem daran, wie man aus Zahlenbergen umsetzbare Handlungsstra­tegien für die Entscheidungsträger entwickeln kann. Dabei gibt es viele ­Synergien aus meiner Erfahrung als Kommunikationsexperte, wo es ­letztlich immer darum geht, Kom­plexität zu reduzieren und Dinge auf den Punkt zu bringen.“ So kann sich Nitsche etwa analog zur Position eines Creative Director einer Werbeagentur in der Marktforschung einen „Curiosity Director“ vorstellen, dessen Aufgabe es ist, intelligente Fragestellung in inspirierende Insights zu verwandeln. 

Insights und Inspiration
„Die Ausweitung der Online-Welt führt auch in der Marktforschung zu tektonischen Verschiebungen. Wir müssen uns den neuen Anforderungen nicht nur anpassen, sondern wollen die daraus resultierenden neuen Möglichkeiten aktiv vorantreiben,“ deutet Nitsche konkret Neuerungen an. Das Gallup Institut reagiert auf all diese Entwicklungen mit dem nach ­eigenen Angaben modernsten Online-Panel Österreichs, das ab März zur Verfügung stehen wird. Es wurde gemeinsam mit einem Technologiepartner aus Deutschland entwickelt. Auch im Bereich der psychologisch-qualitativen Marktforschung, wo das Institut für Motivforschung federführend ist, setzt man künftig verstärkt auf Online-Tools, wie Online-Tagebücher, moderierte Online-Gruppen, Online-Tiefeninterviews, womit auch internationale Studien leichter durchgeführt werden können. 

Die Frage, wie man nun dem Kunden und Auftraggeber Insights liefern kann, ist für ihn das Meta-Thema der Branche. „Ich denke, der Kunde will nicht mit Bergen von Daten eingedeckt werden, sondern erwartet sich von der Marktforschung Insights und Inspiration für Entscheidungen.“ Daher müsse der Marktforscher künftig in der Lage sein, beides miteinander zu Verknüpfen, nämlich das Herauslesen relevanter Muster aus vorhandenen Datenpools und das Explorieren der dahinterliegenden Motive.

„Nach umsetzbaren Erkenntnissen rund um die Ergebnisse der schier endlosen Datenmengen fragen mich die Kunden immer öfter“, sagt Nitsche. Da komme wiederum die Motivforschung ins Spiel, um die richtigen „Fragen“ an die Daten zu stellen und auf deren Basis dann ­ergänzend die tiefer liegenden Einstellungen der Menschen, die Daten „produzieren“, zu erforschen. Als zweites dominierendes Thema sieht Nitsche die Geschwindigkeit der Marktforschung: Smartphones und Apps haben eine 24-Stunden-Erhebung von Daten möglich gemacht, Real-Time-Marktforschung also.

„Ob ein Kunde zum Beispiel in einem Laden zufrieden ist oder nicht, lässt sich ja stark vereinfacht auch über eine App abbilden, mit der man unmittelbar nach dem Besuch ein paar simple Fragen beantwortet. Man muss nicht auf Quartalsergebnisse aus Kundenzufriedenheitsstudien warten.“ Und drittens müsse sich die Marktforschung bei den Methoden wohl auch der Gamification öffnen, um die Lust und das Interesse an der Beantwortung von Fragen zu steigern.

In Zeiten der permanenten „Entertainmentüberflutung“ über diverse Medienkanäle muss auch eine Befragung für den Konsumenten interessant und spannend sein, damit er gerne Antworten gibt. Spielerische Ansätze ­erlauben es darüber hinaus in Zukunft, noch näher die Welt des Konsumenten zu beleuchten. Gamification reicht von der spielerischen Gestaltung von Fragebögen (etwa in Form von Videospielen) bis hin zu innovativen projektiven Verfahren mit spielerischen Elementen in Gruppendiskussionen und Tiefeninterviews. 



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